Rote Fahne 17/2021
„Dieses System hat die Toten zu verantworten ...“
Den größten Teil der Hilfseinsätze nach dem Hochwasser im Westen Deutschlands leisteten Tausende freiwillige Helfer aus ganz Deutschland in selbstorganisierter Arbeit. Sie halfen und helfen vor allem beim Wegräumen von Schlamm, Müll, zerstörten Einrichtungen sowie bei der Reinigung und Reparatur der Häuser. Im Einsatz waren natürlich auch viele professionelle Katastrophenhelfer. Ein Korrespondent berichtet von seinen Erfahrungen beim Technischen Hilfswerk (THW)
Vom Nürburgring aus starten jeden Tag hunderte Helfer mit allem nur möglichen verfügbaren Gerät wie Boote, Bagger, Tieflader, Notstromaggregate, Notwasserversorgung, Feldküchen und so weiter in die Katastrophengebiete in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen. Egal ob THW, Feuerwehr oder die Katastrophenschutzzüge – aus ganz Deutschland sind hier die Helfer vertreten. Auch die Bundeswehr mit Tankfahrzeugen, Räumpanzern räumen Straßen und errichten Notbrücken, damit abgeschnittene Orte überhaupt erreicht werden können.
Wut und Empörung breitet sich aber aus – warum wohl? Die ganze Kommunikation und Organisation ist selbst eine Katastrophe – so dauert es zehn Stunden von der Anforderung eines Rettungswagens bis dieser am notwendigen Ort eintrifft. Zahlreiche Helfer wollen anpacken, bleiben tagelang aber auf dem Bereitstellungsplatz sitzen, da es keine vernünftige Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Organisationen gibt.
Wer glaubt, korrekte Informationen über befahrbare Wege oder noch vorhandene Übergänge zu bekommen – Fehlanzeige. Ort und Straße wurden mitgeteilt, das war es. „Schaltet doch Googlemaps ein – da wird regelmäßig aktualisiert, welche Straßen noch befahrbar sind“ – so die Aussage der Abschnittsleitung. Dass dies nur online möglich ist, es aber nicht überall Handyempfang gibt, spielte keine Rolle. Nach Stunden waren wir fast am Ziel, erreichten aber den Ort nicht, da der Zugang plötzlich eine Einbahnstraße war – Schilder fehlten. Dieser Einsatz musste abgebrochen werden – uns kamen ja die Lastwagen und Bagger entgegen.
Schleswig-Holstein schickte 200 Fahrzeuge mit über 600 Leuten. Wer hat bessere Erfahrung, was Flut- oder Hochwasser betrifft, als diese? Auch diese Helfer wurden nicht sofort eingesetzt. Erst als die entsprechenden Innenminister eingeschaltet wurden, konnten die Helfer und Helferinnen tatkräftig anpacken und haben unter anderem in Altenburg die ganze Nacht durchgearbeitet, um die Straßen zu säubern, damit die Bautrupps weitermachen konnten. Ruhepausen spielten keine Rolle. Da wurde – und nicht nur dort – bis zur Erschöpfung angepackt und zugelangt.
Im Nürburgring gibt es mobile Duschen – diese sind mit warmem Wasser ausgestattet und sogar beheizt. In Altenburg habe ich keine entdeckt – da wäre es aber ebenfalls notwendig gewesen, welche hinzustellen. Am Samstag gab es hier weder Strom noch Wasser, aber immerhin saubere Dixi-Toiletten. Die Bewohner und zahlreiche Helfer aus der Umgebung haben es geschafft, einen eigenen Versorgungsstand aufzubauen und so über 1000 Portionen Essen jeden Tag zu verteilen – das gibt eine Vorstellung, wie Katastrophenhilfe gestützt auf die Massen auch im Sozialismus funktionieren würde. Hier merkte man deutlich, dass die Behauptung, der Mensch sei nur egoistisch, ein Märchen ist. Gegenseitige Hilfe und Unterstützung waren hier Trumpf.
Der Ort ist zerstört und es sind Bilder, wie wir sie alle noch nie gesehen haben. In mir steigt die Wut hoch: Warum durfte in einem ehemaligen Flussbett überhaupt gebaut werden? Die Behörden, die dort Baugenehmigungen erteilt haben, sind auch für den Schadenersatz verantwortlich – ohne Wenn und Aber.
Die Menschen können dort nicht mehr wohnen – warum? Der Boden ist verseucht durch Fäkalien und vor allem Öl und Benzin. In der Nähe ist eine Tankstelle leckgeschlagen und das Wasser hat den Boden kontaminiert – in welchem Umfang, ist nicht bekannt. Ein großes Problem ist, dass sich unter den Häusern riesige Hohlräume befinden und nicht sicher ist, ob – wie in Thüringen – plötzlich Löcher entstehen, in die diese dann fallen. Das hat uns ein Statiker erzählt, der ebenfalls, wie viele hier, freiwillig dafür gesorgt hat, dass die herumliegenden Gastanks entlüftet wurden.
Die Schäden gehen in die Milliarden und der Aufbau wird Jahre dauern. Geld ist aber genug da – siehe Rettung der Lufthansa oder TUI. Die Forderung nach sofortigem Neuaufbau der Infrastruktur und Ersatzbau für Wohnungen auf Kosten der Monopole und des Staates muss gestellt werden – ohne dafür die Steuern der Massen zu erhöhen.
Eine Arbeitskollegin ist empört und wütend: Warum wurde nicht früher gewarnt? Aus Kostengründen wurden die Sirenen abgebaut – nicht erneuert und sich auf die Warnapps per Handy verlassen. Wer hört das schon mitten in der Nacht? Viele alte Menschen haben gar kein modernes Handy. Dieses System hat jeden einzelnen Menschen auf dem Gewissen, der ums Leben gekommen ist. Ein Helfer (der in der Nähe des Ortes wohnt) erzählt mir, dass er die schwarze Wolke über dem Gebiet gesehen und das Schlimmste befürchtet hat. Diese blieb am Fleck und rührte sich nicht. Mittlerweile ist bekannt, dass es schon Tage vorher Warnungen gab, die aber von den Behörden nicht ernst genommen wurden.
Die Menschen fordern:
* Sofortige Bereitstellung der Technik für Notwasser, Duschen, Notstromversorgung und Feldküchen in jedes zerstörte Dorf in Verbindung mit kostenlosem Essen, medizinischer Betreuung.
* Kostenloses Impfen gegen Tetanus und Cholera – Ausgabe von FFP2-Masken.
* Aufbau von Bürgerkomitees in jedem zerstörten Dorf, damit die Einwohner selber entscheiden und demokratisch mitbestimmen können, was die konkrete Lage, aber auch was die Zukunft des Dorfes betrifft.
* Eine Struktur, damit die verschiedenen Hilfsorganisationen zusammenarbeiten. Einrichtung von Streckenposten, die die Gegend kennen und entsprechend die Hilfstransporte leiten können.