Rote Fahne 04/2022
Inflation – Raubzug gegen die Massen
Die Preise – besonders bei Lebensmitteln, Mieten, Heizungs- und Spritkosten – gehen durch die Decke. Ist das alles nur ...
... eine „vorübergehende Erscheinung“ oder sind die Sorgen vieler Menschen mehr als berechtigt? Was steckt hinter dieser dramatischen Entwicklung nicht nur in Deutschland?
Seit dem vergangenen Herbst steigen die Preise wie zuletzt vor 30 Jahren – offiziell um 5,3 Prozent im Dezember und um 4,9 Prozent im Januar. Allein die Energiepreise erhöhten sich im Januar 2022 um 28,6 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Heftig war der Preisanstieg bei Lebens- und Genussmitteln um offizielle 3,6 Prozent.1 Doch Familien mit geringem Einkommen müssen einen viel höheren Anteil ihrer Ausgaben für Lebensmittel, Miete und Heizkosten aufbringen, als ihn die bürgerliche Warenkorb-Statistik ansetzt. Für eine Arbeiterfamilie, die für den Weg zur Arbeit auf ein Auto angewiesen ist, errechnete die GSA2 eine reale Inflation in Höhe von derzeit mindestens 10,4 Prozent.
Es wächst die Zahl derjenigen, die nicht mehr wissen, wie sie ihren Lebensunterhalt bestreiten sollen. Schuldnerberatungsstellen berichten, dass sie mittlerweile überlaufen sind, weil immer mehr Leute ihre Strom- und Gasrechnungen nicht bezahlen können. Die Schlangen vor den Tafeln werden länger, damit die Leute sich mit den nötigsten Lebensmitteln versorgen können.
Als im Herbst letzten Jahres der drastische Preisanstieg einsetzte, verharmlosten bürgerliche Wirtschaftspropheten die Inflation als „vorübergehende Erscheinung“, die einigen „Sonderfaktoren“ wie der wieder aufgestockten Mehrwertsteuer geschuldet sei. Noch im Oktober 2021 berichtete EZB3-Chefin Christine Lagarde von einer Tagung: „Wir wissen, dass die Menschen in Europa wegen der Inflation besorgt sind. Aber wir sind davon überzeugt, dass unsere Analyse korrekt ist und die Preise wieder fallen werden.“4 Dass sie damit gründlich daneben lag, ficht die EZB-Chefin nicht wirklich an. Jetzt verkündet sie: „Es kann sein, dass die Inflation höher ausfallen wird, als wir im Dezember prognostiziert haben. Das werden wir im März analysieren und dann weitersehen.“5 In ihrer Gegnerschaft zum wissenschaftlichen Sozialismus bestreitet Lagarde die zugrundeliegenden Gesetzmäßigkeiten der kapitalistischen Produktionsweise und ist deshalb auch unfähig, zu ihnen vorzudringen und treffende Prognosen zu erstellen. Stattdessen betreibt sie eine systematische Zweckpropaganda, indem sie die Menschen vertröstet: „Falls nötig, werden wir handeln.“ Dass sie zugleich vor „überstürztem Handeln“ warnt, zeigt nur, dass es derzeit handfeste wirtschaftliche und politische Interessen an einer hohen Inflationsrate gibt.
Warum die Regierung von der Inflation profitiert
Angesichts wachsender Unruhe in der Bevölkerung macht jetzt auch die Bild-Zeitung mobil und bringt Stimmen aus der Bevölkerung gegen die „Teuer-Walze“. Die Regierung solle einen „Teuer-Gipfel“ einberufen.6
Auch die Ampel-Regierung muss auf den wachsenden Unmut in der Bevölkerung regieren. Noch im November vergangenen Jahres erklärte der damalige Grünen-Co-Chef Robert Habeck – mittlerweile Wirtschaftsminister – zur Forderung nach voller Heizkostenübernahme für Hartz-IV-Betroffene: „Vollständige Übernahme lädt immer dazu ein, dass man dann die Heizung aufdreht und das Fenster aufmacht. Es sollte schon einen Anreiz geben, sorgsam mit Energie umzugehen.“7 Während er arrogant über ALG-II-Bezieher herzog, ließ er sich von seinem Parteivorstand ganz bescheiden erst mal eine Corona-Sonderzahlung von 1500 Euro für 2020 auszahlen. Mit derart massenverachtenden Sprüchen wagt sich Habeck nun nicht mehr vor die Kameras. Stattdessen brachte er zumindest einen Heizkostenzuschuss auf den Weg. Einmalig 135 Euro sollen 710 000 Haushalte mit Wohngeldanspruch bekommen. 370 000 Bafög-Empfängerinnen und -Empfänger sollen 115 Euro – aber nur auf Antrag – erhalten.8 Ein solcher Zuschuss ist nicht viel mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Allein die inflationsbedingte Erhöhung der Restmieten von Wohngeldempfängern frisst ihn in weniger als einem Jahr vollständig auf. Zudem kommt nur ein kleiner Teil der Menschen mit geringem Einkommen in seinen Genuss. Und was ist mit den „durchschnittlich“ verdienenden Arbeitern und Angestellten, was mit den kleinen Selbständigen, deren Einkommen durch die Weltwirtschafts- und Finanzkrise in Verbindung mit den Corona-Maßnahmen oft schon bedrohlich geschmälert wurde? Sind sie nicht ebenfalls von der Inflation betroffen? Da glänzt die Regierung durch Untätigkeit.
Die Wogen glätten mögen solche Zugeständnisse der Ampel-Regierung – zumindest zeitweise. Sie lenken auch davon ab, dass der bürgerliche Staat und die Regierenden als Dienstleister der Monopole maßgeblich verantwortlich sind für die Preistreiberei. Bei gigantischen (und vielfach verkorksten) Bauvorhaben, bei Milliarden als Corona-Hilfen deklarierten Subventionen für Großkonzerne. Und nicht zuletzt als ein Aufkäufer unter anderem unverkäuflicher Saisonware im Textilgewerbe während der Corona-Krise sowie als staatlicher Auftraggeber etwa bei Investitionen in Umwelttechnologie, wo es in erster Linie darum geht, diesen Bereich für Maximalprofite der Konzerne zu erschließen.
Zugleich ist der bürgerliche Staat auch ein Hauptprofiteur der Inflation. Alle staatlichen Abgaben wie Mehrwertsteuer, Energiesteuer und CO2-Preis machen etwa 66 Prozent des Gesamtpreises von Benzin aus. Der Anteil der über verschiedene Preise eingenommenen indirekten Steuern betrug 2021 mit 379,7 Milliarden Euro 45 Prozent aller Steuereinnahmen in Deutschland.9 Diese Steuern sind besonders unsozial, da sie bei den arbeitenden Menschen am stärksten zu Buche schlagen.
Vor allem hat sich die Inflation zu einer Hauptmethode entwickelt, die gigantisch aufgehäuften Staatsverschulden abzubauen. Deren Entwertung im Interesse der Herrschenden geht direkt mit der Entwertung der Löhne und Sparguthaben der Masse der Bevölkerung einher. Sie ist damit eine bewusste Methode zur Abwälzung der Staatsverschuldung auf die Arbeiter und breiten Massen.
„Greenflation“ oder „Fossilflation“?
Zweifellos trägt die von den Grünen forcierte CO2-Bepreisung zur Steigerung der Energiepreise bei. Für den Umweltschutz fällt dabei wenig ab. Rahir Sharma, Chefstratege beim US-Konzern Morgan Stanley, hat jedoch die Umstellung auf erneuerbare Energien selbst als Hauptursache für die wachsende Inflation ausgemacht: „Neue staatliche Ausgaben treiben die Nachfrage nach Materialien an, die für den Aufbau einer saubereren Wirtschaft benötigt werden. … Das unbeabsichtigte Ergebnis ist ‚Greenflation‘: Steigende Preise für Metalle und Mineralien wie Kupfer, Aluminium und Lithium, die für Solar- und Windkraft, Elektroautos und andere erneuerbare Technologien unerlässlich sind.“10 Damit soll ein Keil zwischen Umweltschützer und Hauptbetroffene der Inflation getrieben werden.
Denn nicht der Ausbau erneuerbarer Energien selbst ist der Inflationstreiber. Es sind die internationalen Rohstoff- und Energiemonopole und die auf steigende Maximalprofite setzenden Spekulanten, die die erhöhte Nachfrage nach solchen Materialien nutzen, um die Preise in die Höhe zu treiben. Zugleich führt die kapitalistische Produktionsweise mit ihrem Verzicht auf eine Kreislaufwirtschaft zu einer bisher einzigartigen Rohstoff- und Logistikkrise. Verschiedene Ressourcen werden so extensiv ausgebeutet, dass die Vorräte in absehbarer Zeit erschöpft sein werden und neue schwer zu erschließen sind. Die einseitig forcierte Umstellung auf Elektroautos, verstärkt noch den – oft selbst umweltzerstörenden – Raubbau an seltenen Rohstoffen.
Ricarda Lang, neue Grünen-Co-Vorsitzende, dreht den Spieß einfach um: „Oft wird behauptet, Klimaschutzmaßnahmen wie die Energiewende würden den Strom für Verbraucher*innen teurer machen. … Das Gegenteil ist der Fall. Denn: Der Anstieg der Energiepreise und damit auch die hohe Inflationsrate sind auf die sogenannte Fossilflation zurückzuführen: Fossile Brennstoffe waren der Preistreiber der Inflation.“11 Tatsächlich sind gerade die Öl- und Gaspreise mit am stärksten gestiegen – im Jahresverlauf 2021 um bis zu 50 Prozent. Doch wer hat die CO2-Bepreisung beschlossen? Und was ist mit den ebenfalls stark steigenden Lebensmittelpreisen oder Mieten?
Die neuen Begriffsschöpfungen „Greenflation“ und „Fossilflation“ lenken gleichermaßen von den Ursachen der Inflation ab. Nach der Logik von Ricarda Lang sind die deutschen Konzerne wie auch die Bundesregierung Opfer äußerer Einflüsse. Beide Theorien nehmen die Herrschaft des alleinherrschenden internationalen Finanzkapitals und damit das kapitalistische System aus der Schusslinie.
Angesichts der enorm gestiegenen gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität müssten die Preise eigentlich beständig fallen, da die für die Herstellung der Waren benötigte durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit damit sinkt. „Die Monopole sorgen jedoch nach Möglichkeit dafür, daß die Preise nicht sinken, sondern unentwegt steigen. … Der Monopolpreis ist darum ein Raubpreis, der nicht durch ökonomische Gesetze, sondern durch die Raubgier der Monopolisten bestimmt wird.“12 (Mehr dazu auf Seite 22).
Warum bleibt die EZB bei ihrer Nullzins-Politik?
Immer drängender wird in den bürgerlichen Massenmedien gefordert, dass die Europäische Zentralbank (EZB) die Zinsen anheben soll, um der Inflation gegenzusteuern. Bis jetzt ohne Erfolg. So kauft die EZB weiterhin Monat für Monat faule Wertpapiere und Anleihen von verschuldeten Staaten in gigantischem Ausmaß auf, um einen allgemeinen Bankencrash zu verhindern. Dadurch vervielfältigte sich die Bilanzsumme der EZB von 1,45 Billionen Euro Mitte 2008 auf 8,3 Billionen im Oktober 2021.
Die dauerhafte Verbilligung des Geldes versorgt die führenden Konzerne mit riesigen Geldsummen und befördert damit auch die Kapitalspekulation.
Sie treibt durch die Aufblähung der Geldmenge aber auch die Inflation – und das ist durchaus gewollt. Nur so kann die gigantische Staatsverschuldung durch ihre Entwertung in Schach gehalten werden. Doch das Managermagazin warnt: „Die EZB ist auf einem schmalen Grad unterwegs: Sie muss sowohl eine davongaloppierende Inflation verhindern als auch eine erneute Staatsschuldenkrise.“13 Zinserhöhungen werden die Schuldenlast wieder wachsen lassen und bergen für die Herrschenden die Gefahr der Insolvenz überschuldeter Kommunen bis hin zu Staatsbankrotten. Damit einher geht der wachsende Druck, zur Eindämmung der Staatsverschuldung massive Krisenprogramme auf Kosten der breiten Massen durchzusetzen – wie in Griechenland 2010. Damals beschloss die griechische Regierung auf Druck von IWF14 und EZB unter anderem eine Erhöhung der Mehrwertsteuer, die Kürzung der Renten und umfassende Privatisierungen staatlicher Betriebe.
Eine galoppierende Inflation wird die Arbeiterbewegung in Rage bringen – wenn Löhne und Ersparnisse noch drastischer als jetzt bereits verfallen. Internationale Erfahrungen zeigen, dass bei der Entwicklung von Massenprotesten und Aufständen bis hin zu Hungerrevolten oftmals die steigende Inflation der Auslöser war. In Argentinien streiken die Ölarbeiter für effektive Lohnerhöhungen zum Ausgleich der Inflation. Zu Beginn diesen Jahres löste in Kasachstan eine Verdoppelung des Preises für Flüssiggas aufstandsähnliche Proteste – besonders aus der Arbeiterklasse – aus.
Was kann man tun?
In den Gewerkschaften wird die Kritik an den oftmals langen Laufzeiten der Tarifverträge und unzureichenden Forderungen laut. So meint IG-Metall-Chef Jörg Hoffmann: „Natürlich erwarten die Beschäftigten nun, dass es wieder eine ordentliche Erhöhung gibt und es nicht zu Reallohnverlusten kommt.“15 Allerdings ist es ein schlechter Scherz, wenn er die Lohnforderung an der „Zielinflationsrate“ der EZB von zwei Prozent orientieren will. Damit wäre ein deutlicher Reallohnverlust bereits vorprogrammiert. Es ist aber auch nicht einzusehen, warum die Arbeiterinnen und Arbeiter angesichts der jetzt stattfindenden Lohnentwertung auf die nächste Tariferhöhung warten sollen. Deshalb fördern die Betriebsgruppen der MLPD die Aufstellung von Forderungen nach einem Lohnnachschlag und treten für offensiv geführte Tarifrunden ein (siehe Seite 18). Das ist auch im Interesse der breiten Massen und muss mit dem Eintreten etwa für die Erhöhung aller staatlichen Sozialleistungen wie Hartz IV, Grundsicherung, Renten und Asylbewerberleistungen verbunden werden. Die MLPD hat ein umfassendes und konkretes Sozialpolitisches Kampfprogramm für den Kampf gegen die Abwälzung der Krisenlasten vorgelegt (siehe Randleiste). Es erfordert Zusammenhalt, Organisation und Klarheit, solche Forderungen durchzusetzen und den Kampf darum zur Schule des Klassenkampfs zu machen.
Die Broschüre der MLPD „Inflationsalarm!“ zieht darüberhinaus die Schlussfolgerung: „Wer die Inflation abschaffen will, der muss den Kapitalismus revolutionär überwinden. Im echten Sozialismus wird die Ausbeutung von Mensch und Natur abgeschafft, die Arbeitskraft ist keine Ware mehr. Der Lohn wird gesellschaftlich festgesetzt nach dem Prinzip: ‚Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seiner Leistung.‘ Die Wirtschaft wird mit einer hochproduktiven sozialistischen Planwirtschaft organisiert, für die Bedürfnisse der Arbeiterklasse und der breiten Massen – im Einklang mit der Natur. Der Geldumlauf wird reguliert, Staatsschulden werden vermieden durch das Gleichgewicht von staatlichen Finanzeinnahmen und -ausgaben.“16