Rote Fahne 18/2022
Ampel-Luftnummer: Was bleibt von der „sozial-ökologischen Transformation“?
Selten hat eine Regierung in so kurzer Zeit fast sämtliche Versprechungen an die Massen über Bord geworfen. Nicht weniger ...
... als eine „sozial-ökologische Transformation“ des Landes verkündete die Ampel-Koalition bei ihrem Amtsantritt. Passend zur „Erneuerung“ wurde ein neuer Politikstil inszeniert – kommunikativ, umgänglich, vertrauensvoll, freiheitsliebend, mit scheinbar „unverbrauchtem“ Ministerpersonal. Dadurch konnte die „Ampel“ zeitweilig durchaus Hoffnungen mobilisieren, gerade bei jüngeren Wählern. „Transformiert“ hat sie sich mittlerweile vor allem selbst – zur Verfechterin eines offenen Kriegskurses, dem Zug um Zug immer mehr umweltpolitische, aber auch soziale Zugeständnisse untergeordnet werden. Jetzt treibt sie zunehmend die Furcht vor „Volksaufständen“ um.
.„Faire Löhne“ sollte es laut Koalitionsvertrag geben1, genauso wie „sozial gerechte Energiepreise“2. Das „Wohnen der Zukunft“ wollten die Ampel-Parteien „bezahlbar, klimaneutral, nachhaltig“ gestalten.3 Angesichts einer Rekordinflation von offiziell fast 8 Prozent und real mehr als 20 Prozent für Arbeiterfamilien4 bleibt von der „sozialen Transformation“ nichts übrig. Die nominalen Steigerungen der Tariflöhne von durchschnittlich 2,9 Prozent im ersten Halbjahr verwandelten sich bereits laut offizieller Statistik in eine Senkung der Reallöhne um 3,6 Prozent.5
Durch die sprunghafte Steigerung der Gaspreise werden für nicht wenige Menschen ihre Wohnungen unbezahlbar. Das Fass zum Überlaufen bringt die Gasumlage ab 1. Oktober. Bundeskanzler Olaf Scholz versucht, die Wogen zu glätten und kündigte eine befristete Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas an: „Mit diesem Schritt entlasten wir die Gaskunden insgesamt deutlich stärker als die Mehrbelastung, die durch die Gasumlage entsteht.“6 Wir haben nachgerechnet und sagen: Scholz lügt! Trotz Senkung der Mehrwertsteuer auf den gesamten Gaspreis beträgt allein die monatliche Mehrbelastung eines „Normalhaushalts“ durch die Gasumlagen schon zu Beginn durchschnittlich 27,36 Euro7 – mit wachsender Tendenz.
Umweltpolitische Offenbarung
Enttäuscht sind viele Menschen vor allem vom offenen Bruch der umweltpolitischen Versprechungen. Da war vom „beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverstromung“8 die Rede und vom „Erhalt der Artenvielfalt“ als „Menschheitsaufgabe“9. Am Ausstieg aus der hochgefährlichen Atomkraft sollte nicht gerüttelt werden. Und nun: Kohleausstieg auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben, AKW-Ausstieg in Frage gestellt, Artenschutz gecancelt! (mehr auf Seite 16/17)
Gemäß Forderung der Monopolverbände nimmt die Regierung Kurs auf den Weiterbetrieb der Schrott-AKW Isar 2, Emsland und Neckarwestheim 2. Angeblich nur im „Streckbetrieb“, den mittlerweile auch FFF-Ikone Luisa Neubauer von den Grünen für „vertretbar“ hält. Dafür müsste laut Umweltministerium allerdings schon jetzt die Stromproduktion der Atommeiler gesenkt werden, mit dem Ergebnis, dass überhaupt kein zusätzlicher Strom entstünde. Der „Streckbetrieb“ macht einzig Sinn als Überbrückung bis zur Lieferung neuer Kernbrennstäbe, für die unter anderem Bayerns Ministerpräsident Markus Söder offen die Trommel rührt. Dabei geht es nicht nur um riesige Profite mit vollständig amortisierten, aber maroden Atomkraftwerken, sondern auch um den Zugriff auf spaltbares Material für die Atombombenproduktion.
Statt Stilllegung von weiteren 17 Gigawatt (GW) Leistung der noch laufenden 130 Kohle- und Braunkohlekraftwerke bis 2030 fällt die Ampel-Koalition mit der Reaktivierung von 5,6 GW sogar hinter das Gesetz der alten Bundesregierung zurück. Der immer noch gigantische CO2-Ausstoß von 675 Millionen Tonnen in Deutschland wird sich allein dadurch um 30 Millionen Tonnen erhöhen.
Der „neue Politikstil“ entpuppt sich als diktatorische Umsetzung der Vorgaben der Monopole. Mit dem Ukrainekrieg und der angeblichen Gasknappheit wird gerechtgertigt, warum all das alternativlos sei und jetzt ganz schnell gehen müsse. Robert Habeck: „Das bedeutet, so ehrlich muss man sein, dann für eine Übergangszeit mehr Kohlekraftwerke.“10 Von wegen Ukrainekrieg, Krisenwinter und „Übergangszeit“! Tatsächlich soll die fossile Verbrennung bis weit über 2030 hinaus weiterlaufen. Der Energiekonzern EnBW hat mit den USA Verträge über die Lieferung von Frackinggas über eine Laufzeit von 20 Jahren abgeschlossen.11 Bei den Flüssiggas-Terminals entfällt die sonst erforderliche Prüfung der Umweltverträglichkeit, Klagen werden praktisch unmöglich gemacht. Das alles hat nichts mit diesem Winter zu tun. Was hier stattfindet, ist der Übergang zu einer Kriegswirtschaft im Rahmen des Weltwirtschaftskriegs, für die jede Abhängigkeit vom rivalisierenden imperialistischen Block bei der Energieversorgung gekappt werden soll. Dazu bleibt ein glänzendes Geschäft für die Energiekonzerne.
Die „sozial-ökologische Transformation“ entzaubert sich als Paradigmenwechsel der Regierung, den Umweltschutz vollständig der Vorbereitung eines Dritten Weltkriegs unterzuordnen. Sie trägt damit in vollem Bewusstsein zur dramatischen Verschärfung der Umweltkrise bei, mit Beschleunigung der Eisschmelze, Extremhitze und -dürre in Europa und vielem mehr.
Regierungspolitik im Visier der Umweltbewegung
Die Jugendumweltbewegung „Fridays for Future“ ruft zum Klimaaktionstag am 23. September auf und fordert: „Erneuerbare statt Fracking, Kohle und Atom!“ (mehr auf Seite 18) Gegen den Bau der LNG-Terminals hat sich ein „Klimabündnis gegen LNG“ formiert (siehe Seite 10). AKW-Gegner protestierten bei ihrer Fahrradrundfahrt im Juli und August gegen die Renaissance der Atomkraft. Umweltschützer wollen den Abriss des Dorfs Lützerath und die Ausdehnung des Braunkohle-Tagebaus durch RWE und die schwarz-grüne Landesregierung in NRW verhindern.
Es ist gut, dass in der Umweltbewegung Ernüchterung gegenüber der Regierung und den Grünen einzieht. Der umweltpolitische Rollback ist allerdings nur die Kehrseite des Kriegskurses der Bundesregierung. Deshalb muss sich der Umweltkampf einreihen in den aktiven Widerstand gegen akute Weltkriegsgefahr und Abwälzung der Kriegs- und Krisenlasten. Zudem braucht er einen noch engeren Schulterschluss mit der Arbeiterbewegung und die Perspektive der internationalen sozialistischen Revolution.
Der Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ warnt vor „Radikalen rechts und links“, die „Proteste schüren“12. Diese Gleichsetzung soll Ultrareaktionäre und Faschisten zur Protestbewegung hochstilisieren und fortschrittliche Kräfte diskriminieren, die wie die bundesweite Montagsdemo-Bewegung, das Internationalistische Bündnis und die MLPD zu fortschrittlichen Protesten aufrufen. Inzwischen gibt es breite Kritik an der unverfroreren Politik der Regierung – bis hin zu Sozial- und Umweltverbänden. Umso mehr kommt es darauf an, die Ängste der Ampel-Politiker vor „Volksaufständen“ nun auch einzulösen und einen Herbst des aktiven Widerstands mit Massendemonstrationen und Massenstreiks zu organisieren. Ein bedeutender Auftakt dafür wird die gemeinsame Herbstdemonstration von Montagsdemo-Bewegung, Internationalistischem Bündnis und neuer Friedensbewegung am 1. Oktober in Berlin.