Rote Fahne 16/2022
Bricht die Euro-Krise erneut aus?
Die Angst vor einem neuen offenen Ausbruch der Euro-Krise geht um bei dem herrschenden Finanzkapital1 und den Regierungen in der EU
Seit 2008 hat sich die Staatsverschuldung in der EU auf über 12,7 Billionen Euro mehr als verdoppelt – das ist fast soviel wie das jährliche EU-Bruttoinlandsprodukt (BIP).2 Besonders Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal haben sich in den letzten dreieinhalb Jahren hoch verschuldet. Dort liegt die Schuldenquote jetzt deutlich über 100 Prozent ihres jeweiligen BIP, in Italien sogar über 150 Prozent. Italien sitzt, ebenso wie Frankreich, auf einem Viertel aller Staatsschulden in der EU. Ein schneller Anstieg der Verschuldung Italiens in Wechselwirkung zur Einschränkung der Politik des billigen Geldes der Europäischen Zentralbank (EZB) würde nicht nur die Gegensätze der imperialistischen Ländern innerhalb der EU erheblich verschärfen. Er würde auch einen Staatsbankrott in Italien heraufbeschwören, der eine Kettenreaktion in der EU auslösen könnte.
Das hätte unweigerlich desaströse Folgen für die EU, bis hin zu ihrem Auseinanderfallen. Damit würde eine wesentliche machtpolitische Basis der europäischen Übermonopole wegbrechen. Besonders der deutsche Imperialismus würde so einen seiner entscheidenden Wirtschaftsvorteile gegenüber den USA, aber auch China verlieren.
EZB in der Zwickmühle
Die EZB, die für die Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet zuständig ist, steckt in einer Zwickmühle. Wegen des wachsenden Unmuts der Bevölkerung über die anschwellende Inflation musste die EZB am 21. Juli ihre Nullzins-Politik aufgeben, die maßgeblich mitverantwortlich für die Entwicklung der Inflation ist. Nun erhöhte sie die Leitzinsen um 0,5 Prozent. Zugleich war geplant, den Kauf von staatlichen Anleihen und damit die Flutung der Märkte mit neuem Geld zu stoppen. Dramatisch wäre das besonders für Italien. Der italienische Staat müsste nun deutlich mehr Zinsen an spekulierende Kreditgeber bezahlen, um seine alten Schulden tilgen und seinen Staatshaushalt samt einigen „Rettungsschirmen“ für die italienischen Monopole finanzieren zu können. Die Zinsen auf italienische Staatsanleihen kletterten schon in Erwartung der EZB-Maßnahmen seit August 2021 von 0,6 Prozent langsam an und sprangen im Juli 2022 auf über 4 Prozent. Ohne Gegenmaßnahme würde die Verschuldung Italiens also noch einmal sprunghaft steigen. Ähnliches gilt für die anderen hoch verschuldeten Staaten.
Die EZB kann aber den Aufkauf staatlicher Anleihen nicht einfach fortsetzen, um die Eurokrise abzuwenden. Deshalb hat sie am 21. Juli ein ganz schlaues Programm vorgestellt, das „Transmissionsschutzinstrument“ (TPI). Sie will nur noch von „angeschlagenen Volkswirtschaften“ und nur „vorübergehend“ Staatsanleihen aufkaufen. Damit setzt die EZB aber nur die Politik des „Gelddruckens“, das heißt der Ausweitung der Geldmenge in der EU fort – wenn auch in eingeschränkter Form. Ein Scheitern der EZB-Politik ist damit vorprogrammiert. Zugleich schaukelt sich die politische Krisenhaftigkeit der EU-Staaten weiter hoch. In Italien ist die Regierung Draghi gescheitert, in Frankreich verlor Präsident Macron seine parlamentarische Mehrheit. Das engt den Spielraum für das staatliche Krisenmanagement zusätzlich ein.