Rote Fahne 03/2021

Rote Fahne 03/2021

Gibt es einen „gerechten“ Lohn?

2021 finden Tarifrunden von und für über zwölf Millionen Kolleginnen und Kollegen statt. Darunter die Tarifrunden ...

Von (gp / ako)
Gibt es einen „gerechten“ Lohn?
Foto: RF

... im öffentlichen Dienst der Länder und im Bauhauptgewerbe. Die größte ist die aktuelle Tarifrunde für 3,8 Millionen Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie, die gleichzeitig mit den Tarifrunden in der nordwestdeutschen und ostdeutschen Stahlindustrie sowie der Textil- und Bekleidungsindustrie stattfindet. Es geht dabei um die dringende Verteidigung und Verbesserung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse. Es zeichnet sich aber auch eine Machtprobe ab zwischen der Arbeiterklasse und dem allein herrschenden Monopolkapital und seiner Regierung.

 

In der Tarifrunde fordert der IG-Metall-Vorstand ein „Volumen“ von vier Prozent mehr Lohn. Kategorisch erklärte dagegen der neue Chef des Unternehmerverbandes Gesamtmetall, Stefan Wolf: „Es ist logisch, dass es in der laufenden Tarifrunde nichts zu verteilen gibt.“1 Die Verweigerung jedweder Zugeständnisse begründet er so: „Das wird zu einer Frage der sozialen Gerechtigkeit in unserem Land. Die Entlohnung in unseren Branchen ist so hoch, dass andere nicht mehr mitkommen. Krankenpflegearbeiten an der Grenze des Belastbaren, Kindergärtnerinnen sind stark beansprucht …. Und die Einkommen liegen deutlich unter denen in der Metall- und Elektroindustrie.“ Es ist für Herrn Wolf also ein reiner Akt der „sozialen Gerechtigkeit“, wenn künftig auch bei den Löhnen der Metallarbeiter Abstriche gemacht werden. Nach seiner Logik würden die Pflegekräfte oder Beschäftigten im Erziehungswesen keinen einzigen Cent mehr bekommen. Und die Metallarbeiter sollen verzichten, damit sich ihr Lohnniveau nach unten angleicht. So etwas nennt man üble Demagogie, getrieben vom Streben nach Profitmaximierung.

 

Nichts zu verteilen?

 

Dabei sind die Monopole und Superreichen finanziell die Gewinner der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, die 2018 eingeleitet wurde, genauso wie der Corona-Krise seit Anfang 2020. So stieg das Vermögen der zehn im Dezember 2020 reichsten Männer der Welt seit Februar 2019 um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen Dollar.2

 

Den Metallarbeitern wurde dagegen schon im Frühjahr 2020 eine Nullrunde verordnet. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter fordern, dass sich das nicht wiederholt. Ein Kollege von Audi: „Eine Minusrunde wie letztes Jahr darf es nicht geben. Wir wollen weder was hergeben, noch mit einem Almosen abgespeist werden.“ Dazu kommt, dass durch Corona die Arbeit mit Masken viel schwerer geworden ist. Eine Arbeiterfrau beschwert sich: „Was nützt mir eine durchschnittlich niedrige Inflationsrate, wenn zum Beispiel viele Lebensmittel teurer geworden sind?“ Tatsächlich lag die offizielle Inflationsrate 2020 nur bei 0,5 Prozent. Das erinnert an den Statistiker, der in einem im durchschnittlich 0,5 Meter tiefen See ertrunken ist. So schreibt die Frankfurter Allgemeine am 20. Januar: „Alle Dinge, die man im Lockdown sowieso kaum brauchte, wie … Anzüge fürs Büro, konnten von Verbrauchern günstiger erworben werden. Was man hingegen weiterhin dringend benötigte, wie Nahrungsmittel oder Getränke, wurde tendenziell teurer.“ So kostete Obst 7,1 Prozent mehr oder Fleisch 6,1 Prozent. Die in Umfragen erfasste sogenannte „gefühlte Inflation“ lag im zweiten Quartal 2020 bei 5,02 Prozent. Das ist in etwa der Wert, auf den auch kritische bürgerliche Wissenschaftler bei der Schätzung der realen Preissteigerungsrate für die Massen kommen.

 

Und mit dem „Verteilen“ ist das so eine Sache. Letztes Jahr hat der BMW-Vorstand 1,6 Milliarden Euro an seine Aktionäre verteilt. Diese Gewinne wurden von den Arbeitern, den Werktätigen in Deutschland und anderen Ländern und auf Kosten der Natur erwirtschaftet. Von 2009 bis 2019 stieg die gesellschaftliche Wertschöpfung, das Bruttoinlandsprodukt, um 41 Prozent.3 Systematisch wird der Reichtum umverteilt – und zwar von unten nach oben. Sicher gibt es auch – vor allem kleinere – Unternehmen, die vor dem Aus stehen. Sie sind aber Opfer der Diktatur der Monopole und des gnadenlosen Konkurrenzkampfes, nicht angeblich zu hoher Löhne.

 

Arbeitszeitverkürzung ja – aber mit vollem Lohnausgleich!

 

Die Entwicklung der Produktivkräfte, wie sie in der Entwicklung neuer Antriebstechnologien und der Digitalisierung zum Ausdruck kommt, wird von den Kapitalisten zur Vernichtung von Arbeitsplätzen genutzt. Das hat mit der Lohnhöhe nichts zu tun! Es ist Ausdruck der Fäulnis des Kapitalismus, dass sich dieser Fortschritt unter dem Diktat des Maximalprofits ins Gegenteil verkehrt – zu Lasten der Löhne, der Arbeitsplätze und der Umwelt. Angesichts der Ankündigung der großen Konzerne, in Deutschland 90.000 Arbeitsplätze zu vernichten, ist die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich die richtige Antwort! Die MLPD tritt seit Anfang der 1990er-Jahre für diese wichtigste ökonomische Forderung ein. Sie wird an der Gewerkschaftsbasis immer mehr aufgegriffen.

 

Mit der Forderung nach der Vier-Tage-Woche entspricht der IG-Metall-Vorstand dem Wunsch der Basis nach weiterer Arbeitszeitverkürzung. Er will aber in vorauseilendem Gehorsam auf den vollen Lohnausgleich verzichten und Teile der Lohnerhöhung mit der Arbeitszeitverkürzung verrechnen. Außerdem soll diese Arbeitszeitverkürzung nur für diejenigen Konzerne gelten, die sie zur Lösung von „wirtschaftlichen Problemen“ zeitlich befristet für sich ausnutzen können. Damit wird zwar indirekt zugegeben, dass Arbeitszeitverkürzung Arbeitsplätze erhält und auch neue schaffen kann. Aber als Angebot zur Flexibilisierung an die Kapitalisten darf sie nicht missbraucht werden!

 

Entlohnung nach Leistung?

 

Sieht man im bürgerlichen Lexikon nach, dann heißt es dort zu Lohn, er sei eine „Form der Vergütung für geleistete Arbeit“.4 Wer hat dann die Leistung des früheren VW-Chefs Martin Winterkorn gemessen, der mit krimineller Energie Hunderttausende Autokäufer betrogen, die Umwelt zerstört hat und jetzt eine tägliche Rente von 3100 Euro kassiert? Und warum bekommt ein Abteilungsleiter im Stahlwerk ein Vielfaches an Gehalt wie ein Kranführer, der acht Stunden täglich im Stahlwerk Pfannen mit 300 Tonnen Gewicht zentimetergenau bewegt?

 

Es ist eines der Ammenmärchen der bürgerlichen Ökonomie, dass der Arbeiter im Kapitalismus nach Leistung bezahlt würde. Scheinbar wird man für eine bestimmte Menge an Arbeitsstunden oder eine bestimmte Stückzahl entlohnt. Aber Karl Marx hat schon vor über 150 Jahren aufgedeckt, dass der Kapitalist nicht die Arbeit, sondern die Arbeitskraft kauft. Der Lohn ist nichts anderes als der Preis der Ware Arbeitskraft. Und wie der Preis jeder Ware bemisst er sich nach dem Wert, der für seine Produktion und Reproduktion durchschnittlich notwendig ist. Bei der Ware Arbeitskraft sind das die Ausgaben für Essen, Wohnung, Kinder, Ausbildung und so weiter. Dieser Preis richtet sich unter anderem nach den historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnissen. Er ist vor allem auch ein Ergebnis der Kämpfe der Arbeiterklasse. 

 

Marx erkannte, dass sich die Ware Arbeitskraft in einer wesentlichen Frage grundlegend von allen anderen Waren unterscheidet. „Durch die Betätigung der Arbeitskraft wird … nicht nur ihr eigener Wert reproduziert, sondern ein überschüssiger Wert produziert.“ Das nannte Marx Mehrwert – er wird von den Arbeitern und Angestellten geschaffen und vom Kapitalist unentgeltlich angeeignet.

 

Gerechter Lohn?

 

Auf der Webseite der IG Metall ist zu lesen: „Ein gerechter Lohn, ausreichend Urlaub, kürzere Arbeitszeiten, Übernahme nach der Ausbildung – … Dafür kämpfen wir.“ Es ist auf jeden Fall richtig, für seine sozialen Rechte entschieden zu kämpfen. Aber auch ein höherer Lohn ist noch lange nicht gerecht, weil er immer noch darauf beruht, dass man ausgebeutet wird. Die ganze kapitalistische Lohnarbeit hat Ausbeutungscharakter. Mit höheren Löhnen ändert man etwas am Grad der Ausbeutung, aber nichts daran, dass diese gesetzmäßig mit dem Kapitalismus fortbesteht. Dazu nochmals Karl Marx: „Nach gleicher oder gar gerechter Entlohnung auf Basis des Lohnsystems zu rufen, ist dasselbe, wie auf Basis des Systems der Sklaverei nach Freiheit zu rufen.“5

 

Das Gegenstück zur Ausbeutung der Lohnarbeit ist die bürgerliche Staats- und Familienordnung. In der Corona-Gesundheitskrise sowie Weltwirtschafts- und Finanzkrise wälzen die Monopole und ihre Regierung die Krisenlasten verstärkt auf die Familien und hier besonders die Frauen ab. Gerade sie arbeiten häufig im Homeoffice. Sie managen „nebenher“ das Homeschooling, wie die Verlagerung der staatlichen Schulausbildung vornehm genannt wird. Hinzu kommen große Teile der Kindererziehung und des Haushalts. Wenn man da nach (gesellschaftlicher) Leistung zahlen würde, müsste man gleich mal 50 Prozent draufschlagen …

 

Mit dem Kampf um höhere Löhne übernehmen die Arbeiter auch eine gesellschaftliche Verantwortung. Denn zur Berechnung von Renten, Sozialleistungen oder des Mindestlohns wird die Lohnentwicklung in der Regel des Vorjahres zugrundegelegt. Sozialminister Hubertus Heil (SPD) kündigt deshalb an: „Wir müssen damit rechnen, dass es in diesem Jahr im Westen keine Rentenerhöhung geben wird und im Osten nur aufgrund der Angleichung eine sehr geringe.“ 6 Ein Grund mehr, dieses Jahr deutliche Lohnerhöhungen durchzusetzen, damit es nächstes Jahr auch mit der Rentenerhöhung wieder klappt. Bei Prognosen die Arbeiter und ihre Kampfkraft außer acht zu lassen, hat noch keinem Politiker gut getan, Herr Heil!

 

Kämpfen in der Krise nicht möglich?

 

Es ist nicht richtig, dass man in der Krise nicht kämpfen könnte. So haben die Arbeiter während der Corona-Krise in vielen Betrieben überhaupt erst mal richtige Gesundheitsmaßnahmen erkämpft. Die Monopole stehen angesichts des erbitterten internationalen Konkurrenzkampfs unter Druck. Sie fürchten die scharfe Waffe des Streiks, erst recht aus politischen Gründen im Bundestagswahljahr 2021.

 

Aber natürlich muss in diesem Kampf auch auf Gesundheitsschutz geachtet werden, sind Abstandsregeln einzuhalten und Masken zu tragen. Was die Arbeiterinnen und Arbeiter bei der harten Arbeit können, können sie auch im harten Kampf. Dazu gehört aktuell das Eintreten für einen konzentrierten zwei- bis dreiwöchigen Lockdown. Nötig ist zugleich der Kampf zur Verteidigung und Erweiterung bürgerlich-demokratischer Rechte und Freiheiten, für Corona-gerechte Präsenzbetriebsversammlungen, gewerkschaftliche Treffen und Demonstrationen sowie besonders für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht.

 

Nicht nur eine Frage der Prozente ...

 

Aber die Tarifrunden dieses Jahr beziehen sich nicht nur auf ökonomische Forderungen, sie haben auch wichtige politische Aspekte. So erklärte Gesamtmetall-Chef Wolf: „Wir brauchen eine Reform analog zur Agenda 2010. Der Ansatz muss sein, dass es sich lohnt, zu arbeiten. Ich bin dagegen, dass jemand, der nichts tut, obwohl er es könnte, eine Grundsicherung bekommt.“ Das ist eine üble Verleumdung der Arbeitslosen. Wo sind denn die Millionen Arbeitslosen, die nichts tun wollen? Die Hartz-Armutsgesetze beinhalten heute schon drastische Sanktionen, wenn man nicht jede Arbeit annimmt.

 

Wolf kündigt mit seiner Forderung nach einer Neuauflage der Agenda 2010 – des weitestgehenden Abbaus sozialer Errungenschaften in der Nachkriegsgeschichte – einen Generalangriff auf die Arbeiterklasse an. Längst haben die Monopole ihre Programme in den Schubladen, die Lasten der Weltwirtschafts- und Finanzkrise, der Strukturkrisen und der Corona-Krise auf die Arbeiterklasse und die Massen abzuwälzen. Dazu gehört die Forderung von Gesamtmetall, Lohnbestandteile in der Tarifrunde zu senken, die Forderung nach längerer Lebensarbeitszeit, nach Kürzungen im Gesundheitswesen, Verschlechterungen im Umweltschutz, Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten und so weiter. Es ist wichtig, den Kampf um höhere Löhne und Gehälter mit weiteren Seiten des Kampfs gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiter und ihre Familien zu verbinden – Jung und Alt gemeinsam!

 

Sozialismus = Gleichmacherei?

 

Im Sozialismus ist die Ausbeutung abgeschafft. Die Produktionsmittel sind vergesellschaftet. Nach was bemisst sich im Sozialismus der Lohn? Der notorisch antikommunistische Ex-US-Präsident Donald Trump erklärte, dass Sozialismus reine „Gleichmacherei“ sei.7 Dabei wird im Sozialismus zum ersten Mal in der Geschichte wirklich nach Leistung bezahlt. Dort wird das Prinzip verwirklicht: „Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seiner Leistung“ (s. S. 23). Vor allem saugt die private Aneignung durch Kapitalisten nicht mehr den gesellschaftlichen Reichtum auf. Durch die „Diktatur des Proletariats“ – die Herrschaft der Arbeiterklasse – verfügt diese über die gesellschaftliche Verwendung der geschaffenen Werte. Selbstverständlich wird die Gesellschaft für Alte, Kranke und Behinderte sorgen.

 

Das sozialistische Verteilungsprinzip basiert allerdings immer noch auf bürgerlichem Recht, das Ungleiches miteinander vergleicht, die unterschiedlichen Voraussetzungen und Bedingungen, die jeder Mensch mitbringt. Eine kommunistische Gesellschaft, in der das Prinzip „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ gilt, wird sich entwickeln, wenn das freiwillige, selbstlose Arbeiten für die ganze Gesellschaft als Grundanliegen in Fleisch und Blut übergegangen ist. Diesen selbstlosen Einsatz findet man heute schon bei vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten, auch an der Gewerkschaftsbasis. Es ist wichtig, die Gewerkschaften als aktives Mitglied zu stärken und zu Kampforganisationen zu machen. Revolutionäre und Marxisten-Leninisten setzten sich uneigennützig für die Interessen der Arbeiterklasse ein. Die Stärkung der Betriebsgruppen der MLPD ist wichtig für kämpferische Tarifrunden, aber noch mehr dafür, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die Mensch und Natur ausbeuten, revolutionär zu überwinden. Für den echten Sozialismus als neue Ordnung, die im besten Sinne „Leistung“ für Gesellschaft, Mensch und Natur erbringt.