Rote Fahne 20/2021
Regierungsbildung im Zeichen der Instabilität – Starke taktische Offensive der Internationalistischen Liste/MLPD
In der Berliner Runde am Wahlabend machte keiner der bürgerlichen Spitzenpolitiker einen besonders glücklichen Eindruck ...
... Unions-Kanzlerkandidat Armin Laschet räumte ein, dass die Verluste der CDU „nicht schön“ seien. Die CDU und besonders ihr Kanzlerkandidat wurden regelrecht abgewählt. Wie soll da ausgerechnet Hauptverlierer Laschet als Kanzler der neuen Regierung präsentiert werden? Die SPD (Olaf Scholz) und die Grünen (Annalena Baerbock) profitierten indirekt vom fortschrittlichen Stimmungsumschwung. Die Grünen konnten allerdings ihren kurzzeitigen Hype bis fast an die 30 Prozent-Grenze nicht halten, sondern landeten mit der Losung von der „Klimawahl“ bei knapp 15 Prozent. Die SPD präsentierte sich im Wahlkampf als „Partei des sozialen Ausgleichs“. Scholz konnte als Einäugiger unter den Blinden punkten. Ihr wichtigster Wahlkämpfer war Laschet, den viele notgedrungene SPD-Wähler verhindern wollten.
Die SPD erreichte so 25,7 Prozent und wurde stärkste Partei im Parlament. Wer auch immer Kanzler wird – Scholz oder Laschet – hatte noch nie so wenig Rückhalt in der Bevölkerung – mit jeweils über 70 Prozent der Wahlberechtigten, die ihn nicht gewählt haben.
Offen wie selten forderten die Unternehmerverbände BDI1 und BDA2 ihre volksfeindliche Wunschregierung unter einem Bundeskanzler Armin Laschet im Boot mit Christian Lindner (FDP) ein. Dem folgten entsprechende Kampagnen, zuerst gegen Baerbock, die in der Öffentlichkeit regelrecht zerlegt wurde. Auch gegen Scholz gab es in den letzten zwei Wochen eine Gegenkampagne bis zur Durchsuchung seines Ministeriums. Dennoch erlebten CDU und CSU mit nur noch 24,1 Prozent der Stimmen (–9 Prozentpunkte) ihr schlechtestes Wahlergebnis in der bundesdeutschen Geschichte. Die FDP legte leicht auf 11,5 Prozent (+0,7 Prozentpunkte) zu.
Der fortschrittliche Stimmungsumschwung belebte sich in den letzten Wochen in Arbeiterkämpfen wie dem Streik der Eisenbahner der GDL3 oder dem Streik der Krankenhausbeschäftigten bei Vivantes/Charité in Berlin, die sich zum Teil bewusst gegen die Klassenzusammenarbeitspolitik richteten. Auch gab es Mieterdemos oder den in Deutschland Hunderttausende umfassenden Jugendprotest von „Fridays for Future“. Für Laschet wurde die Hochwasserkatastrophe zum Ausgangspunkt der Niederlage. „Wegen so einem Tag ändert man nicht die Politik“, so brachte er seine menschenverachtende Auffassung und seine Rolle als treuer Dienstleiter von RWE und Co. zum Ausdruck. Tausende von Menschen wurden in den Flutgebieten selbstlos aktiv, Laschet wurde als „Armin Lass-et“ verspottet.
Der fortschrittliche Stimmungsumschwung brachte der Wunschregierung der Monopole eine herbe Niederlage bei. Zugleich bekam er unter dem Einfluss der kleinbürgerlich-parlamentarischen Denkweise einen sonderbaren Anflug: Er stärkte ausgerechnet SPD und Grüne, um eine offen reaktionäre Regierung zu verhindern. Alle Parteien, die von den Massen links von der SPD eingeordnet werden, verloren unter anderem deshalb erheblich an Stimmen, so auch die MLPD. Die Linkspartei brach um 4,3 Prozentpunkte, also um fast die Hälfte ein. Sie rutschte mit 4,9 Prozent sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde und zieht nur wegen ihrer drei gewonnenen Direktmandate geschwächt in den Bundestag ein.
Jede denkbare Koalition wird von Anfang an labil sein. Zumal die Unternehmerverbände klare Erwartungen an die zukünftige Regierung haben. In einer „Zukunfts-Agenda 2030“ verlangt die BDA unter anderem „mehr Flexibilität auf dem Arbeitsmarkt“ und weitere „Öffnungsklauseln in Tarifverträgen“. Schon in den ersten 100 Tagen soll die Regierung ein „Entfesselungsprogramm“ für die Wirtschaft durchsetzen: „Schwerpunkte sollten ein Planungsrecht sein, das Investitionen beschleunigt und nicht verhindert, sowie eine schnellere Digitalisierung der Verwaltung.“ 4 Gemeint ist damit, dass der wachsende Protest und Widerstand aus der Bevölkerung gegen Großprojekte gebrochen wird und Unternehmenssteuern weiter gesenkt werden. Die neue Bundesregierung müsse außerdem in einem ersten Schritt ein „klares Bekenntnis zur Stabilisierung der Sozialversicherungsbeiträge auf 40 Prozent“ abgeben. Dahinter verbergen sich Forderungen wie die nach der Rente mit 70.
Toller Wahlkampf – und schlechtes Wahlergebnis
Die MLPD hat eine erfolgreiche taktische Offensive für den echten Sozialismus und unter dem Motto “Gib Antikommunismus keine Chance!“ durchgeführt. Sie hat dabei mit vielen Kräften des Internationalistischen Bündnisses zusammengearbeitet. Es wurden über 5200 Ausgaben des Buchs „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ vertrieben. Die Unterstützer der Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance!“ wuchsen von 13 000 auf 18 000 an.
Während insbesondere die überregionalen bürgerlichen Massenmedien die Internationalistische Liste/MLPD weitgehend totschwiegen, gingen ihre Wahlkämpfer mit einem offensiven Straßenwahlkampf auf die Leute zu, suchten zigtausendfach das persönliche Gespräch, vorrangig in den Betrieben, vor den Fabriktoren und in Arbeiterwohngebieten, wo sich die bürgerlichen Politiker so gut wie nie sehen lassen. Tausende Menschen lernten sie so erstmals kennen, wie zum Beispiel im folgenden Twitter-Kommentar deutlich wird: „Bin so froh, dass ich eure Partei entdeckt habe. Ihr vertretet genau meine Interessen.“ Ein anderer schrieb: „In diesem Wahlkampf wird mir die MLPD irgendwie von Tag zu Tag sympathischer.“
Welch ein Kontrast: Während bürgerliche Politiker an den Info-Ständen versuchten, sich anzubiedern und Kugelschreiber, Blumen und Luftballons loszuwerden, forderte die Internationalistische Liste /MLPD die Menschen heraus, selbst neue Politiker zu werden, sich mit dem Antikommunismus und dem wissenschaftlichen Sozialismus zu befassen, sich zum Kampf für die Zukunft der Jugend zu organisieren und auch zu spenden. Das war für viele ungewohnt und herausfordernd, traf aber auch auf respektvolle und von deutlich wachsendem Interesse geprägte Reaktionen.
Im Mittelpunkt stand diesmal nicht die Arbeit in die Breite, sondern das persönliche Gespräche mit Gesprächsrunden und Veranstaltungen zum neuen Buch oder Treffen der Wählerinitiativen. Für die Breitenwirkung wurden 120 000 Wahlplakate aufgehängt. Dazu setzten die Wahlkämpfer mit 800 000 Wahlzeitungen und 100 000 Wahlprogramme etwa zwei Drittel weniger schriftliches Material ein als früher, es wurde zum größten Teil persönlich überreicht. Das war gut, hat jedoch zugleich die Wirkung in die Breite eingeschränkt.
Der damit erreichte gesellschaftliche Einfluss der MLPD spiegelt sich noch weniger als bei vorangegangenen Wahlen im Stimmenergebnis wider. Es wählten zumeist nur Menschen aus dem engeren Umfeld die Internationalistische Liste / MLPD. Sie erhielt 17 994 Zweitstimmen und die Direktkandidaten und -kandidatinnen von MLPD und Internationalistischem Bündnis 26 549 Erststimmen. Das bedeutet im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 einen Rückgang von 39,9 Prozent bei den Zweitstimmen und von 32,6 Prozent bei den Erststimmen. Wie ist das zu erklären?
Das Phänomen des taktischen Wählens
Die umfassende Manipulation der öffentlichen Meinung mit in den letzten zwei Wochen fast täglich neuen Talkrunden der Spitzenkandidaten und Umfragen zur Inszenierung eines Kopf-an-Kopf-Rennens beziehungsweise einer sogenannten Schicksalswahl brachten viele Leute ein weiteres Mal dazu, taktisch zu wählen: „Ich finde euch gut, hätte eigentlich MLPD gewählt, aber ich muss mithelfen, Laschet zu verhindern.“ So eine typische Stimme im Internet.
Proteststimmen, die in der Vergangenheit auch der MLPD zugute kamen, zersplitterten sich dieses Mal angesichts der größeren Zahl kandidierender – meist kleiner – Parteien weitaus stärker. Erstmals traten insgesamt 47 Parteien mit 6211 Kandidatinnen > und Kandidaten an. Das wurde durch Senkung der notwendigen Unterschriften für die Wahlzulassung aufgrund der Corona-Pandemie ermöglicht, die auch von der MLPD gefordert und mit erkämpft wurde. Dazu kommt, dass nicht wenige Menschen die MLPD zwar als kämpferische konsequente Arbeiterpartei wahrnehmen, aber weniger als Wahlpartei.
Wirkung des Antikommunismus nicht unterschätzen
Um der Herausbildung der neuen gesellschaftlichen Rolle der MLPD entgegenzuwirken, leiteten die Herrschenden ab 2018 einen konkreten Taktikwechsel im Umgang mit der MLPD ein. Dazu gehörten massive Behinderungen der MLPD, Verleumdungen und ein vom „Verfassungsschutz“ inszeniertes Liquidatorentum in sozialen Bewegungen. Die MLPD hat dagegen polemisiert und wichtige Errungenschaften erzielt, war auch im Bundestagswahlkampf 2021 die von den Herrschenden am meisten bekämpfte Kraft. Mindestens 30 Polizeieinsätze alleine in diesem Wahlkampf, vor allem gegen Kundgebungen vor den Fabriktoren fanden statt, in einigen Städten offenbarten bei den „Fridays for Future“-Demonstrationen liquidatorische Kräfte ihren antikommunistischen Hass.
Die Internationalistische Liste/MLPD hat die Repression und den Antikommunismus offensiv bekämpft. Ein Internet-Nutzer schreibt: „Macht weiter so! Lasst euch nicht einschüchtern. Jetzt erst recht!“ Viele Leute sind empört über diese Angriffe, fühlen sich dadurch herausgefordert und zollen der MLPD Respekt, dass sie dagegen in die Offensive geht und die meisten Angriffe zurückgeschlagen hat. Zugleich wirkt es oft erst mal einschüchternd, wenn führende Repräsentanten kriminalisiert, wie Stefan Engel als „Gefährder“ verfolgt, mit antikommunistischen Kampfbegriffen belegt oder wie die Genossen der Bündnisorganisation ATIF wegen ihrer marxistisch-leninistischen Weltanschauung sogar über Jahre in deutschen Gefängnissen inhaftiert werden. Die gestiegene Kapitalismuskritik und Offenheit für den echten Sozialismus bedeutet noch nicht, mit der kleinbürgerlich-antikommunistischen Denkweise schon fertig zu sein. Die antikommunistische „Rote Socken“-Kampagne von Laschet und Söder brachte ihnen zum einen viel Hohn und Spott ein, trug aber auch zur Verunsicherung bei und ermöglichte es den Unionsparteien, noch ein Viertel mehr an Stimmen zu holen, als in Umfragen zeitweise prognostiziert.
Zugleich hatte die Internationalistische Liste/MLPD auch bei den Wählerstimmen Erfolge, insbesondere dort, wo Konzentrationspunkte der systematischen Kleinarbeit der MLPD liegen. So konnte sie in Thüringen in allen Wahlkreisen Stimmen dazugewinnen. Die dort gezählten 5639 wahrscheinlichen Wähler sind doppelt so viele wie letztes Mal. Das ist ein Erfolg der ganzen MLPD und ihrer Aufbauarbeit der letzten Jahre in dem Bundesland. Es gelang aber auch in einzelnen weiteren Orten, in denen eine intensive Kleinarbeit entwickelt wurde, Ergebnisse zu steigern oder gute zu halten.
Bleibende Erfolge sichern, Schwächen überwinden
Die MLPD kann auf dem Fundament und den Errungenschaften aufbauen, die in dieser taktischen Offensive gelegt wurden. Erfolgreich war die besondere Aufbauarbeit während der taktischen Offensive in Ostniedersachsen, die sich besonders an die Beschäftigten der großen VW-Werke und ihre Familien richtete. All das wird die MLPD gründlich auswerten.
Das gilt auch für Probleme und Schwächen in der taktischen Offensive. Eine solche Kampagne muss langfristig und allseitig gründlich vorbereitet sein. Einige Dinge kamen zu spät, wie zum Beispiel die wichtigen Kandidatenflyer. Nicht alles war zu Ende durchdacht, sodass zum Teil Hektik aufkam. Das betrifft vor allem die Öffentlichkeitsarbeit und den Wahlkampf der Direktkandidaten, auch die Ausbildung dazu. Vor allem gelang es erst in Ansätzen, einen wirklichen Jugendwahlkampf zu machen. Es braucht eine bessere auf die Jugend bezogene Strategie und Taktik. Und mehr niederschwellige Aktivitäten sowie eine Kulturarbeit, die einer wachsenden Masse vor allem junger Menschen die Teilnahme erleichtern. Die Seite der unverbrüchlichen Solidarität gewinnt gerade in Zeiten der Polarisierung und zunehmenden Angriffe auf die MLPD an Bedeutung.
Bundesweit gelang es, zahlreiche neue Wahlkämpferinnen und Wahlkämpfer, Kontakte, sowie Interessentinnen und Interessenten für die MLPD und ihren Jugendverband REBELL zu gewinnen. Jetzt geht es darum, viele für die dauerhafte organisierte Zusammenarbeit, vor allem als Mitglieder, zu überzeugen und auszubilden. Die MLPD nimmt sich dafür bewusst die nächsten Monate Zeit. Sie konzentriert sich dabei auf die Arbeiterinnen und Arbeiter sowie auf die Jugend.
Auch das bedeutet in großem Maße Bewusstseinsbildung. Um mit aufgewärmten Illusionen in die SPD als Partei der „sozialen Gerechtigkeit“ fertig zu werden, aber auch mit der sozialfaschistoiden Demagogie der AfD, die unter den Arbeitern immerhin zweitstärkste Kraft wurde. Die MLPD wird dazu ihre Offensive für Vertrieb und Aneignung des Buchs „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Antikommunismus“ verstärken. Das umfasst auch die Höherentwicklung des Wechselverhältnisses zwischen Parteiaufbau und Förderung der Selbstorganisation der Massen wie etwa in den Gewerkschaften.
Schon jetzt spüren viele Arbeiter und ihre Familien, dass nach der Wahl ein drastischeres Vorgehen von Monopolen und Staat zur Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen droht. Die MLPD wird alles tun, um den Übergang zur Arbeiteroffensive auf breiter Front voranzutreiben und stellt sich auf die Vorbereitung, Auslösung und Führung von zunehmenden und härteren Kämpfen ein.
Vielen Dank an alle Mitstreiterinnen und Mitstreiter für diesen engagierten Wahlkampf! Es ist nun wichtig, diese Ergebnisse mit allen Freunden, Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen zu diskutieren, auszuwerten und Schlussfolgerungen zu ziehen.