Rote Fahne 21/2021

Rote Fahne 21/2021

Da ist Musik drin …

Etwas Neues reift heran: Bereits im Bundestagswahlkampf haben Kolleginnen und Kollegen Kämpfe aufgenommen ...

Von (nh / ps)
Da ist Musik drin …
Streikende GDL-Kollegen in Essen. Foto: RF

... Unerschrocken ließen sich die Eisenbahner der GdL von der Hetze aus den Reihen der bürgerlichen Parteien nicht von ihren Streiks abbringen, der Bahnvorstand musste Zugeständnisse machen. Mutig begannen die Beschäftigten bei der Charité und bei Vivantes in Berlin am 9. September einen unbefristeten Streik. Sie nehmen keine Rücksicht auf den rot-rot-grünen Senat in Berlin, offensiv stellen sie unter anderem auch Forderungen zur Einstellung von weiterem Personal auf.

 

Selbstbewusst stehen die Streikenden unter ihrem Motto: „Wir retten euch – Wer rettet uns?“ für ihre Interessen ein und machen die eigene Rechnung auf. Und am 17. September traten 12.000 Kolleginnen und Kollegen des Airbus-Konzerns konzernweit, kämpferisch organisiert in den Streik, verbanden dies mit Demonstrationen. Feuertonnen wurden herausgeholt. Der  Airbus-Konzernvorstand in Toulouse machte daraufhin einen Rückzieher und rief bei den Betriebsratsvorsitzenden in den Werken an, um auf eine neue Verhandlungsrunde am 9. November zu orientieren. Bei Bosch München positionierten sich die Beschäftigten mit ihren Forderungen „Gemeinsam kämpfen gegen Entlassungen und Klimazerstörung“ und „Es geht um unsere Zukunft – Werk erhalten, Produktion umstellen“ gegen die Spaltung von Arbeiter- und Umweltbewegung.

 

Auch direkt nach der Wahl geht es weiter: Bei Opel in Eisenach sieht sich die Belegschaft mit der Absicht von Stellantis/Opel konfrontiert, das Werk in Eisenach mit 1300 Beschäftigten und vielen Leiharbeitern und Zulieferern zu schließen. Am 23. Oktober ruft die bundesweite Montagsdemo zu regionalen Demonstrationen auf. Und für den 29. Oktober ruft die IG Metall zu regionalen Aktionstagen in ganz Deutschland auf, um den Unternehmerverbänden und der sich neu bildenden Regierung ihre Forderungen deutlich zu machen.

   

Regierungsbildung in Nöten

 

Die Wunschregierung der Konzerne und Banken von Union/FDP erhielt bei der Bundestagswahl eine klare Absage. Enttäuscht gibt sich BDI-Präsident Siegfried Russwurm plötzlich „farbenblind“: „Es kommt auf die Inhalte an, nicht auf Farbenlehre.“ Die CDU ist mit dem schlechtesten Wahlergebnis ihrer Geschichte in eine offene Parteienkrise gestolpert. Die Halbwertzeit ihrer Parteivorsitzenden wird immer kürzer. Nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer in Rekordzeit verschlissen war,  kündigt Armin Laschet nach nicht einmal zehn Monaten an, abzutreten.

 

Die Monopole drängen auf eine offen arbeiter- und volksfeindliche Politik

 

Der internationale Konkurrenzkampf verschärft sich enorm. Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise ist noch nicht ausgestanden. Die Industrieproduktion liegt in Deutschland im 2. Quartal 2021 11,8 Prozent unter dem Vorkrisenstand von 2018, ebenfalls im 2. Quartal. Die Automobilindustrie steckt zudem in einer Strukturkrise mit dem Umbau auf Elektrofahrzeuge. Als relativ neue Erscheinung kommt ein richtiggehendes Chaos in den Lieferketten hinzu. Für die Steigerung der Profitmaximierung soll die staatliche Umverteilung von unten nach oben vorangetrieben und die Belegschaften sollen ausgepresst werden. Einer der obersten Kapitalistenvertreter, Rainer Dulger, der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitergeberverbände (BDA), fordert unverblümt: „Wir brauchen jetzt Entlastungen für Unternehmen, und keine neuen Steuern. Wir brauchen jetzt Vertrauen in die Sozialpartnerschaft und kein Einmischen des Staates in den Mindestlohn.“ Darüber hinaus fordert er unmissverständlich: „Ohne Reformen wird es aber nicht gehen. Denn egal ob bei der Rente, in der Gesundheit oder Pflege: Wer die Sozialversicherungen erhalten will, der muss sie reformieren.“ Was die Unternehmerverbände als „Reform“ bezeichnen, pfeiffen die Spatzen von den Dächern: Renteneintrittsalter erhöhen, Renten kürzen und sich des ganzen von ihnen so genannten „sozialen Klimbim“ entledigen. Keine gute Ausgangslage für die neue Regierung: Hatte die SPD im Wahlkampf doch eine „sozialere Politik“ und die Grünen „mehr Umweltschutz“ versprochen.

 

In den Belegschaften rumort es und es entbrennt der Kampf um die Denkweise

 

Nehmen wir die Abwälzung der Krisenlasten auf den Rücken der Arbeiter und der breiten Massen hin – oder schlagen wir den Weg der Arbeiteroffensive ein? Schon jetzt merkt jeder, dass eine schleichende Entwertung von Lohn und Gehalt stattfindet. Die monatliche Inflationsrate für den September ist auf 4,1 Prozent nach oben geschnellt. Für die Massen sind die Auswirkungen viel gravierender, weil gerade die Ausgaben für den alltäglichen Bedarf um ein Vielfaches wachsen. Die Preissteigerung gegenüber dem Vorjahresmonat beträgt im August 2021 für Heizöl und Kraftstoffe im Schnitt ein Plus von 30,9 Prozent, im Verkehr um 10,5 Prozent, Gemüse um 9 Prozent, Strom, Gas und andere Brennstoffe um 5,9 Prozent, Nahrungsmittel und alkoholfreie Getränke um 4,5 Prozent. Die Inflation ist ein Mittel, um die ins Gigantische angewachsene Staatsverschuldung abzuwälzen. 

 

Und die allgemeine Unzufriedenheit über die kapitalistische Realität wächst. Mehr als eine Million Wähler in Berlin, insgesamt 56,4 Prozent, sprachen sich dafür aus, dass Immobilienkonzerne mit mehr als 3000 Wohnungen vergesellschaftet werden sollen. Die Kritik an der Monopolpolitik wird zunehmend zur Mehrheitsmeinung. In mehr als 470 Städten in ganz Deutschland waren am 24. September Fridays-for-Future-Aktionen organisiert, mit mehr als 620.000 Menschen auf der Straße. Entscheidend ist die Entwicklung in den Betrieben und Gewerkschaften: In vielen Betrieben rumort es. Vierzig Prozent der Betriebe haben „Arbeitsplatzabbau“ angekündigt. Ford versucht, die Werke in Saarlouis und Valencia gegeneinander auszuspielen. Daimler gibt die Aufspaltung des Konzerns bekannt, Airbus die Zerschlagung bisheriger Konzernstrukturen – immer in Verbindung mit Vernichtung tausender Arbeitsplätze. Bosch „prüft“ die Schließung des Werkes in München. Nur vier Tage nach der Bundestagswahl begann Opel am 30. September, die Bänder im Eisenacher Werk leerzufahren. Die Belegschaft soll für drei Monate in Kurzarbeit, angeblich wegen fehlender Halbleiterchips. Aber gleichzeitig soll das in Eisenach produzierte Modell Grandland X dann im französischen Sochaux mit Überstunden weitergebaut werden. Dort sind die Chips kein Problem? Disponenten in Eisenach wurden angewiesen, Teile nach Sochaux umzuleiten. Welchen anderen Grund soll das haben, als das Werk ganz zu schließen? In Eisenach wurden ausgehend auch von der MLPD und der konzernweiten Kollegenzeitung „Blitz“ die Manöver der Geschäftsführung entlarvt, zum Protest aufgerufen, es bildete sich ein Solidaritätskreis zur Unterstützung und Förderung des Kampfs der Opelaner. Zahlreiche Solidaritätserklärungen gingen ein. Der internationale Zusammenschluss wurde gefestigt – siehe auch die Solidaritätserklärung aus Sochaux (Seite 19).

 

Bereitet sich der Boden für einen neuen Übergang zur Arbeiteroffensive auf breiter Front?

 

Kein Wunder, dass Konzernvorstände so aufgeschreckt und zum Teil panisch auf Wahlkampfkundgebungen der Internationalistischen Liste / MLPD reagierten. Bei mehr als 30 Einsätzen vor Betrieben holten sie die Polizei. Ihnen stößt auf, dass spürbar die Klassenselbständigkeit des internationalen Industrieproletariats wächst und sich eine engere Verbindung zwischen den Belegschaften und der MLPD entwickelt. Bei ihren Einsätzen vor den Fabriktoren stieß die MLPD auf eine große Aufgeschlossenheit, eine ganze Reihe Arbeiter und Arbeiterinnen gaben ihre Adresse, um in engeren Kontakt zu treten. In vielen Belegschaften und ihren Familien wächst die Unzufriedenheit über Ausweitung der Leiharbeit,  Flexibilisierung der Arbeitszeit, Verdichtung der Arbeit, Steigerung der Intensität. Diese „betrieblichen“ Fragen verbinden sich mit den Fragen, die das ganze Leben der Massen betreffen. Die verschärfte Inflation, Mietsteigerungen, Anwachsen der Nebenkosten, regionale Unwetterkatastrophen usw. Und es ist eine internationale Erscheinung: In Italien wird ein Generalstreik vorbereitet, in Südafrika kämpfen Metallarbeiter im Stahlbereich und im Maschinenbau unter anderem um höhere Löhne, in Frankreich lehnen sich Automobilarbeiter gegen Überstunden und Ausdehnung der Arbeitszeit auf.

 

Neue Regierung muss Spagat vollführen

 

Offensichtlich schwant den Protagonisten der Regierungsbildung, welchen Spagat sie vollführen sollen. Wie ein Damokles-Schwert schwebt über ihnen der Auftrag der Unternehmerverbände, verstärkt die Krisenlasten auf die Massen und die Natur abzuwälzen. Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, warnt schon einmal: Deutschland müsse wieder „auf der Höhe der Verhältnisse und der Probleme der Gegenwart“ agieren. „Das wird allerdings nicht ohne Debatten, ohne Zumutungen, ohne Anstrengungen möglich sein.“

 

Schon einmal, 2003 bis 2005, scheiterte eine  SPD/Grünen-Regierung unter Gerhard Schröder kläglich. Die Bewegung der Montagsdemonstrationen entwickelte sich zur politisch selbständigen Massenbewegung, fast gleichzeitig entwickelte sich eine Serie konzernweiter Kämpfe und Streiks mit dem Höhepunkt des Opel-Streiks in Bochum im Oktober 2004. Dagegen wurde versucht, die Entwicklung mit dem massiven Einsatz des modernen Antikommunismus zu spalten und aufzuhalten. Stefan Engel schreibt dazu in seinem Buch „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“: „Ein unauslöschliches Signal aus dieser Zeit war dennoch, dass die MLPD erstmals bundesweit bedeutsame Streiks und zentrale Bewegungen der Arbeiter- und Volksbewegung initiieren und prägen konnte. Damit erlebte der moderne Antikommunismus seine bis dahin größte Niederlage. Die aggressive Monopolpolitik führte zudem zu einer offenen Krise des Reformismus, die bis heute nicht beigelegt werden konnte.“ (S. 107/108)

 

Entscheidungen werden herausgefordert

 

Viele Belegschaften stehen vor der Entscheidung, den Kampf aufzunehmen. Entscheidend dafür ist es, das proletarische Selbstbewusstsein aufzubringen, mit der Arbeiterpartei MLPD und im Vertrauen auf die Arbeiter und die breiten Massen in die Offensive zu gehen. Es ist wirklich ein schlechter Witz, dass jedes Management Arbeitsplätze vernichten, Werke schließen und tausenden Familien die Existenz rauben darf, aber es nicht das Recht gibt, dagegen seine Arbeit niederzulegen. Bei Opel Eisenach wurde die aufkommende Kampfbereitschaft mithilfe der Drohung von reformistischen Betriebsratsführern: „Das ist illegal“ erst einmal abgelenkt und die Belegschaft verunsichert. Es gibt in Deutschland kein verbrieftes gesetzliches Streikrecht über Tariffragen hinaus. Darum dürfen Gewerkschaften und Betriebsräte dazu nicht aufrufen. Das Recht auf Streik müssen sich die Belegschaften nehmen und dies damit verbinden, für ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht zu kämpfen.

 

Was hat es mit dem Bochumer Weg auf sich?

 

Es werden in den Opel-Werken seit Jahren Ängste geschürt, Lügen verbreitet und gegen die MLPD antikommunistisch gehetzt. Dazu gehört die Verbreitung der Legende, der „Bochumer Weg“ habe zur Schließung des Opel-Werks in Bochum geführt. Dabei war es genau umgekehrt: 2004 streikten die Bochumer Opelaner im engen Schulterschluss und unterstützt von der MLPD sieben Tage selbstständig mit Werksbesetzung und Torblockaden im Geist der Arbeiteroffensive, konzern- und europaweit wurde die Solidarität entwickelt und der Weltkonzern in die Knie gezwungen. Sie erreichten, dass im Bochumer Werk weitere zehn Jahre Autos gebaut wurden und sich der Geist der Arbeiteroffensive in ganz Deutschland und darüber hinaus verbreitete. Weil 2014 dieser Weg nicht gegangen wurde, konnte die Werkschließung nicht verhindert werden. Die Bochumer Opelaner wurden 2014 nicht zuletzt auch von einigen Betriebsräten und Gewerkschaftsführern regelrecht bekniet,  abzuwarten, es wurde systematisch gegen „die Roten“ gehetzt und gelogen, um die Arbeiter zu verunsichern, einzuschüchtern und vom konsequenten Kampf für die Arbeiterinteressen abzuhalten.

 

Wer konsequent für Arbeiterinteressen eintreten und diese durchsetzen will, der muss auch Partei ergreifen, gegen den Antikommunismus in die Offensive gehen, muss dazu beitragen, ihn gesellschaftlich zu ächten. Die Arbeiterbewegung braucht die offene, differenziert geführte Diskussion über den echten Sozialismus, um das Selbstbewussstsein zu festigen und zu stärken.

 

 

Mit der Arbeiteroffensive als gesellschaftsverändernder Bewegung kommt die Arbeiterklasse im Kampf für die sozialistische Alternative voran. Merkmale der Arbeiteroffensive sind:

  • Den Kampf um Tagesforderungen auf offensive Art führen – auf Kosten der Monopolprofite
  • Der ökonomische Kampf muss mit dem politischen Kampf, mit Forderungen nach demokratischen Rechten und Freiheiten verbunden werden.
  • Für die Befreiung der Frau, Kampfeinheit von Jung und Alt, für eine lebenswerte Zukunft der Jugend!
  • Übergang von Einzel- zu Massenkämpfen
  • Gewerkschaften zu Kampforganisationen machen, gegebenenfalls den gewerkschaftlichen Rahmen durchbrechen, zu selbständigen Kämpfen übergehen und diese möglichst länderübergreifend führen, kämpferische Massenbewegungen in diese Kämpfe aufnehmen.
  • Die Arbeiterklasse braucht eine demokratische Debatte um eine lebenswerte Zukunft und den echten Sozialismus. Gib Antikommunismus keine Chance! Vorwärts zur Arbeiteroffensive!