Rote Fahne 10/2021

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Diplomatische Meisterleistung oder Rezept für eine Klimakatastrophe?

Das 2-Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens unter der Lupe

Von (pv)
Diplomatische Meisterleistung oder Rezept für eine Klimakatastrophe?
Foto: Adam Derewecki / Pixabay / Pixabay-License

Die Klimaforschung hat ohne Zweifel dazu beigetragen, das Umweltbewusstsein zu entwickeln. Sie ist vor allem unter der Jugend angesehen und die Fridays-for-Future-Bewegung (FFF) orientiert sich an deren Aussagen. Die Klimaforschung ist aber weder ideologiefrei, noch hat sie es – über wichtige Forschungsergebnisse hinaus – zu einer echten Wissenschaft gebracht. Sie ist selbst in der Krise und trug auch wesentlich zu einer Desorientierung umweltbewegter Menschen bei. Eine zentrale Rolle spielt dabei das 2-Grad-Ziel.


Die Entstehung des 2-Grad-Ziels


Schon 1965 warnte ein wissenschaftlicher Ausschuss des damaligen Präsidenten Lyndon B. Johnson weitsichtig vor der Verbrennung großer Mengen fossiler Stoffe und den Folgen, wie sie heute eingetreten sind. Mit dem Aufblähen der imperialistischen Weltwirtschaft stieg der Ausstoß von CO2 und anderer Treibhausgase in der Atmosphäre weiter dramatisch an und destabilisierten das Weltklima erheblich. Erst auf dem Weltklimagipfel 2015 in Paris beschlossen Vertreter von 196 Staaten den unverbindlichen Minimalkonsens, die Erhöhung der bodennahen Temperatur durch Senkung des Ausstoßes an Treibhausgasen auf 1,5 °C bis maximal 2°C zu begrenzen. Völlig unwissenschaftlich wurde der Eindruck erweckt, als könnte das Weltklima wie ein Thermostat im Wohnzimmer reguliert werden.


In den 1990er-Jahren geriet die kapitalistische Profitwirtschaft immer mehr in Widerspruch zur Einheit von Mensch und Natur. Umweltbewusstsein und Umweltbewegung wuchsen weltweit enorm an. Niemand kann sich heute der Umweltfrage entziehen. Seither ist der imperialistische Ökologismus, der vorgibt, kapitalistische Profitwirtschaft sei mit dem Erhalt der Einheit von Mensch und Natur vereinbar, ein „must have“ jeder Konzernstrategie und der meisten Regierungsprogramme. Zentraler Bestandteil: das 2-Grad- beziehungsweise später dann das 1,5-Grad-Ziel und die „Klimaneutralität“.

 


1995 wurde vom WBGU das 2-Grad-Klimafenster als gerade noch tolerabel „berechnet“. Diese „Berechnung“ erfolgte keineswegs auf Grundlage naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten des Weltklimas, sondern als mathematische Funktion der Belastungsgrenzen der kapitalistischen Gesellschaft und einem als tolerabel definierten Temperaturfenster zwischen der letzten Kaltzeit (Würm-Eiszeit) und der höchsten Temperaturen während der letzten Warmzeit (Eem-Warmzeit). Zur Begründung heißt es: „Diese geologische Epoche hat unsere heutige Umwelt geprägt, mit den niedrigsten Mitteltemperaturen in der Würm-Eiszeit (10,4 °C) und den höchsten Mitteltemperaturen während der Eem-Warmzeit (16,1 °C). Wird dieser Temperaturbereich verlassen, sind einschneidende Veränderungen in Zusammensetzung und Funktion der heutigen Ökosysteme zu erwarten.“1 Am Ende der „Berechnung“ landete der WBGU dann bei gerade noch tolerierbaren 2°C bei Anpassungskosten von fünf Prozent des globalen Bruttosozialprodukts.


Diese haarsträubende „Berechnung“ geht davon aus, dass die Temperaturen der Würm-Eiszeit unsere heutige Umwelt geprägt haben sollen. Tatsächlich ist unsere Umwelt durch eine seit längerem anhaltende und recht konstante Durchschnittstemperatur von etwa 15°C geprägt. Schon geringe Abweichungen nach oben oder unten wirken sich stark aus. In der Eem-Warmzeit, in der es bei uns ungefähr 1°C wärmer war als heute, waren Teile von Grönland und der Antarktis eisfrei, der Meeresspiegel um sechs bis neun Meter höher.2


Das Klima wird hier auf eine einzige physikalische Größe reduziert: die Temperatur. Damit wird das Klima unwissenschaftlich aus dem Gesamtzusammenhang der Ökologie herausgerissen. Tatsächlich ist es aber abhängig von der Sonneneinstrahlung, Zusammensetzung der Atmosphäre, Geologie, vorhandener Biosphäre, Luft- und Meeresströmungen und so weiter. Zwischen der Würm-Eiszeit und der Eem-Warmzeit schwankte der Gehalt an CO2 in der Atmosphäre zwischen 170 und 280 ppm. Heute haben wir 410 ppm CO2 bereits überschritten. Rechnet man die anderen zusätzlich freigesetzten Treibhausgase wie Methan und Lachgas noch hinzu, dann haben wir jetzt bereits 500 ppm CO2-Äquivalente überschritten! Wir befinden uns also bereits weit jenseits der vergangenen Warm- und Kaltzeiten. Zuletzt gab es solch hohe Gehalte an Treibhausgasen vor rund 15 Millionen Jahren.

 

Legitimation für das internationale Finanzkapital


Der ganze Sinn des 2-Grad-Ziels besteht darin, ein Restbudget berechnen zu können, was noch an Treibhausgasen ausgestoßen werden „darf“. Damit erhielt das internationale Finanzkapital eine Legitimation, weiter in zerstörerischer Weise Treibhausgase produzieren zu können. Das 2-Grad-Ziel wurde zum „Credo“ (Glaubensbekenntnis) der Klimaforschung, fand darüber Eingang in die Umweltbewegung und ist seither zentraler Bestandteil des imperialistischen Ökologismus. Doch es steht auf tönernen Füßen. Wie der Schnee in der Sonne schmilzt das Restbudget dahin und damit die Legitimation zum Ausstoß weiterer Treibhausgase. Als Folge des gewachsenen Umweltbewusstseins der Massen, weltweiter Forderungen nach drastischer CO2-Reduktion und Umweltproteste machen die Monopole und ihre Regierungen jetzt Zugeständnisse. Mit Milliardensummen an staatlichen Subventionen erschließen sie neue Geschäftsfelder, um die sie konkurrieren. Typisch Kapitalismus: Umweltschutz nur dann, wenn er auch Profit bringt. Zur Verhinderung der globalen Umweltkatastrophe braucht es eine Umweltbewegung mit gesellschaftsverändernder Perspektive.