Rote Fahne 04/2021
„Der inkonsequente Lockdown gefährdet die Gesundheit der Kinder“
Ein Gastbeitrag des Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten Traugott Nassauer, Daaden
Mitte Dezember bis Mitte Januar wurden mehr als 1000 Kinder und mehr als 1600 Eltern mittels Online-Fragebögen nach den Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die seelische Gesundheit und das Wohlbefinden von Kindern und Jugendlichen befragt. Es war die zweite sogenannte „Copsy-Studie“ (für Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE). Die erste wurde im Mai/Juni 2020 durchgeführt. Die Ergebnisse sind besorgniserregend:
* Mehr als 80 Prozent der Kinder fühlen sich durch die Corona-Pandemie belastet (Mai/Juni: Etwa 70 Prozent).
* Eine geminderte Lebensqualität geben circa 70 Prozent an (Mai/Juni: 60 Prozent, vor Corona 30 Prozent).
* Depressive Symptome und psychosomatische Symptome nehmen zu
(vor Corona rund 20 Prozent, seit Mai/Juni stabil hoch bei etwa 30 Prozent).
* Das Gesundheitsverhalten hat sich weiter verschlechtert: Zehnmal mehr Kinder als vor der Pandemie und doppelt so viele wie im Mai/Juni machen gar keinen Sport mehr, verbringen noch mehr Zeit an Handy, Tablet und Spielekonsole.
* Es wird über mehr Streit in den Familien berichtet, auch über vermehrte schulische Probleme.
* Zunehmend fühlen sich Eltern belastet und zeigen mehr depressive Symptome: „Die Eltern scheinen sich auf die Anforderungen durch das Homeschooling und die Doppelbelastung mit ihrer Arbeit eingestellt zu haben. … Sie kommen dabei zunehmend an ihre Grenzen“ (die Studienleiterin Prof. Dr. Raven-Sieberer).
Was das schulische Lernen angeht, hat die Corona-Pandemie aus Sicht der Vereinten Nationen zu den größten Verwerfungen von Bildungssystemen in der Geschichte geführt. Mehr als 1,6 Milliarden Kinder und Jugendliche in über 190 Ländern auf allen Kontinenten seien durch die Pandemie in ihrem Lernen beeintächtigt worden.
All diese statistischen Angaben geben keine Auskunft darüber, welche Prozesse genau für diese Entwicklung verantwortlich sind. Es zeigt sich, dass viele Familien die Pandemie gut bewältigen, es entwickeln sich tolle Beispiele gegenseitiger Hilfe weit über den familiären Rahmen hinaus. Aber die Pandemie ist eine enorme Herausforderung an die Denkweise, an das Herangehen an die gesamte Lebensbewältigung.
Da die Folgen des verfehlten Krisenmanagements der Regierung in den verschiedenen Klassen und Schichten der Gesellschaft nicht differenziert untersucht werden, wird das wahre Ausmaß der Folgen dieser Politik gar nicht klar. So sind viele Kinder vom Lernfortschritt praktisch ausgeschlossen und werden mit Sicherheit ein ganzes Schuljahr verlieren. Nicht wenige werden ganz den Anschluss an die schulische Bildung verlieren – was wiederum Folgen für ihre psychische Gesundheit hat.
Viele Verbände und Politiker nehmen diese Zahlen immer wieder zum Anlass, um die Öffnung von Schulen und Kitas zu fordern. Das Gegenteil ist richtig. Ein konsequenter Lockdown – verbunden mit vielfältigen Hilfen – hätte diese nun schon ein Jahr dauernde Belastung erheblich verkürzt. Die Zahlen zeigen deutlich, dass ein enormes Potenzial zur Bewältigung dieser Krise da ist, dass aber die lange Dauer ohne wirkliche Aussicht auf Besserung viele Familien mit ihren Kindern zermürbt und psychische Krisen in Massenumfang erzeugt. Das ist ein schlagendes Argument für die Richtigkeit der Forderungen im Sofortprogramm der MLPD.