Rote Fahne 10/2021
Wer ist denn hier innovationsfeindlich? Gebt die Patente frei!
Gastkommentar von Prof. Dr. Christian Jooß, Göttingen
Schon letztes Jahr forderten Entwicklungsländer, ICOR, Medico International oder in Deutschland die MLPD, den Patentschutz für Covid-19-Impfstoffe aufzuheben. Er sichert Maximalprofite für wenige Pharmamonopole und bedeutet millionenfach Leid und Tod für Menschen mit schweren Erkrankungen. Kaum stellt sich US-Präsident Joe Biden unter wachsendem internationalen Druck hinter diese Forderung, sehen die Hüter der Profitwirtschaft gleich Wissenschaft und Forschung im Kapitalismus in Gefahr. So der Chef des Pharmaverbands VfAHan Steutel, der „vor verheerenden Folgen für Deutschland“ warnt.1 Oder Bundeskanzlerin Merkel: „Ich glaube, dass wir die Kreativität und die Innovationskraft der Unternehmen brauchen.“ Dazu gehöre der Patentschutz.2 Also Forschen nur für den Profit der Konzerne? Selten wurde der Interessensgegensatz zwischen dem Anspruch vieler Forscherinnen und Forscher, Menschheitsprobleme zu lösen, und den überkommenen Eigentumsverhältnissen, hier des „geistigen Eigentums“, so deutlich.
Was ist das Problem?
1. Patente sind eine Grundlage für die Monopolstellung auf dem Weltmarkt und bestimmen so erheblich den Börsenwert von Monopolen. Das ist keinesfalls innovativ. Viele neue Entwicklungen werden so verhindert, weil Patente in Schubladen verschwinden.
2. Patente kann nur bekommen, wer Finanzen und Rechtsabteilungen großer Konzerne im Rücken hat. Auch wenn Forscher an Patenten beteiligt werden, sie zum Teil privat besitzen, ist die Mär vom innovativen Einzelforscher, der sich sein Engagement durch ein Patent als „geistiges Eigentum“ sichert, längst von der realen Vergesellschaftung der Forschung und Entwicklung überholt. Forschung geschieht im Verbund mit staatlich finanzierten Forschungslabors und Hochschulen. So haben die EU-Regierungen alleine im Jahr 2020 88 Milliarden Euro für die Covid-19-Impfstoffhersteller bereitgestellt. Die Entwicklung des mRNA-Impfstoffs von Biontec erforderte jahrzehntelange Vorarbeiten, die unter anderem in von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) finanzierten Verbundprojekten erbracht wurden.3 Die Finanzierung durch die Konzerne ist marginal. Schon allein, weil die arbeitenden Menschen über Steuern das längst finanziert haben, ist der Patentschutz für private Profitinteressen ein einziger Anachronismus.
3. Fortschrittliche Wissenschaftler haben immer wieder ihre Patente dem Allgemeinwohl zu Verfügung gestellt, so wie Professor Rosin sein Patent über das Kryo-Recycling-Verfahren. Ich selber besitze keine Patente und mache meine Forschungsergebnisse öffentlich zugänglich. Vor zehn Jahren habe ich erlebt, wie ein großes Windradmonopol die Entwicklung von Kryo-Recycling von Windradflügeln aus Glasfaserverbundwerkstoffen verhindert hat. Es drohte der Forschergruppe mit Millionen-Schadensersatz wegen „Verletzung des Patentschutzes“. Aber: Wie soll eine Kreislaufwirtschaft funktionieren, wenn die Recycler nicht wissen dürfen, was die Produzenten hineingesteckt haben? Kapitalistische Konkurrenz mit ihrem Patentschutz ist innovationsfeindlich und verhindert fortschrittliche Lösungen.
Deshalb: Wer sich für eine wissenschaftliche und forschende Tätigkeit im Zukunftsinteresse der Menschheit einsetzt, sollte sich auch mit gesellschaftlichen Alternativen zum Kapitalismus befassen. In diesem System setzen ökonomische und politische Machtverhältnisse dem enge Grenzen. Die Ausrichtung der Wirtschaft auf das Gemeinwohl im Sozialismus hätte alleine in der Corona-Pandemie weltweit Millionen Menschenleben gerettet. Wäre es nicht an der Zeit, ob als Studierender oder als Wissenschaftler, sich an der Seite der Arbeiter für solche, eben sozialistische Verhältnisse einzusetzen?