Rote Fahne 24/2020
Keine Betriebsversammlungen und Gewerkschaftstreffen wegen Corona?
Das Verbot politischer Veranstaltungen und Demonstrationen während des Lockdown im Frühjahr wurde erfolgreich bekämpft. Im Betrieb werden demokratische Rechte unter dem Vorwand des Corona-Schutzes aber besonders eingeschränkt
Eine Umfrage unter Kolleginnen und Kollegen aus Großbetrieben ergab, dass seit Beginn der Corona-Pandemie fast keine Betriebsversammlungen mehr stattgefunden haben – weder als Präsenzveranstaltung noch digital – und nur wenige Treffen gewerkschaftlicher Gremien. Ein Stahlarbeiter von Thyssenkrupp erzählt: „Bei uns hat lediglich eine eineinhalbstündige digitale ‚Belegschaftsinformation‘ stattgefunden. Da haben der Vorstand, der Gesamtbetriebsrat und die IG Metall die neuesten Horrormeldungen verkündet. Das war‘s.“
Die Belegschaft als stummer Empfänger widriger Nachrichten, keine kritischen Fragen und Beiträge mehr – davon träumen die Vorstände. Aber auch so mancher rechter reformistischer Betriebsrats-Vorsitzender mag froh sein, endlich nicht mehr mit Kritik an seiner Politik des Co-Managements konfrontiert zu werden. Das häufigste Argument ist: man wolle die Belegschaft schützen! Wenn es wirklich um Gesundheitsschutz ginge, hätten die Verantwortlichen vollauf zu tun, sich jeden Tag 24 Stunden lang ins Zeug zu legen, wenn Tausende Kolleginnen und Kollegen Seite an Seite produzieren. Eine Vertrauensfrau von VW berichtet: „Bei uns hat die Personalabteilung die Teilnehmerzahl bei einer Vertrauensleuteversammlung von 30 auf 15 gesenkt. Dabei gibt es genügend Räume, wo man sich mit Abstand treffen könnte.“ Notfalls müssen auch die Städte dafür kostenlos Räume zur Verfügung stellen. Es gibt auch ein Reihe von Kolleginnen und Kollegen, die aus Angst, angesteckt zu werden, lieber auf Versammlungen verzichten. Dabei ist es gerade jetzt, in der tiefsten Weltwirtschafts- und Finanzkrise mit dem Übergang der Monopole zu offenen Angriffen auf die Belegschaften wichtig, dass demokratische Beratungen und eine Vereinheitlichung auf Forderungen und notwendige Kampfschritte ausgehend von der Basis stattfinden!
Das Betriebsverfassungsgesetz verpflichtet im § 43 den Betriebsrat, „einmal in jedem Kalendervierteljahr eine Betriebsversammlung einzuberufen“, wo die Kolleginnen und Kollegen ausreichend Gelegenheit haben, zu sprechen und dem Betriebsrat Aufträge zu geben. „Audiovisuelle“ Betriebsversammlungen, die ausnahmsweise bis 31. Dezember möglich sind1, können die gesetzlich vorgesehene Aussprache aber nicht erfüllen, zumal dafür in den meisten Fällen die technischen Voraussetzungen fehlen.
Es gibt inzwischen unzählige Beweise, wie auch unter Bedingungen von Corona Präsenzversammlungen durchgeführt werden können: Mit Masken, ausreichenden Abständen zwischen den Sitzplätzen, genau gekennzeichneten Laufwegen, Desinfektion der Mikrofone, Lüften und Lüfter usw. In allen Städten gibt es größere Säle, die dazu angemietet werden können und vom Unternehmen bezahlt werden müssen. Außerdem erlaubt das Betriebsverfassungsgesetz auch die Aufteilung in Teilversammlungen. Deshalb ist das Argument, „wir können wegen Corona keine Betriebsversammlung durchführen“, eine billige Ausrede. Es ist wichtig, jetzt in allen Betrieben dafür zu sorgen, dass regelmäßig gewerkschaftliche Treffen stattfinden und vom Betriebsrat zu verlangen, dass Betriebsversammlungen als Präsenzversammlungen mit konsequentem Gesundheitsschutz durchgeführt werden.