Rote Fahne 22/2021
Erdgas statt Kohle? – Der Umwelt-Schwindel fliegt auf
Kletterer von Robin Wood hatten im April am Kraftwerk Münster in Stuttgart gegen die geplante Umrüstung des alten Kohlemeilers der EnBW1 auf Erdgas protestiert. Nun regt sich beim nächsten Projekt der EnBW der Widerstand: bei der ebenso geplanten Umrüstung des Kohlemeilers am Neckarhafen Heilbronn
Quer durch die Republik, von München bis Flensburg, gehört das zur Strategie der „Energiewende“ der Energiekonzerne. Im Januar 2021 gründete Ministerpräsidentin Manuela Schwesig in Mecklenburg-Vorpommern einen Lobbyverband für Erdgas, der zunächst mit 20 Millionen Euro von Nord Stream 2 beziehungsweise Gazprom ausgestattet wurde. Dreist nennt sie ihn mit Unterstützung der Linkspartei „Stiftung Klima- und Umweltschutz MV“. Und so werden quer durch die Republik gleich drei Märchen verbreitet, die die EnBW folgendermaßen zusammenfasst: „Der Fuel Switch auf klimafreundlicheres Erdgas ist nur eine Brückentechnologie auf dem Weg zur Energieerzeugung über grüne Gase wie regenerativ erzeugtem Wasserstoff.“
Die Mär vom klimafreundlicheren Erdgas
Die EnBW rühmt sich des vorzeitigen Kohleausstiegs 2025 und verspricht mit der Umstellung auf Gas eine CO2- Reduzierung von 60 Prozent. Ein Gasturbinenkraftwerk kommt aber nach gültigen Berechnungen nur auf 30 Prozent CO2-Einsparungen gegenüber Steinkohle. Ein Kombi-Gas- und Dampfkraftwerk (GuD) oder ein Kraftwerk mit Kraft-Wärme-Kopplung - wie in Stuttgart geplant – kommt auf 50 Prozent. Der Haken ist, dass dabei die Verluste bei der Förderung und dem Transport von Erdgas unterschlagen werden (sogenannter Vorkettenverlust).
Erdgas besteht hauptsächlich aus Methan. Methan ist auf die entscheidenden nächsten 20 Jahre gerechnet 84-mal klimaschädlicher als CO2.2 Der geschätzte Verlust beträgt bei Pipelines aus Sibirien etwa 2 bis 3 Prozent. Bei Flüssiggas aus den USA sind es 3 bis 8 Prozent, besonders bei mit Fracking-Bohrungen gewonnenem. Wenn man die Klimaschädlichkeit der Methanverluste äquivalent zum CO2-Ausstoß hinzurechnet, ist diese bei Gasturbinenkraftwerken genauso hoch wie bei Kohle. Bei GuD sind es etwa 70 Prozent der Klimaschädlichkeit der Kohleverstromung.
Die Mär von der Brückentechnologie
Investitionen in neue Gaskraftwerke tätigt kein Konzern nur für zehn Jahre, es sei denn, er hat die Zusicherung, dass er gegebenenfalls mit Milliardenzahlungen „entschädigt“ wird. Die Stadtwerke München sagen offen, dass das geplante neue GuD München Nord auch noch in 40 Jahren benötigt wird. Neben dem Gas von Nord Stream 2 sollen an der Nordseeküste drei Übergabestationen für Flüssiggas aus USA gebaut werden. Auch dies wird von einer „Erdgas-Agentur“ promotet. Investitionen für den Gas-Boom sollen sich ja rentieren. Sie verhindern aber Investitionen in erneuerbare Energien. Das bestätigt auch eine Studie aus England. In Baden-Württemberg ist unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann der Windkraftausbau fast zum Stillstand gekommen.
Die Mär von der Anschlussnutzung „Grüne Gase“ und Wasserstoff
Damit wäre man bald super klimaneutral aufgestellt. Ab 2035 beginnend wolle man auf 100 Prozent Wasserstoff und „grüne Gase“ umstellen. Selbst wenn es genügend Wasserstoff gäbe, ist die Umwandlung in Methan als „grünes Gas“, um es dann wieder zu Strom und Wärme zu verfeuern, noch sehr ineffizient. Die Energiekonzerne setzen mit Unterstützung der Regierungen alles daran, Großkraftwerke und Großprojekte wie Offshore-Windparks in Verbindung mit Monster-Stromtrassen weiter auszubauen, um ihr Kapital höchstprofitabel anzulegen.
Statt Greenwashing mit Erdgas fordern wir massiven Ausbau der erneuerbaren Energien, um die fossilen Verbrennungen aller Art bis spätestens 2030 zu beenden. Dabei ist eine Dezentralisierung auf Kosten der Profite der Monopole sinnvoll, wie sie von der MLPD und Bürgerbewegungen gefordert wird. Dass solche Forderungen im aktiven Widerstand durchsetzbar sind, zeigt die Massenbewegung zur Abschaltung der Atomkraftwerke nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima 2011. Doch ohne Paradigmenwechsel, ohne den kapitalistischen Wahn der ständigen Produktions- und Konsumsteigerung zu beenden, bleibt echte „Klimaneutralität“ zur Vermeidung jeder CO2-Anreicherung in der Atmosphäre ein frommer Wunsch.