Rote Fahne 24/2021

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Anthroposophie: Reaktionäre Theorie im alternativen Gewand

Es ist eben nicht so, dass bei den Querdenken-Demos zufällig ein paar Nazis mitlaufen neben Esoterikern, Hippies und Impfskeptikern, die vorher nicht viel miteinander zu tun hatten. Es gibt zwischen diesen Strömungen eine weltanschauliche Identität

Von (fh)
Anthroposophie: Reaktionäre Theorie im alternativen Gewand
Viele nutzen gerne Cremes und ähnlichs von Weleda ... aber was verbirgt sich dahinter? Foto: M. Rantanen / CC BY-SA 2.0

Allgemein bekannt sind die Waldorfschulen und Marken wie „Demeter“ oder „Weleda“. Sie verstehen sich als Anwendungsgebiete der Anthroposophie, einer religiös geprägten, esoterischen Weltanschauung. Ihr Begründer war Rudolf Steiner (1861–1925), der als Hellseher und „Menschheitsführer“ verehrt wird. Anthroposophie setzt auf übersinnliche Vorsehung (Karma), auf Engel und Teufel sowie auf Wiedergeburt (Reinkarnation). Die soziale Stellung eines Menschen sei nicht von der Klassengesellschaft, sondern vom Karma vorbestimmt. Der Materialismus gilt buchstäblich als Teufelswerk und Erkenntnisse gewinnt man – streng idealistisch – nur durch hellsichtiges „Schauen“ in der „Akasha-Chronik“, die aber nur „Eingeweihte“ sehen können. Der Rest soll Steiners Schriften lesen. Das steht der dialektisch-materialistischen Betrachtung der Wirklichkeit diametral entgegen. Die Feindschaft gegen den dialektischen Materialismus als wissenschaftliche Weltanschauung der Arbeiterklasse kennzeichnet den reaktionären, antikommunistischen Charakter der Anthroposophie.

 

Waldorfschulen geben sich ein alternatives, kindgerechtes Image und greifen auch fortschrittliche pädagogische Elemente auf. 245 Waldorfschulen verzeichnen ein Prozent aller Einschulungen in Deutschland. Der Rassismus des Rudolf Steiner ist heute nicht mehr offen Grundlage der Waldorf-Schulen. Die von ihm geprägte idealistische Weltanschauung beruht auf Mystizismus und hellseherischen Fähigkeiten einer kleinen Elite, die den Menschen die Fähigkeit zur Selbstbefreiung aufgrund der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit absprechen. Anthroposophie ist eine elitäre Ideologie des Egoismus und Individualismus.

 

Kein Wunder, dass die anthroposophische Bewegung von Großkapitalisten gefördert wird wie dem Milliardär Götz Werner (dm) oder der Mahle-Stiftung. Zur Bewegung gehören auch die GLS-Bank, Hochschulen, Verlage, Zeitschriften, Kliniken und eine Kirche, die „Christengemeinschaft“.

 

Die unwissenschaftliche anthroposophische Medizin samt Homöopathie hat eine Ausnahmegenehmigung bei der Zulassung von Medikamenten – sie braucht die Wirksamkeit nicht zu belegen. Man darf in Deutschland mit Misteln den Krebs bekämpfen, auch wenn dabei Menschen sterben.

 

Viele Menschen suchen sanfte Medizin, kindgerechte Schulen, ökologische Landwirtschaft – und landen bei Anthroposophen. Einige haben auch fortschrittliche Ansichten, sind keine Rassisten beziehungsweise gegen Faschisten eingestellt. Aber es gibt eine weltanschauliche Identität zwischen Anthroposophie, Impfverweigerung und Corona-Leugnung in ihrer Wissenschaftsfeindlichkeit und Verschwörungsgläubigkeit. So hatte Rudolf Steiner seinerzeit die Spanische Grippe auf die Stellung von Mars, Jupiter und Saturn zurückgeführt – und heute ist angeblich eine identische Konstellation Auslöser der Corona-Pandemie. Es gibt dazu einige absurde Theorien von Anhängern der Antroposophie. Gegen das Virus helfe es, wenn man morgens zehnmal die Buchstaben E, U, A-H und R tanzt1 oder auch Globuli vom Meteor-Eisen einnimmt.2 Wer so einen Blödsinn glaubt, der glaubt auch an den Weihnachtsmann. Die Impfquote im deutschsprachigen Raum ist auch deshalb die niedrigste von ganz Europa, weil hier die Anthroposophen ihre Hochburgen haben.3

 

Waldorfschulen sind immer wieder Brutstätten der Masern, weil die Impfquote oft unterirdisch niedrig ist. In einem Merkblatt anthroposophischer Ärzte heißt es: „Durch das Fieber überwindet das Kind nicht nur die Infektionskrankheit, sondern individualisiert dabei seinen Organismus.“4 Wenn der Individualismus das oberste Gebot ist, wie soll es dann wichtig sein, ob ich andere anstecke, die daran vielleicht sterben? Geisterglaube wird von Anthroposophen gleichberechtigt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen behandelt. Weltanschaulich ist diese scheinbare Vermischung von Idealismus und Materialismus reaktionär, denn überprüfbare wissenschaftliche Erkenntnisse werden durch das esoterische „Bauchgefühl“ in Frage gestellt: „Ich habe meine eigene Wahrheit und mache, was mir gut tut ...“ Das ist oft verbunden mit dem antikommunistischen Mantra, dass es Ausdruck sozialistischer Zwangsherrschaft sei, wenn wissenschaftlich sinnvolle Maßnahmen ergriffen werden wie zum Beispiel Tempolimit, Stopp der Kohleverbrennung oder eben Impfpflicht. Wer Impfpflicht als Eingriff in den „natürlichen Kampf ums Dasein“ empfindet, für den ist der egoistische Freiheitsbegriff die weltanschauliche Brücke, um gemeinsam mit Faschisten gegen Maskenpflicht und Abstand zu demonstrieren.

 

Ihr kleinbürgerlich-individualistischer Freiheitsbegriff macht viele Anthroposophen so zu Mitläufern und Aktivisten in der faschistischen Querfront. Mit Waldorf-Anhängern, die einen fortschrittlichen Anspruch haben, muss darüber die Auseinandersetzung geführt werden, damit sie sich davon lösen können.