Rote Fahne 16/2022
Miet(neben)kosten explodieren – alles nur Putins Schuld?
Vor allem die Miet- und Mietnebenkosten treiben die Inflation für Arbeiterfamilien auf real um die 20 Prozent.1
Preissteigerungen um mehrere hundert Prozent bei Gas, Mieterhöhungen von durchschnittlich 6 bis 7 Prozent in diesem Jahr2 – das sind einschneidende Verschlechterungen, wie sie die meisten Menschen hier noch nicht erlebt haben. Die Angst der Regierung wächst, dass sich nicht nur Unmut und Kämpfe gegen die Inflation entwickeln, sondern dass auch die Unterstützung für den Kriegskurs wegbricht. Deshalb wird von früh bis spät an der Legende gestrickt, dass allein Putin an allem schuld sei: „Putin legt das Messer an die Gas-Schlagader“ 3; „Putins perfider Plan gegen Europa geht auf“ 4, „Für Putin ist Gas eine Waffe“ 5. Ja, Putin führt einen imperialistischen Krieg in der Ukraine und setzt Gas als Waffe im Wirtschaftskrieg ein – doch der Ukrainekrieg und der Wirtschaftskrieg mit all seinen Folgen wird gleichfalls von den USA und der EU vorangetrieben.
Die USA verhängten als Kriegswaffe bereits am 8. März ein Kohle- und Erdgasembargo gegen Russland. Sie forderten, die Pipeline Nord Stream 2 nicht ans Netz zu lassen und und drängten die EU massiv, ebenfalls ein unmittelbares Embargo zu verhängen. Die Sanktionen zielen strategisch darauf, „Russlands Wirtschaft zu ruinieren und den weiteren Aufstieg Russlands als neuimperialistische Macht zu stoppen“ 6. Russland wiederum kürzt und stoppt schrittweise seine Gaslieferungen nach Europa, um die EU-Staaten zu destabilisieren. Mit dem Ende April beschlossenen Strategiewechsel der NATO, nicht nur den Krieg zu stoppen, sondern Russland als imperialistischen Rivalen in die Knie zu zwingen, schaltete auch die Meinungsmanipulation um: Dass man den Krieg gegen Russland unterstützen müsse, um im Winter nicht im Kalten zu sitzen, ist gegenwärtig eine zentrale Masche der psychologischen Kriegsführung. Gleichzeitig werden die Kosten dieses Wirtschaftskriegs und der militärischen Kriegführung in der Ukraine immer offener auf die Massen abgewälzt.
Wem Scholz treu zur Seite steht
„You‘ll never walk alone“ 7 – Bundeskanzler Olaf Scholz bemüht das Solidaritätslied der Fußballfans, um die Betroffenen zu beruhigen. Das hat er auch nötig! Allein der Energiekonzern Uniper bekommt 15 Milliarden Steuergelder und die Energiekonzerne dürfen 90 Prozent der spekulativen Gaspreise auf die Haushalte abwälzen. Während Scholz die Mieter zur Plünderung freigibt, gilt seine „Solidarität“ den Energiekonzernen!
Die „Uniper-Umlage“ zu Gunsten der deutschen Monopole wird bereits „Putin-Gasumlage“8 genannt, um die Wut auf den imperialistischen Rivalen zu lenken. Sie belastet einen Arbeiterhaushalt voraussichtlich mit bis zu 1190 Euro im Jahr 9 und nicht nur mit 200 bis 300 Euro, wie Scholz zunächst behauptete. Die Gasrechnung steigt damit auf bis zu 5000 Euro für eine Familie10, während die „Entlastungspakete“ der Bundesregierung nur wenige hundert Euro bringen. Nachahmenswert: Das Wahlbündnis AUF Gelsenkirchen fordert eine Deckelung der Nebenkosten auf den Stand vom Januar 2022.
Wer sind die Gewinner des steigenden Gaspreises?
Bereits Mitte 2021, lange vor Kriegsbeginn, zogen die Gaspreise massiv an. Seit Beginn des Ukrainekriegs steigen sie spekulativ weiter. Größte Profiteure sind Spekulationsfonds, internationale Energiemonopole und der Staat. Wintershall DEA bescherte dem BASF-Konzern einen offiziellen Gewinn im zweiten Quartal von 608 Millionen Euro (2021: 168 Millionen). „Ausschlaggebend hierfür waren höhere Preise“, verkündet BASF ganz offenherzig.11 Energiekonzern Total (Frankreich) meldet verdoppelte Gewinne, ENI (Italien) vervierfachte und der größte Händler von Flüssiggas Shell (Großbritannien) sogar verfünffachte Gewinne.12 Der Staat kassiert laut offizieller Steuerschätzung13 in den nächsten fünf Jahren allein aufgrund der Inflation über 640 Milliarden zusätzliche Steuern im Vergleich zu 2021.14
Regierung zunehmend nervös und uneins
Aus Angst vor „Volksaufständen“, wie es Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ausdrückte, versprach Bundeskanzler Scholz weitere „Entlastungen“. Da ist die Rede von einer Heizkostenpauschale und dass dieses Mal auch Rentner und Studenten nicht vergessen werden sollen. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) verspricht die Erhöhung der Hartz-IV-Sätze. Doch diese Maßnahmen sind völlig unzureichend – und selbst darüber ist sich die Regierung keineswegs einig. Was die Regierung in die eine Tasche gibt, nimmt sie zehnfach aus der anderen wieder weg. Unter anderem mit der CO2-Abgabe und vor allem der Mehrwertsteuer, die bei jedem Euro 19 Cent in die Staatskasse spült. Sofortige Streichung der Mehrwertsteuer auf Energie! Abschaffung aller indirekten Steuern!
„Wutwinter“ oder aktiver Widerstand?
Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller erhebt mahnend den Zeigefinger: „Extremisten träumen von einem deutschen Wutwinter“15. Damit will er demagogisch den berechtigten Widerstand als Werk von „Extremisten“ diffamieren und wirft mit diesem antikommunistischen Begriff Marxisten-Leninisten mit Faschisten in einen Topf. Als ob die Faschisten oder die faschistoide AfD irgendetwas mit den Interessen der Mieterinnen und Mieter am Hut hätten.
In einer Pressemitteilung vom 29. Juli16 beklagt AfD-Chef Tino Chrupalla zwar, dass die steigenden Gaspreise „für viele private Haushalte nicht mehr zu stemmen“ seien. Statt klare Forderungen zur Verbesserung der Lage der Mieter und Arbeiterfamilien aufzustellen, will er klassenübergreifend „Bürger und Wirtschaft“ bei den Steuern entlasten. Die Gaskonzerne und den Staat nimmt er vollständig aus der Schusslinie und bedauert sie noch für ihre nun anfallenden „Extrakosten“. Sein wichtigstes Anliegen ist die Beendigung der Sanktionspolitik gegenüber Russland - ganz im Sinne der AfD-Förderer in der Putin-Regierung. Russisches Erdgas möchte Chrupalla also weiterhin unbegrenzt verbrennen, statt schnellstmöglich auf erneuerbare Energien umzustellen. Mit ihrer scheinsozialen, nationalistischen Demagogie versucht die AfD, jeden wirksamen Protest von vornherein zu zersetzen und in die Sackgasse der Verteidigung des herrschenden Systems zu lenken.
Die weltanschliche Massenauseinandersetzung über solche Fragen geht der Entfaltung des aktiven Widerstands vorweg. Die Massen müssen restlos mit der Propaganda fertig werden, dass Putin allein an allem schuld sei und aus Solidarität mit der Ukraine Opfer gebracht werden müssten. Nur so können sie Monopole und Staat ins Visier nehmen und den konsequenten Kampf zur Verteidigung ihrer sozialen Interessen genauso wie gegen den imperialistischen Krieg aufnehmen. In vereinigten sozialistischen Staaten der Welt wird es möglich sein, steigende Qualität der Versorgung der Menschen bei stabilen oder sinkenden Preisen zu gewährleisten, international zum gegenseitigen Nutzen zusammenzuarbeiten und vollständig auf regenerative Energien im Einklang mit der Natur umzusteigen.