Rote Fahne 15/2022
"Die Menschen sind angetreten, für ihre Rechte zu kämpfen"
Kumar Gunaratnam, Generalsekretär der Frontline Socialist Party (FLSP) aus Sri Lanka, gab der Tageszeitung “Daily News” am 15. Juli 2022 ein Interview, aus dem wir Auszüge dokumentieren. Er spricht unter anderem zum Charakter des demokratischen Volksaufstands, der eine revolutionäre Situation in Sri Lanka hervorgebracht hat, und den nötigen weiteren Schritten:
„Wir können die russische Revolution von 1917 nicht mit dem vergleichen, was am 9. Juli geschah, als die Macht des Volkes aktiviert wurde. Historisch gesehen handelt es sich um zwei verschiedene Situationen, und auch ihre Charaktereigenschaften sind sehr unterschiedlich. Im Moment findet hier kein bewaffneter Kampf statt. Der Staat, die Armee und die Polizei sind diejenigen, die hier die Waffen tragen. (…) Die Menschen sind unbewaffnet, sie haben nicht einmal Steine in ihren Händen. Die Menschen sind kampflustig und sehr engagiert in diesem Kampf. Denn in der Vergangenheit wurden die Menschen in diesem Land als Sklaven verhöhnt. Jetzt sind sie angetreten, um für ihre Rechte, für die Rechte anderer, für die Rechte des ganzen Volkes, für ihre demokratischen und wirtschaftlichen Rechte zu kämpfen. (…)
Der Aufstand hat ein Modell der Politik außerhalb des Parlaments und außerhalb des herrschenden Systems entwickelt. Diese Säule der „Volksmacht“ ist also ein Wendepunkt. Jetzt müssen wir diese Macht auf der Ebene des Dorfes, der Stadt, der Bauernschaft, der Fischereigemeinschaft, der Fabrik oder des Feldes strukturieren. Diese sollten in Volksmachträte umgewandelt und zu Räten auf Dorfebene, auf Bezirksebene und schließlich zu einem nationalen Rat ausgebaut werden. (…)
Vor dieser politischen Macht haben die Rajapaksas die Macht abgegeben, und der Präsident mit der Exekutivgewalt ist aus dem Land geflohen. Deshalb ist dies eine Realität, eine reale Kraft, nicht nur ein Konzept. (…) Ein Parlament, das den von der Volksmacht geforderten Reformen zustimmt, sollte in der Lage sein, eine Regierung zu bilden. Wir brauchen eine neue Verfassung, denn die Gesetze, die wir jetzt haben, sind nicht ausreichend. (…) Wir vertreten die Menschen in diesem Land. Unser langfristiges Ziel ist der Sozialismus. Unser Ziel erschöpft sich nicht darin, eine volksfreundliche Verfassung zu schaffen. Wir können eine egalitäre Gesellschaft nicht aufbauen, indem wir die Steuerpolitik ändern und den Menschen Zugeständnisse machen. Wir haben langfristige Ziele. Auf dem Weg dorthin setzen wir uns für Reformen wie diese ein.
Die Politiker bringen diese Reformen nicht bereitwillig auf den Weg. Wir müssen also die politischen Parteien so weit bringen, dass sie sich den Reformen nicht entziehen können. (…) Selbst wenn wir ins Parlament gewählt werden, werden wir diese Gelegenheit nutzen, um zu beweisen, dass es innerhalb dieses Systems keine Lösung für dieses Problem gibt.”