Rote Fahne 02/2021
Wertvolle Reissorten – unwiederbringlich vernichtet
Die einen haben zehnmal so viel Eisen wie moderne Hochleistungssorten, die anderen trotzen Dürren oder meterhohen Überschwemmungen, einige wehren Schädlinge ab und können sogar Arzneistoffe liefern: Viele der alten indischen Reissorten erweisen sich als unverzichtbar für die Ernährung der Massen. Sie wurden von Monsanto und anderen Agrarmonopolen systematisch von den Feldern verdrängt und damit in einem katastrophalen Ausmaß unwiederbringlich vernichtet
Dagegen stemmt sich der indische Wissenschaftler und Umweltaktivist Debal Deb. Er berichtet in der Juli-Ausgabe von Spektrum der Wissenschaft, wie er sich – gegen den Widerstand staatlicher Stellen – den Erhalt der alten Reissorten zur Lebensaufgabe machte.1
Seit Jahrtausenden haben die Bauern auf dem indischen Subkontinent die unterschiedlichsten Reissorten gezüchtet, jeweils auf die klimatischen Besonderheiten, spezifischen Schädlinge, die unterschiedlichen Böden und so weiter erstaunlich perfekt angepasst. Hervorgegangen sind daraus rund 110 000 verschiedene Sorten! Diese seit mindestens 7000 Jahren gezüchtete unglaubliche Vielfalt von äußerst wertvollen Reissorten ist heute zu über 90 Prozent vernichtet! Nur rund 6000 der alten sogenannten Landsorten existieren noch.
Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion
Als ab den 1940er-Jahren die indische Bevölkerungszahl regelrecht explodierte – sie vervierfachte sich innerhalb von 60 Jahren! – ergriff die Regierung ab den 1970er-Jahren umfangreiche Maßnahmen zur Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion – allerdings unter dem Diktat der Agrarmonopole. Dabei wurden den Bauern sogenannte Hochleistungssorten aufgedrängt und aufgezwungen. Die alten Landsorten verschwanden von den Feldern und zwar ohne Einlagerung in irgendwelchen Genbanken. Sie sind damit ein für alle Mal für die Menschheit verloren. Es war nicht Artenschwund, sondern Artenmord – für den Profit von Monsanto und anderen Agrarmonopolen, die als Lieferanten und Profiteure hinter der regierungsamtlichen „Grünen Revolution“ standen.
Dass dies nicht auf Indien beschränkt ist, prangerte Stefan Engel bereits vor sechs Jahren in seinem Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung von Mensch und Natur?“ an.2 Der drastische Rückgang der Zahl der Nutztierrassen und Kulturpflanzen ist ein weltweites Phänomen, meist hervorgerufen durch internationale Agrar- und Chemiemonopole wie Monsanto, Bayer, BASF und so weiter mit dramatischen Folgen für die Welternährung.
Dramatische Folgen
Die Ausrottung der alten Reissorten hat schon heute in Indien dramatische Folgen. „Als der Zyklon Aila im Mai 2009 auf die Küste der Sundarbans3 vor Westbengalen und Bangladesch traf, forderte er fast 350 Todesopfer und zerstörte die Wohnstätten von mehr als eine Million Menschen. Eine Sturmflut überschwemmte die Felder und ließ sie versalzen. Neben der unmittelbaren verheerenden Verwüstung war damit die langfristige Ernährungssicherheit der Region in Gefahr“, berichtet Debal Deb. Er verteilte daraufhin Saatgut einer alten Reissorte, welche dann die einzige war, die auf dem versalzenen Boden einen Ertrag lieferte. Ein Jahr später retteten vier traditionelle Reissorten viele Bauern im westlichen Distrikt Puruliya (Westbengalen), als durch die Verspätung der Monsunregenfälle eine schwere Dürre ausbrach. Es gibt Landsorten, die durch schnelle Verlängerung ihres Halms meterhohen Überschwemmungen trotzen können; die resistent sind gegen bestimmte Schädlinge; ja sogar welche, die durch die Anordnung ihrer Blätter die Vögel daran hindern, ihre Körner zu picken. All diese Eigenschaften drohen durch die Hochertragssorten vernichtet zu werden, in der Regel sorgen die produzierenden Agrarmonopoledafür, dass die Bauern das Saatgut nachkaufen und jede Menge Pestizide anwenden müssen.
Die umfangreiche wissenschaftliche und praktische Tätigkeit von Debal Deb und die Rettung der alten Landsorten verdient höchste Anerkennung. Es melden sich aber bereits die ersten Stimmen, die den Einbau dieser nützlichen Eigenschaften in neuen Gen-Reis fordern. Dies würde vor allem den Agrarmonopolen zu neuen Profiten verhelfen und die Bauern in weitere Abhängigkeiten stürzen. Es ist zudem hochriskant, denn das Wissen über die hochkomplexen Wechselwirkungen, die Veränderungen am Erbgut hervorrufen, ist entgegen der vollmundigen und von schnellem Profit getriebenen Aussagen der Agrarmonopole in der Wissenschaft begrenzt.
Gesellschaftsverändernder Umweltkampf
Das Anliegen von Debal Deb zu verwirklichen, erfordert also einen gesellschaftsverändernden Umweltkampf, für den die Erkenntnisse und das Engagement dieses indischen Forschers ein wertvoller Bestandteil sein kann. Die Bauern in Indien aber auch weltweit haben allen Grund, sich an diesem Kampf zu beteiligen, um mit der revolutionären Überwindung des Kapitalismus auch die Macht der Agrarmonopole zu brechen.