Rote Fahne 13/2021
Wie kann man das „Massaker von Katyn“ richtig beurteilen?
„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen.“1 So begannen Karl Marx und Friedrich Engels 1847/48 ihr „Manifest der Kommunistischen Partei“. Seitdem hilft diese Erkenntnis, geschichtliche Ereignisse zu beurteilen, seine eigenen Urteile und Vorurteile zu prüfen und dann zu handeln
Gerade die Zusammenhänge des „Massakers von Katyn“, bei dem Anfang der 1940er Jahre in Westrussland Tausende polnischer Offiziere ermordet wurden, sind ohne Prüfung politischer Zusammenhänge nicht tiefgehend zu verstehen. Wer kämpfte damals gegen wen? Seit 1941 führte das faschistische Deutsche Reich einen ungerechten imperialistischen Krieg gegen die sozialistische Sowjetunion. Diese kämpfte mit der Anti-Hitler-Koalition (mit Großbritannien und den USA) einen gerechten antifaschistischen Befreiungskrieg. Dieser Gegensatz bleibt wesentliche Grundlage der Beurteilung des Massakers von Katyn. Demokraten hatten damals keine Zweifel, auf welcher Seite sie stehen sollten.
Dass die mehr als 4 000 Erschießungen in Katyn ein Massaker waren, darin stimmen alle Historiker überein. Gestritten wird darüber, wer die Täter waren. Deutsche Medien berichteten seit dem April 1943 von Leichen polnischer Soldaten, die sie in einem Massengrab bei Katyn entdeckt hatten. Die von Joseph Goebbels herausgegebene Zeitung „Der Angriff“ titelte: „Bolschewistischer Massenmord. Das wahre Gesicht Moskaus“.2
Wenig später enthüllte die Sowjetunion über Radio und Presse, dass es faschistische Kräfte waren, die im Herbst 1941 das Gebiet um Katyn besetzt und dann die polnischen Offiziere ermordet hatten. Das überzeugte viele, die von den deutschen Gräueln in Polen und der Ukraine wussten, etwa von der Ermordung der mehr als 30 000 Juden in der Schlucht von Babi Jar im September 1941. Der Betrug sollte nicht nur von den eigenen Verbrechen der Faschisten ablenken, sondern auch von der Wende im Krieg. Anfang 1943 zeigte die Niederlage der Nazi-Armee in Stalingrad, dass die Rote Armee siegen wird. Da organisierte die Wehrmacht eine Internationale Untersuchungskommission. Diese produzierte im Mai 1943 einen Bericht und führte Delegationen aus Kriegsgefangenen und Journalisten zur Besichtigung der Massengräber. Die Faschisten wollten glauben machen, dass die Morde schon im Mai 1940 vom sowjetischen Geheimdienst verübt wurden.
Im September 1943 eroberte die Rote Armee das Gebiet um Katyn zurück. Eine sowjetische Kommission untersuchte die Leichen erneut und fand bestätigt, dass die polnischen Offiziere im Herbst 1941 von der deutschen Wehrmacht ermordet wurden. Sie erklärte: „Im Winter 1942 / 43 änderte sich die allgemeine militärische Lage schroff zu ungunsten der Deutschen. … Die Deutschen schritten zu einer Provokation und benutzten zu diesem Zweck die von ihnen im Wald von Katyn begangenen Verbrechen, die sie den Organen der Sowjetmacht in die Schuhe schoben.“3
Zwei Beurteilungen der Morde von Katyn lagen bei Kriegsende Historikern, Politikern und Journalisten vor. Seitdem entschied vor allem die weltanschauliche Position der Autoren, ob sie Faschisten oder Sowjets für schuldig erklärten. Die Rote Fahne ging bereits mehrfach auf die Beurteilung der gegensätzlichen Indizien ein und widerlegte die faschistische und genauso kritisch die zurzeit vorherrschende bürgerliche Geschichtsschreibung.
Kalter Krieg – Imperialismus gegen Sozialismus
Nach dem II. Weltkrieg zerbrachen die Imperialisten die Anti-Hitler-Koalition. 1950 begannen sie den Korea-Krieg; in den USA wütete der Antikommunismus. Die Propaganda des Kalten Kriegs machte zunehmend nur noch die sozialistische Sowjetunion für das Massaker von Katyn verantwortlich. Als sich 1991 die Sowjetunion auflöste, wollte die Führung Russlands nun offen kapitalistische Verhältnisse in Wirtschaft, Politik und Ideologie durchsetzen – gegen Teile der Bevölkerung, die sich noch an das Leben im Sozialismus erinnerten.
Ein moderner Antikommunismus entstand im Osten wie im Westen, und der nutzte Katyn als Waffe gegen den Sozialismus. Im April 1990 übergab Michael Gorbatschow, Träger des Friedensnobelpreises und Staatspräsident Russlands, der polnischen Regierung Kopien von Dokumenten, die neue „Beweise“ enthalten sollten. Ein TASS-Kommuniqué4 berichtete: „Die sowjetische Seite erklärt ihre tiefe Anteilnahme im Zusammenhang mit der Tragödie von Katyn und stellt fest, daß es sich um eines der schweren Verbrechen des Stalinismus handelt.“5 In der Folge „entdeckten“ die neuen Herrschenden in Russland immer mehr Dokumente in bisher geheimen Archiven, „Beweise“ der Schuld Stalins und der sowjetischen Geheimpolizei. Das antikommunistische Schimpfwort „Stalinismus“ sollte alle positiven Gedanken an Sozialismus auslöschen. Medien in westlichen Ländern griffen die Fälschungen und Verleumdungen gern auf.
Nur wenige Marxisten-Leninisten, insbesondere aus der MLPD und aus Teilen der ICOR, hielten an der Verteidigung der sozialistischen Sowjetunion fest, setzen sich aktiv für eine neue sozialistische Zukunft ein. Sie werden auch künftig alle Versuche zurückweisen, Sozialismus und Faschismus gleichzusetzen. Weitere Enthüllungen antikommunistischer „geschichtlicher Wahrheiten“ sind zu erwarten. Nachforschen und Nachdenken über Geschichte und bewusste weltanschauliche Entscheidungen bleiben notwendig!