Rote Fahne 08/2021
Die Krise der pragmatischen Führungsmethode von Bundeskanzlerin Angela Merkel
Zu Beginn der Corona-Pandemie sonnte sich Bundeskanzlerin Angela Merkel in den Ergebnissen der bürgerlichen Meinungsumfragen. Die Zeiten ändern sich ...
Über 70 Prozent attestierten ihrer Politik damals, sie werde einen guten Beitrag dafür leisten, dass das Land gut durch die Corona-Pandemie käme. Die Lobeshymnen auf Angela Merkel in den bürgerlichen Medien nahmen lange Zeit kein Ende. Die Zeit lobte sie schon „als Meisterin des geschmeidigen Pragmatismus“.
Und in der Tat: Kanzlerin Merkel hatte ein bürgerlich-pragmatisches Krisenmanagement zur Perfektion gebracht: Keine großen Ziele verkünden und „auf Sicht fahren“.
Mittlerweile steckt das bürgerliche und Merkel‘sche Corona-Krisenmanagement in einer offenen und verschärften Krise. Die Ministerpräsidentenkonferenz ist gespalten. Unter den Massen macht sich eine neue Vertrauenskrise breit. Bis zu 90 Prozent der Befragten halten in bürgerlichen Meinungsumfragen das Corona-Krisenmanagement von Bundes- und Landesregierungen für gescheitert.
Jetzt wird von verschiedensten Vertretern der Monopole, bürgerlichen Politikern und bürgerlichen Meinungsmachern dringend geraten: „Mehr Pragmatismus wagen“.1 Und Bosch-Chef Volkmar Denner verkündet: „Ich wünsche mir mehr Pragmatismus.“
Nur: Wohin soll es führen, wenn ich ein Problem dadurch „löse“, indem ich ausgerechnet die Führungsmethoden verstärke, die maßgeblich zum Ausmaß der Krise beigetragen haben? Das ist genauso, wie wenn man einem Alkoholiker rät, seinem Alkoholismus mit einem kräftigen Schluck aus der Schnapspulle zu begegnen.
Ein Mantra des Merkel‘schen Krisenmanagements in der Corona-Krise war von Anfang an das sogenannte „Auf Sicht fahren“. Merkel bezeichnet es auch gerne als „Tag für Tag vorantasten“.2 Und Markus Söder von der CSU betont schon die ganze Zeit: „Auf Sicht fahren ist das Einzige, was hilft.“
So wurde die dritte Welle der Corona-Pandemie ebenso wie die zweite sehenden Auges in Kauf genommen. Im Spätherbst letzten Jahres war klar, dass diese dritte Welle losbrechen wird, wenn nicht energische Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Darauf wies die MLPD hin und machte ganz konkrete Vorschläge. Dagegen beruht Merkels Methode des Auf-Sicht-Fahrens darauf, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Erst zu reagieren, wenn sich die katastrophale Entwicklung bereits in harten Zahlen, drastischem Anstieg der Infektionszahlen ausdrückt. Die weltanschauliche Grundlage des Pragmatismus besagt, dass die objektive Wirklichkeit nicht durch Gesetzmäßigkeiten bestimmt sei, die man mit einer wissenschaftlichen Methode erkennen kann. Sie sei undurchdringlich, unerklärbar und man könne nur auf sichtbare Erscheinungen reagieren. Das ist aber in einer Pandemie-Situation sprichwörtlich tödlich.
Entsprechend ist auch der Grundsatz der Regierungspolitik nicht, die Corona-Pandemie weitestgehend auszurotten, wie das Länder wie Südkorea, China, Australien und Neuseeland vormachen, wenn auch zum Teil mit kritikwürdigen Methoden. Das Grundmotiv ist erstens, dass „die Wirtschaft brummen muss“. Ausgehend von diesem Grundsatz ist die derzeitige menschenverachtende Taktik offenbar, die Kurve der Infizierten in einem Korridor zu halten. In einem Korridor, in dem das Gesundheitswesen und die Intensivstationen nicht offen kollabieren und die Unzufriedenheit der Massen noch irgendwie kontrolliert wird. Dabei „dürfen“ die Profitinteressen besonders der Industriemonopole nicht angetastet werden, sondern werden durch massive staatliche Subventionen unter dem Vorwand von Corona sogar noch bestens bedient. Zugleich kommt es Monopolen wie Regierung entgegen, dass die Kampfbedingungen der Arbeiter- und Volksbewegung massiv eingeschränkt sind und auch die Arbeitsfähigkeit der kämpferischen Opposition und revolutionärer Parteien wie der MLPD. Das entspricht dem Prinzip des Pragmatismus, der sich an den Klasseninteressen des Monopolkapitals misst.
Was ist die Bilanz dieser pragmatischen Politik? In Deutschland sind bereits knapp 78000 Menschen an Corona verstorben. Das sind 2,6 Prozent der weltweit offiziell bisher verstorbenen drei Millionen Menschen. Die Einwohnerzahl Deutschlands macht dagegen noch nicht einmal 1,05 Prozent der weltweiten Bevölkerung aus. Deutschland ist auch gar nicht weit von der Dimension der Todesraten in den USA unter Donald Trump entfernt, wo über 300 000 Menschen verstorben sind, aber auch dreimal mehr Menschen leben.
Schon Lenin kritisierte grundsätzlich den Pragmatismus als Produkt der reaktionären bürgerlichen Ideologie. Er wies darauf hin: „Wohl die ‚letzte Mode‘ … ist ‚der Pragmatismus‘ (vom griechischen Wort Pragma = Tat, Handlung; also Philosophie der Tat)… (Er) … preist die Erfahrung und nur die Erfahrung, erkennt als einziges Kriterium die Praxis an …“ (Materialismus und Empiriokritizismus, Lenin, Werke, Bd. 14, S. 346).
Dieser Pragmatismus ist in der Corona-Frage offen in die Krise geraten. Statt ihn auch noch zu verstärken, ist der dialektische Materialismus der weltanschauliche Kompass auch für die richtige Bekämpfung der Corona-Pandemie. Er untersucht die objektive Wirklichkeit auf ihre Gesetzmäßigkeiten hin, kommt zu Prognosen, klaren, wissenschaftlichen Handlungsanleitungen und geht konsequent vom Klassenstandpunkt der Arbeiterklasse aus. Denn der Kampf gegen die Corona-Pandemie wird immer direkter zu einem Bestandteil des Klassenkampfs.