Rote Fahne 17/2021
Das unsägliche Pokern der Regierung mit unserer Gesundheit
Nach eineinhalb Jahren stolpern in Deutschland die Verantwortlichen von Bundes- und Landesregierungen ...
... in eine neue, mit zunehmender Geschwindigkeit heranrollende vierte Corona-Welle. Ständig werden sich widersprechende Meldungen verbreitet, kurzfristige Änderungen vorgenommen. Der Schulstart nach dem Sommer verläuft chaotisch wie im letzten Jahr, bis heute stehen im Großteil der Klassenzimmer keine Luftfilter zur Verfügung. Weltweit steigt derzeit die Zahl der Corona-Toten auf über 4,3 Millionen. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen wuchs in den USA innerhalb von vier Wochen wieder von 5543 auf 155 575, die Lage in Lateinamerika verschärft sich. Auch in Deutschland steigen die Infektionszahlen wieder beständig an, dabei stehen die Schulöffnungen erst bevor und ein großer Teil der Schüler ist nicht geimpft. Äußerten sich im November letzten Jahres 44 Prozent unzufrieden mit dem Corona-Krisenmanagement, waren es im Juli 2021 fast 60 Prozent. Die Herrschenden hoffen, dass sie sich mit halblebigen Maßnahmen über den Zeitraum bis zur Bundestagswahl retten können, ohne dass sich massenhafte Kritik und wachsender Widerstand über ihnen zusammenbraut. Denn dieses Pokerspiel mit der Gesundheit der Bevölkerung ist brandgefährlich!
Dabei wäre es eigentlich kein Problem, mit einer solchen Pandemie fertigzuwerden und sie könnte längst überwunden sein. Dazu müssten die vorhandenen Kräfte und Potenziale nur weltweit gezielt eingesetzt und entwickelt werden. Doch in vielen Ländern auf der Welt fehlt es immer noch an Grundausstattungen wie Schutzmasken, Desinfektionsmittel und Schutzkleidung, überhaupt an einem funktionierenden Gesundheitswesen mit Pandemie-Notfallplänen. Eine internationale Kooperation in Forschung und Wissenschaft als weltweiter Forschungsverbund aus Facharbeitern, Wissenschaftlern und Ingenieuren könnte die Entwicklung und Weiterentwicklung sowie weltweite Verteilung gut geprüfter Impfstoffe an alle Menschen organisieren. Das setzt natürlich voraus, dass das Patentrecht aufgehoben wird und alle Staaten den Zugang zu den Impfstoffen und zur Produktion von Impfstoffen bekommen. Genauso könnten durch eine konzentrierte Initiative dringend benötigte Medikamente für die Behandlung der Infizierten entwickelt werden. Kurze schlagkräftige Lockdowns bei auftretenden Hotspots der Pandemie könnten und müssten in Verbindung mit umfassender Versorgung und Betreuung der Betroffenen durchgeführt werden. Möglich wäre eine umfassende Aufklärung, Überzeugung und Mobilisierung der Massen für den Kampf gegen die Pandemie und insbesondere die Impfung im Interesse der Allgemeinheit. Dies schließt ein, Fake News, Verschwörungstheorien und faschistischer Demagogie entschieden entgegenzutreten. Das alles wäre möglich, wenn nicht die Erzielung von Maximalprofiten für die internationalen Übermonopole die heilige Kuh wäre, an der nicht gerüttelt wird. In vereinigten sozialistischen Staaten auf der Welt wäre all dies natürlich auch eine besondere Anstrengung, aber zugleich eine Selbstverständlichkeit im Interesse des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung. Unter der Herrschaft des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals, seiner imperialistischen Konkurrenz und kapitalistischen Profitwirtschaft entwickelt sich die Corona-Pandemie jedoch zu einer katastrophalen Dauerkrise mit vielen Millionen Toten.
Dieser bürgerlichen Gesellschaft sind gesellschaftlich finanzierte Impfstoffe Quelle für privat angeeigneten Maximalprofit. Allein der mit Steuergeldern aufgebaute und mit mindestens 375 Millionen Euro an Subventionen finanzierte Konzern Biontech erzielte im ersten Quartal 2021 einen Umsatz von 2,05 Milliarden Euro mit einem Nettogewinn von 1,13 Milliarden Euro!1 Von einer solchen Profitrate können andere Monopole nur träumen. Gleichzeitig wird ein großer Teil der Weltbevölkerung durch Impfstoffknappheit in eine vermeidbare und teils tödliche Gesundheitskrise getrieben und fehlt es ihnen am Notwendigsten zum Leben. In abhängigen Ländern beträgt die Impfquote gerade einmal zwei Prozent.
Der imperialistische Konkurrenzkampf und das Patentrecht verhindern, dass rasch ausreichend Impfstoff für die ganze Welt produziert und verteilt wird. So kann das Coronavirus weiter wüten, können sich immer wieder neue Corona-Varianten herausbilden, einschließlich der Gefahr ständig neuer Pandemie-Wellen oder gar einer Impfstoff-Resistenz solcher Varianten.
Die Unfähigkeit der bürgerlichen Krisenmanager
Auf einmal beklagen sich die bürgerlichen Politiker über eine um sich greifende „Impfmüdigkeit“. Dabei hat die Regierung selbst monatelang den Eindruck erweckt, das Schlimmste in Deutschland sei mit den begonnenen Impfungen überstanden, alles werde wieder „normal“. Schutzmaßnahmen wurden zurückgefahren, die Bevölkerung in Sicherheit gewogen. Das ging einher mit verwirrenden Meldungen am laufenden Band. Die Erkrankung von Jugendlichen und Kindern sei gar nicht so schlimm; die Ständige Impfkommission spricht sich gegen die Impfung von Kindern aus; auch die Ministerpräsidenten-Runde am 10. August verzichtete weitgehend auf ernsthafte Maßnahmen gegen eine vierte Welle. Einig war sie sich trotz aller Widersprüche vor allem darin: keine Maßnahmen zu treffen, die die Profite der Konzerne beeinträchtigen könnten. Deswegen dürfe es auch „keinen weiteren Lockdown mehr geben“. Ein kurzzeitiger, konsequenter Lockdown auf Kosten der Profite in Verbindung mit der verstärkten Durchimpfung der Bevölkerung wäre jedoch ein geeignetes Mittel, um eine sich entfaltende vierte Welle zu brechen. Die einzige deutliche Veränderung, die tatsächlich vorgenommen wurde, ist direkt kontraproduktiv: Ab dem 10. Oktober muss man die Tests auch noch selber bezahlen – eine Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen. Die Tests werden damit bewusst heruntergefahren, was die Ausbreitung des Virus fördert. Nötig ist stattdessen, kostenlose Massentests auszuweiten, für Geimpfte wie Ungeimpfte, um Infizierte schnell herauszufinden und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.
Vor allem wurde darauf verzichtet, mobile Impfstationen massiv auszuweiten, vor Schulen, Supermärkten, Stadien oder in den Stadtteilen, um noch viel mehr Ungeimpfte zu erreichen. Hier stehen nämlich die Menschen Schlange, die oft wegen schwierigen Arbeitsbedingungen nicht die Zeit haben oder seltener in Arztpraxen gehen. Ein Teil der noch nicht Geimpften hat nichts grundsätzlich gegen eine Impfung, scheut aber bürokatische Hürden oder schätzt die Gefahren gering.
Bezogen auf die Altersgruppen sind derzeit vor allem Jugendliche ab zwölf Jahren und junge Erwachsene vom steigenden Infektionsgeschehen betroffen. In den USA steigen die Infektionsfälle bei Kindern explosionsartig an. Allein in der ersten Augustwoche wurden fast 94 000 Coronafälle bei Kindern dokumentiert. Die Zahl der Krankenhauseinweisungen von Kindern lag gemessen an der Bevölkerungszahl 3,75-mal höher als noch vor einem Monat.2
So viel zu der ständig erzählten Lüge, Kinder würden sich kaum anstecken. Jetzt erzählen die Herrschenden wieder, sie würden dafür aber in keinem Fall schwer erkranken. Sicherlich, der Krankheitsverlauf ist im Durchschnitt leichter als bei älteren Menschen. Aber: In mehreren Bundestaaten der USA meldeten die Hospitäler bereits Engpässe auf den Kinderintensivstationen, wo die Zahl der Einweisungen binnen vier Wochen teilweise um 600 Pozent bis 1000 Prozent gestiegen ist. Völlig außer Acht lassen die Herrschenden die Gefahren langfristiger Erkrankungen und Schäden wie Long-Covid. Dr. Daniel Vilser von der Spezialambulanz für Kinder mit Corona-Langzeitfolgen an der Uniklinik in Jena berichtet: „In Großbritannien gibt es 30 000 Kinder mit Long-Covid. Es wird hier auch so sein. … Je mehr Infektionen auftreten unter Kindern, desto mehr wird es Long-Covid-Fälle geben. Ohne Impfung kommt die Infektion zu den Kindern.“3 Symptome bei Long-Covid beziehungsweise Post-Covid sind: Erschöpfung, niedrige Belastbarkeit, Kopf- und Muskelschmerzen, Müdigkeit, Schlafstörungen, Kreislaufprobleme, Luftnot, Schwäche, Depressionen. Rund 3,6 Millionen Menschen in Deutschland gelten offiziell nach einer Covid-19-Erkrankung als genesen. Auch der Sozialverband VdK warnt in diesem Zusammenhang vor trügerischer Sicherheit: „Doch etwa jeder achte bis zehnte von ihnen kämpft noch mit Langzeitfolgen … . Und das sind nicht nur Alte.“4 Es könnten heute schon 400 000 Menschen allein in Deutschland davon betroffen sein, mit möglicherweise Dauerschäden.
Massendebatte um Impfungen
Laut Bundeskanzlerin Merkel sind sich Bund und Länder einig, „dass jeder eine Verantwortung trägt“ und „rufen dazu auf, für die Impfung zu werben“. Doch: War es nicht die Regierung, die selbst in den letzten Monaten maßgeblich gefördert hat, die Wachsamkeit unter den Menschen einzuschläfern. Das wird durch Kampagnen der Bild-Zeitung angeheizt. Durch verfälschte Meldungen wird die Zahl der Impfgegner gezielt überhöht dargestellt. Tatsächlich war im Mai die Impfbereitschaft der deutschen Bevölkerung mit 75 Prozent höher als je zuvor.5 Jetzt nach den Sommerferien steigen auch die Impfungen wieder deutlich an. Unter dem Eindruck der steigenden Infektionszahlen ließen sich in den USA knapp 21 Prozent der Erwachsenen mittlerweile impfen, die dies im Januar noch abgelehnt hatten.6
War es nicht die von Regierungsseite geschürte Konfusion, die Förderung von Ängsten gegenüber Impfungen von Kindern und Jugendlichen und das Gewährenlassen von Impfgegnern wie in der Querdenker-Bewegung, die maßgeblich zur Verunsicherung beigetragen haben? Und unter Ungeimpften wird die heranrollende vierte Corona-Welle die drastischsten Folgen haben.
Reaktionäre Impfgegner schüren irreführende Skepsis
Reaktionäre Impfgegner schüren mit ihrem egoistischen Ruf nach „individueller Freiheit“ und der Stimmungsmache gegen angebliche massenhafte gefährliche Nebenwirkungen der Impfungen eine allgemeine Skepsis. Aus der Tatsache, dass auch eine Impfung nicht zu 100 Prozent schützen kann, ziehen sie fälschlich den gefährlichen Schluss, Impfungen generell abzulehnen. Nach einer aktuellen Studie in den USA kam in einer Woche auf 1000 Geimpfte ein symptomatischer Impdurchbruch bei bereits Geimpften und auf 1000 symptomatische Impfdurchbrüche kommt ein Todesfall7 – das heißt auf eine Million Geimpfte ein Todesfall! Menschen, die derzeit wegen Covid-19 in den USA im Krankenhaus behandelt werden, sind dagegen zu 99,9 Prozent ungeimpft. Die reaktionären und faschistoiden Führer der Querdenkerbewegung setzen gezielt am durchaus berechtigten Misstrauen der Menschen gegen Maßnahmen der Regierung oder auch einer Kritik am heutigen Medizinbetrieb an. Das wird aber verfälscht in eine allgemeine Skepsis gegen jeglichen wissenschaftlichen Fortschritt, gegen die revolutionären Produktivkräfte. Ein solch negativistisches Herangehen wirkt zerstörerisch oder auch selbstzerstörerisch.So erklärte der reaktionäre US-Radiomoderator Dick Farell, der ein vehementer Gegner war, auf seinem Totenbett: „Ich wünschte, ich hätte die Impfung bekommen.“
Behauptung: „Impfungen bringen nichts“: Von den vollständig Geimpften in Berlin erkrankten bis zum 21. Juni insgesamt 433 Personen an Covid-19. Die Gesamtzahl der Infektionen Ungeimpfter in Berlin stieg alleine am 12. August um 358 auf 18 500. Also alleine an einem Tag infizierten sich hier fast so viel Ungeimpfte wie Geimpfte in sechs Monaten. In den letzten sieben Tagen bis zum 12. August infizierten sich 1628 Ungeimpfte, das ist in einer Woche das Vierfache der Infektionszahl für Geimpfte im gesamten Zeitraum von sechs Monaten. Ein klarer Beleg für die Wirkung der Impfungen.
Behauptung: „Tausende sind nach Corona-Impfungen gestorben“: Richtig ist: Dem Paul-Ehrlich-Institut wurden bis Ende Juni 1028 Todesfälle in zeitlichem Zusammenhang mit Corona-Impfungen gemeldet. Mit eingerechnet sind Todesfälle, die mit der Impfung überhaupt nichts zu tun haben. Bis dahin wurden 75 Millionen Corona-Impfungen in Deutschland verabreicht. Das heißt, dass pro 100 Impfungen weniger als 0,001 Todesfälle in irgendeinem zeitlichen Zusammenhang stehen. An oder mit Corona verstorben waren bis Ende Juni 91 459 Menschen. Bei Corona-Infektionen nehmen zwei von 100 einen tödlichen Ausgang. Das Risiko, daran zu sterben, liegt selbst bei Jüngeren noch etwa 100-mal höher als das Komplikationsrisiko durch Impfungen.8
Klarheit erreichen – gemeinsamer Kampf statt Spaltung
Covid-19 kann aus gesellschaftlicher Sicht nur in Verbindung mit einer weltweit hohen Impfquote besiegt werden. Ist das nicht der Fall, werden immer wieder neue und gefährliche Mutationen entstehen, die erreichte Fortschritte wieder zunichtemachen. Hinzu kommt muss natürlich auch eine viel effektivere Forschung an Medikamenten, Vorbeugungsmaßnahmen, Hygieneschutz und Ähnliches. Der Sieg über die Pandemie ist auch deswegen im Interesse der internationalen Arbeiterbewegung und aller Unterdrückten, weil der notwendige gesellschaftsverändernde Kampf gegen den Imperialismus ohne Sieg über die Pandemie gar nicht umfassend geführt werden kann.
Es ist von großer Bedeutung, diese Auseinandersetzungen prinzipiell auszutragen und weltanschaulich zu klären! Das wird die Internationalistische Liste / MLPD auch in ihrem Wahlkampf voranbringen. Sie setzt sich grundsätzlich mit der Querdenker-Bewegung auseinander. Sie wird alles daran setzen, die Krise dieser Bewegung zu vertiefen und die Auseinandersetzung mit Menschen verstärken, die davon beeinflusst sind. Sie wird den Kampf um notwendige Sofortmaßnahmen fördern und eine sozialistische Perspektive als Antwort auf das kapitalistische Krisenchaos verankern. Sie fördert eine breite Aufklärungsarbeit für das Impfen genauso wie den gemeinsamen Kampf gegen das gescheiterte Krisenmanagement der Herrschenden. Ganz in dem Sinne, die Zukunft selbst in die Hand zu nehmen und die vorhandenen Voraussetzungen für ein Leben in Einheit mit der Natur in einer befreiten sozialistischen Gesellschaft zur Entfaltung zu bringen. Wer daran Interesse hat, sollte mitmachen – insbesondere in ihren Wählerinitiativen. Wer dem Krisenchaos konsequent und gänzlich an die Wurzel will, der wird am besten auch Mitglied der MLPD oder ihres Jugendverbands REBELL. Herzlich willkommen!