Rote Fahne 23/2021
„Bei der Atomkraft werden frechste Lügen nicht gescheut“
Professor Dr. Rolf Bertram warnt angesichts der Versuche bürgerlicher Politiker, der menschheitsgefährdenden Atomkraft eine Renaissance zu verschaffen
Rote Fahne: In den letzten Wochen wird wieder über den Bau neuer Atomkraftwerke in verschiedenen Ländern berichtet. Angeblich eine neue Generation von AKW mit „umweltfreundlicher“ Brückentechnologie. Diese seien kleiner und nicht so gefährlich und würden weniger Atommüll hinterlassen. Was ist davon zu halten?
Prof. Rolf Bertram: Die jüngste Favorisierung neuer AKW ist nicht neu. Dahinter stecken wirtschaftliche Interessen der Großkonzerne, für die der Betrieb von AKW eine sprudelnde Geldquelle bedeutet. Da die Kosten für die Errichtung, die Beschaffung des Brennstoffs (aus Uranerz) und für die Entsorgung des Atommülls vom Staat übernommen werden, ist das ein einträgliches Geschäft. Damit das auch weiter so läuft, wird mit dem Energienotstand argumentiert. Mit der Legende eines bevorstehenden Energieversorgungsnotstands wurden und werden zweifelnde Politiker zum Schweigen gebracht und die Zustimmung der Öffentlichkeit erwirkt.
Wollte man mit Atomenergie den Weltenergiebedarf decken, müsste man über tausend neue Atomkraftwerke bauen. Da deren Laufzeit begrenzt ist, müsste täglich ein AKW stillgelegt und ein AKW neu errichtet werden. Eine horrende Vorstellung. Als ich das in vielen Vorträgen wissenschaftlich belegt habe, stieß ich auf Unglauben. Solch einen Schwindel konnte man sich nicht vorstellen.
Der französische Präsident Emmanuel Macron, US-Präsident Joe Biden und der chinesische Präsident Xi Jinping forcieren Atomkraft als „Ausweg aus der Klimakrise“. Inzwischen hat sich auch Ursula von der Leyen positiv zur Atomkraft geäußert. Atomkraft soll in der EU als nachhaltig eingestuft werden. Was meinen Sie dazu?
Die Klimaproblematik ist für die hohen Herrschaften der Politik höchst willkommen. Können sie doch nun Atomkraft als vermeintlich nachhaltig ins Spiel bringen. Dabei werden auch frechste Lügen nicht gescheut. Viele kleine transportable Reaktoren werden als risikolos und nachhaltig angeboten. Ein Höhepunkt der Verdummungskampagne. Nachhaltig ist nur die Sorge um die bleibende Verseuchung der Umwelt durch Radioaktivität und um die ungelöste Frage: Wohin mit dem Atommüll?
Sie sind seit Jahren aktiv gegen Atomkraftwerke. Welchen Weg muss die Umweltbewegung jetzt gehen angesichts der UN-Klimakonferenz in Glasgow?
Die Umweltbewegung darf sich nicht täuschen lassen. Sie sollte sich bemühen, hinter die Kulissen zu blicken. Einflussreichen Seilschaften des „militärisch-industriellen Komplexes“ gelingt es nach wie vor, durch Korruption und Falschinformationen ein weltumspannendes System des „Atomzeitalters“ zu installieren. Und das mit Duldung und Förderung fast aller Regierungen.
Unter dem Slogan „sauber, sicher und billig“ wird seid eh und je Atomkraft als Lösung künftiger Energieprobleme angepriesen. Sie sollte der Menschheit ein wahres Paradies auf Erden bescheren. Die großen Atomkatastrophen (Tschernobyl, Fukushima) zeigen das Gegenteil. Aus fruchtbaren und lebenswerten Landschaften entstanden nukleare Wüsten, verseucht und unbewohnbar für alle Zeiten. Umgehend sollten mehr Solar- und Windanlagen gefordert werden. Diese natürlichen Energiequellen sind ausreichend, unerschöpflich und schadstofffrei. Es geht um unsere Lebensgrundlage.