Rote Fahne 06/2021

Rote Fahne 06/2021

Die wechselvolle Geschichte des Rufs nach Freiheit

Antikommunisten aller Schattierungen führen gerne die Losung von der „Freiheit“ im Mund: Individuelle Freiheit statt gesundheitlich notwendige Einschränkungen wegen der Corona-Pandemie, „Freiheit des Unternehmertums“ zur Ausbeutung der Arbeiterklasse und der Natur und so weiter. Dabei versuchen sie allerdings den Eindruck zu erwecken, dabei immer die Interessen der Allgemeinheit zu vertreten. Doch Freiheit ist keineswegs gleich „Freiheit“, wie ein Blick in die Geschichte zeigt

Von (ms)
Die wechselvolle Geschichte des Rufs nach Freiheit
„Die Freiheit führt das Volk“ ist der Titel des berühmten Gemäldes der bürgerlichen Revolution – aber schon damals bestand das Volk aus Klassen mit unterschiedlichen Interessen und Freiheitsbegriffen (Eugène Delacroix, 1830, Frankreich). Bild: gemeinfrei

Die Forderung nach Freiheit entsprang der mit den Klassengesellschaften entstandenen Ausbeutung und Unterdrückung der großen Mehrheit der Menschen durch eine kleine herrschende Klasse. „Nichts als die Freiheit“ forderten die Leibeigenen im Deutschen Bauernkrieg von 1525. Sie unterlagen in ihrer frühbürgerlichen Revolution den feudalen Fürsten. Erst Jahrhunderte später nahm die Bewegung zur Befreiung von den feudalen Fesseln solche Dimen­sionen an, dass sie erfolgreiche bürgerliche Revolutio­nen hervorbrachte: Im 17. Jahrhundert in England, in den USA mit dem Unabhängigkeitskrieg von 1775 bis 1783, in Frankreich seit 1789 und in Deutschland – wenn auch unvollkommen – 1848.

 

Fortschritt der bürgerlichen Gesellschaftsordnung

 

Es war der ökonomische Fortschritt der Gesellschaft, der diese Revolutionen auf die Tagesordnung setzte. Nicht nur die Vorrechte des Adels und die Zunftprivilegien legten der Entwicklung der Industrie und der Bourgeoisie Fesseln an, auch die Knechtschaft der Bauern, Zölle und teilweise Kleinstaaterei. „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“ wurde zur Losung der französischen (bürgerlichen) Revolution. Damit verklärte die Bourgeoisie zugleich ihre Interessen zu Interessen der Allgemeinheit. Dazu schrieben Karl Marx und Friedrich Engels in „Die deutsche Ideologie“: „Jede neue Klasse …, die sich an die Stelle einer vor ihr herrschenden setzt, ist genötigt, schon um ihren Zweck durchzuführen, ihr Interesse als das gemeinschaftliche Interesse aller Mitglieder der Gesellschaft darzustellen, das heißt ideell ausgedrückt: ihren Gedanken die Form der Allgemeinheit zu geben, sie als die einzig vernünftigen, allgemein gültigen darzustellen.“1

 

Das gilt wohlgemerkt für die vorsozialistischen Revolutionen, in denen jeweils eine neue ausbeutende Minderheit die alte ablöste. Die Interessen des Bürgertums erschienen damals auch deshalb als gemeinschaftliche, weil sich die Arbeiterklasse als politisch selbständige Klasse erst formierte und ebenfalls ein Interesse an den bürgerlichen Freiheiten hatte. Das bürgerliche Freiheits- und Gleichheitsideal war zu dieser Zeit fortschrittlich. Es stand für die Ablösung der absolutistischen Monarchie durch demokratische Republiken, für Aufhebung der Zünfte und Freiheit der Kapitalanlage, für Ablösung der Leibeigenschaft durch freie Lohnarbeiter und für die Verwirklichung des bürgerlichen Nationalstaats.

 

Freiheit zur Ausbeutung

 

Allerdings ging es der Bourgeoisie nicht um generelle Freiheit von Unterdrückung und Willkür, schon gar nicht von Ausbeutung. In der kapitalistischen Gesellschaft sind eigentlich alle Individuen formal frei und gleich; das war fortschrittlich gegenüber der Feudalherrschaft. Die darin eingeschlossene Freiheit des Eigentums an Produktionsmitteln zieht jedoch notwendig die Unfreiheit derer nach sich, die nur ihre Arbeitskraft besitzen und mittels der Produktionsmittel ausgebeutet werden. Marx und Engels wiesen nach, dass hinter dem engen bürgerlichen Freiheitsbegriff vor allem die Freiheit des Kapitals steckt, die werktätigen Massen auszubeuten und zu unterjochen.

 

Mit der Entfaltung der Klassenwidersprüche wurde die bürgerliche Verwendung der „Freiheits“-Losung reaktionär. Sie steht heute nicht zuletzt für die „Freiheit“ des allein herrschenden Finanzkapitals zur weltweiten skrupellosen Ausbeutung und Unterdrückung der internationalen Arbeiterklasse, zur fortschreitenden Umweltzerstörung, zur Anzette­lung von imperialistischen Kriegen und zur Faschisierung des Staatsapparats. Die entschiedensten Verfechter von Demokratie, Freiheit und Sozialismus, aber auch der hart erkämpften bürgerlich-demokratischen Rechte und Freiheiten sind heute die Marxisten-Leninisten gemeinsam mit vielen anderen fortschrittlichen Menschen. Der Imperialismus bedeutet das Gegenteil von Freiheit, mit seiner Tendenz zur Reaktion nach innen und Aggression der außen. Heute hat sich in der imperialistischen Welt eine gesellschaftliche Rechtsentwicklung breitgemacht. Der Kampf um Demokratie und Freiheit und das kommunistische Freiheitsideal nimmt damit an Bedeutung zu und ist eine wichtige Seite des internationalen fortschrittlichen Stimmungsumschwungs.

 

Der Sprung in das „Reich der Freiheit“

 

Der Freiheitsbegriff der revolutionären Arbeiterbewegung umfasst zugleich weitaus mehr als die Forderung nach gleichen Rechten oder parlamentarischen Wahlen. Im Zentrum steht die Befreiung von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung in vereinigten sozialistischen Staaten der Welt auf dem Weg zum Kommunismus. Dazu gehört die Unterdrückung der Freiheit der alten Ausbeuter, ihre alten Machtverhältnisse der Ausbeutung und Unterdrückung von Mensch und Natur wiederherzustellen.

 

Während bürgerliche Politiker heute so tun, als sei Freiheit ihr höchstes Gut, treten sie die soziale Freiheit von sechs Millionen Niedriglohnempfängern mit Füßen, behandeln Flüchtlinge als Menschen zweiter Klasse und schränken soziale Kontakte unter der Vorwand der Corona-Pandemie ohne Not ein. Karl Marx und Friedrich Engels schrieben über die Perspektive der klassenlosen Gesellschaft: „Erst in der Gemeinschaft [mit Andern hat jedes] Individuum die Mittel, seine Anlagen nach allen Seiten hin auszubilden; erst in der Gemeinschaft wird also die persönliche Freiheit möglich.“ 2 Und ihre Vision ging weiter: „Erst von da an werden die Menschen ihre Geschichte mit vollem Bewußtsein selbst machen, erst von da an werden die von ihnen in Bewegung gesetzten gesellschaftlichen Ursachen vorwiegend und in stets steigendem Maße auch die von ihnen gewollten Wirkungen haben. Es ist der Sprung der Menschheit aus dem Reiche der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit.“ 3