Rote Fahne 21/2021
Ein Kniefall vor dem Antikommunismus
Zum neuen Buch von Sahra Wagenknecht: „Die Selbstgerechten – mein Gegenprogramm – für Gemeinsinn und Zusammenhalt“
Lange Zeit galt sie als Exponentin des linken Flügels und der kommunistischen Plattform der Partei „Die Linke“ – für manche bürgerliche Kreise sogar als „Vorzeigekommunistin“. Aktuell polarisiert sie die Diskussion in ihrer Partei. Gegen die NRW-Spitzenkandidatin bei der Bundestagswahl gibt es Forderungen nach Parteiausschluss, während sie für ihre Thesen viele Anhänger findet, auch außerhalb ihrer Partei. Ihr neues Buch liest sich in weiten Teilen wie eine Abrechnung mit ihrer Partei – aber auch wie ein Abgesang auf die letzten Reste von sozialistischen Positionen.
Wagenknecht geht es vor allem um ein Gegenprogramm gegen den „Linksliberalismus“, der ihrer Meinung nach weder links noch liberal ist. Diese Strömung ist nicht nur bei der Linken verbreitet, sondern auch bei den Grünen und Teilen der SPD. Sie gibt sich modern, multikulturell, offen, pro-europäisch, kosmopolitisch, pflegt einen ökologischen life-style, legt Wert auf „Diversität“, eine „gender-gerechte“ Sprache und Diskussionskultur. Sie ist abgehoben von großen Teilen der arbeitenden Bevölkerung und hat den Bezug zur Arbeiterbewegung völlig verloren.
Was Wagenknecht in ihrer oftmals zutreffenden Polemik gegen diesen „Linksliberalismus“ allerdings „übersieht“: Diese Strömung ist eine entscheidende Stütze und Trägerin des modernen Antikommunismus. Indem sie den antikommunistischen Kern des „Linksliberalismus“ völlig ausblendet, bleibt ihre Kritik an der Oberfläche. Angesichts der immer krasseren sozialen Gegensätze und des Krisenchaos des imperialistischen Weltsystems entwickelt sie keinerlei Ansatz einer sozialistischen und revolutionären Perspektive.
Eine sozialistische Gesellschaft wird nur an einer Stelle erwähnt: wo Wagenknecht die sozialistische Sowjetunion – ähnlich dem Habsburgischen Kaiserreich – als einen nur durch Gewalt zusammengehaltenen Vielvölkerstaat diffamiert. Damit vertritt Wagenknecht auch explizit den modernen Antikommunismus. In Wahrheit zeichnete sich die sozialistische Sowjetunion durch eine vorbildliche Nationalitätenpolitik aus.
Immer wieder beschwört sie den klassenübergreifenden Zusammenhalt und Gemeinsinn, die Illusion einer „sozialen Marktwirtschaft“ und eines demokratischen Nationalstaates. Ganz im Interesse des herrschenden Monopolkapitals will sie also der kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung einen demokratischen Anstrich verpassen. Faschismus, imperialistische Kriege und Umweltzerstörung, neokoloniale Ausbeutung, Hungerkrisen und andere Ursachen der Flüchtlingsbewegung – all das sind bei ihr bestenfalls noch Randnotizen.
In der von ihr skizzierten Geschichte der Arbeiterbewegung gab es keine Klassenkämpfe, keine Revolutionen – sondern nur Kämpfe um soziale Reformen. Der Aufstieg von faschistischen Parteien und faschistoiden Strömungen wie der AfD und der US-Republikaner um Trump ist ihrer Meinung nach nur eine Reaktion auf den „Linksliberalismus“. Sie ignoriert, dass diese durch die Herrschenden bewusst gefördert werden, weil sie Stützen der imperialistischen Politik sind. Wenn sie ihre Herrschaft in Krisenzeiten bedroht sehen, bereiten sie sich auf einen Wechsel vor, hin zu faschistischen Herrschaftsformen.
Wagenknecht leugnet die Ursachen der gegenwärtigen Rechtsentwicklung, der wachsenden Gefahr von Faschismus und imperialistischer Kriege als Ausdruck des verschärften zwischenimperialistischen Konkurrenzkampfs. Dazu passt, dass sie positiv soziale Zugeständnisse und nationale Ambitionen von faschistoiden Regierungen wie des Orban-Regimes in Ungarn und der polnischen PiS-Rechtsregierung hervorhebt, ebenso deren ultrareaktionäre Flüchtlingspolitik. Gegenüber der fremdenfeindlichen Politik der AfD werden keinerlei Grenzen mehr gezogen. Kein Wunder, dass diese grundsätzliche Infragestellung einer antifaschistischen Grundposition auch innerhalb der Linken auf heftige Kritik stößt.
Früher stand Wagenknecht zumindest noch für Kapitalismuskritik. Dieses Buch dagegen ist – trotz einer oftmals interessanten Kritik am „Linksliberalismus“ – ein Dokument der völligen Kapitulation und eines Kniefalls vor dem modernen Antikommunismus.
So ist nicht verwunderlich, dass ihr Buch „Die Selbstgerechten“ in ihrer Partei eine heftige Kontroverse ausgelöst hat – auch über ihre eigene Selbstgerechtigkeit. Nicht nur bei Anhängern der „linksliberalen“ Strömung, sondern auch unter fortschrittlichen Mitgliedern der Linkspartei, die antifaschistische und antiimperialistische Positionen, wie die Gegnerschaft zur NATO, nicht aufgeben wollen.