Rote Fahne 13/2020
Massenrebellion in den USA – Beginn einer gesamtgesellschaftlichen Krise
Nach dem brutalen rassistischen Mord an George Floyd am 25. Mai in Minneapolis ...
... breitete sich wie ein Lauffeuer eine Massenrebellion in den USA, in Hunderten Städten und allen Bundesstaaten, aus. Davon ausgehend entwickelt sich weltweit die internationale Solidarität und der Protest. In zahlreichen Haupt- und Großstädten kam es zu Massendemonstrationen mit insgesamt Millionen Teilnehmern. In den USA als imperialistischem Kernland hat eine gesamtgesellschaftliche Krise begonnen. Das bedeutet, dass große Teile der Massen nicht nur an einer Frage, etwa gegen ein konkretes Gesetz der Regierung, aufbegehren. Die Massenrebellion in den USA richtet sich gegen die Trump-Regierung als Ganzes, gegen die Rechtsentwicklung, den Rassismus und die Polizeigewalt als die Gesellschaft prägende Fragen sowie gegen die verheerenden Auswirkungen der Weltwirtschafts-, Finanz- und Corona-Krise. Der Protest geht bis in Teile des bürgerlichen Staatsapparates und bringt seine beginnende Zersetzung zum Ausdruck. Die Situation ist gekennzeichnet durch ein Gemisch aus ökonomischen, politischen, ökologischen, sozialen, ideologischen und Hungerkrisen.
Angesichts der sich weltweit entwickelnden massenhaften Kritik am Rassismus versuchen bürgerliche Politiker und ein Teil der Massenmedien, diesen als ein Produkt in den Köpfen der Menschen mit weißer Hautfarbe zu erklären. So soll von den gesellschaftlichen Grundlagen abgelenkt werden. Tatsächlich ist der Rassismus seit jeher, nicht nur in den USA, ein Mittel der Herrschenden zur Spaltung der Arbeiterklasse und der Unterdrückten. Er wurde zu einem Symptom der kapitalistischen Klassengesellschaft.
In den USA ist der Rassismus gegen Afroamerikaner nicht erst seit der Wahl von Donald Trump ein gesellschaftliches Kernproblem. Nach seiner Wahl zum US-Präsidenten und der von ihm forcierten Rechtsentwicklung hat sich der Rassismus aber noch deutlich verstärkt. Ein schwarzer Gewerkschafter stellt fest: „Wir haben versucht, das Problem des Rassismus friedlich anzugehen. Aber diese Versuche – einschließlich des Niederkniens während der Nationalhymne – stießen auf Verachtung, Spott und schwarze Listen. Jetzt sind wir an einem Punkt angelangt, an dem Millionen Menschen nichts mehr zu verlieren haben …“. Rassismus tötet nicht nur in den USA. Auch in Deutschland erfolgten die Morde des faschistischen NSU an Migranten auf einer rassistischen Grundlage.
Die tiefste Wirtschafts- und Finanzkrise seit 1929–32
Die Weltwirtschafts- und Finanzkrise hat in den USA durch die Wechselwirkung mit der Corona-Krise, verschiedenen Strukturkrisen und dem ökonomischen Rückfall des US-Imperialismus eine enorme Wucht und Tiefe entwickelt. Dies kennzeichnet auch einen Bankrott der bürgerlichen politischen Ökonomie. Diese hat die nach der Weltwirtschafts- und Finanzkrise von 2008 bis 2014 folgende schwankende Stagnation in den USA aufgrund spekulativ aufgeblähter Börsenkurse irreführend als „Boom“ und „Aufschwung“ gedeutet.
Nach der Einleitung der erneuten Weltwirtschafts- und Finanzkrise Mitte 2018 organisierte die US-Regierung ein großes Konjunkturprogramm. Das und die Abwälzung der Krisenlasten auf andere imperialistische und neokolonial abhängige Länder hielt die Widersprüche im eigenen Land zunächst noch in Spannung. 2019 gingen die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts und der Industrieproduktion schon deutlich zurück. Ab März dieses Jahres kam es dann durch die Wechselwirkung mit der rasanten Ausbreitung der Corona-Pandemie in den USA zu einem tiefen wirtschaftlichen Einbruch. Die Massenarbeitslosigkeit explodierte und erreichte mit 40 Millionen deutlich höhere Werte als in der Krise von 1929 bis 1932. In New York breitet sich Hunger unter armen Familien aus. Im selben Zeitraum, in dem 40 Millionen ihren Arbeitsplatz verloren und über 100.000 Menschen an dem Coronavirus und dem Desaster des kapitalistischen Gesundheitssystems starben, konnten sich 600 US-Milliardäre über einen Vermögenszuwachs von insgesamt 434 Milliarden Dollar freuen. Schon vor der Massenrebellion kam es in der Automobil- und Bauindustrie sowie bei Amazon zu verschiedenen Streiks und Arbeitsniederlegungen für Gesundheitsschutz, gegen Einkommensverlust und Entlassungen.
Landesweite Massenrebellion und Aufruhr
Der brutale Mord an George Floyd war ein neuer Höhepunkt der Polizeibrutalität und rassistischer Morde in den USA. Nachdem das Video über seine Ermordung im Internet veröffentlicht wurde, kam es am darauffolgenden Tag in Minneapolis zunächst zu einer friedlichen Demonstration von 20.000 Menschen. Diese wurde von der Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas attackiert. Die Reaktion waren spontane militante Aktionen besonders von schwarzen Jugendlichen. Das Polizeirevier, in dem die vier an dem Mord beteiligten Polizisten arbeiteten, zahlreiche Polizeiwagen und Gebäude gingen in Flammen auf und es kam zu Plünderungen. Das ist zum einen Ergebnis blinder Wut und Verzweifelung, aber auch von Provokationen anarchistischer oder gar faschistischer Kräfte. Die Herrschenden rücken mit Hilfe der Massenmedien bewusst solche Bilder in den Mittelpunkt der Berichterstattung, um die Massenrebellion in „friedliche“ und „gewaltbereite“ Teilnehmer zu spalten und die Bewegung gesellschaftlich zu isolieren.
Die Massenbewegung ist trotz dieser Manipulation der öffentlichen Meinung damit fertiggeworden und hat sich ausgeweitet. Zeitweise nahmen die Massenproteste in Minneapolis und verschiedenen anderen Städten aufstandsähnlichen Charakter an. Es gab Ausgangssperren und Zusammenstöße mit dem Staatsapparat, vor denen die Massen nicht zurückwichen. Polizeiwachen, Polizeiwagen, Gebäude und Einrichtungen des Staatsapparates bis hin zum Weißen Haus wurden ins Visier genommen. Präsident Trump musste kurzzeitig in den Bunker des Weißen Hauses fliehen. Die Protestierenden griffen auch verhasste Denkmäler, die Repräsentanten der Sklaverei huldigen, an und stürzten sie teilweise.
Rebellion auch gegen faschistische Maßnahmen und Drohungen der Trump-Regierung
Cherrene Horazuk, Büroangestellte an der Universität von Minnesota und Vorsitzende einer lokalen Gewerkschaftsgruppe, berichtet im Internet über die Ereignisse in Minneapolis: „In der vergangenen Woche hatten wir das Gefühl, als würden wir unter militärischer Besatzung leben: Ausgangssperren, geschlossene Autobahnen, stillgelegte öffentliche Verkehrsmittel, Tausende von Nationalgardisten auf den Straßen, dazu Hunderte von Polizisten. … Obwohl die Unterdrückung und Militarisierung erschreckend war, war die Macht der Menschen, die Gerechtigkeit fordern, spürbar. Die Menschenmassen, die sich zeitweise zu Zehntausenden versammelt haben, sind rassen- und generationsübergreifend und zumeist arm und aus der Arbeiterklasse.“
Der von der Trump-Regierung organisierte brutale Polizeiterror und faschistische Methoden wie die Verhängung von Ausgangssperren in 33 Bundesstaaten, der Einsatz der Nationalgarde und die Drohung Trumps mit einer blutigen militärischen Niederschlagung der Proteste konnten die Ausweitung der Massendemonstrationen nicht unterbinden. Insbesondere Jugendliche ließen sich nicht davon abhalten, trotz Ausgangssperren auf der Straße zu bleiben, auch wenn sie dafür Verhaftungen wegen „zivilen Ungehorsams“ in Kauf nehmen mussten.
Die Rebellion der Massen ist gerechtfertigt
Viele kämpferische lokale gewerkschaftliche Basisorganisationen beteiligten sich an den Massenprotesten. Einige Gruppen der Busfahrergewerkschaft haben sich öffentlich geweigert, ihren Mitgliedern zu gestatten, die Busse zu fahren, die die Polizei oder verhaftete Demonstranten befördern. Auch die Vorstände der meisten nationalen Gewerkschaftsverbände verurteilten den Mord an George Floyd und forderten Gerechtigkeit. Häufig bleibt es dabei jedoch auch.
Die Entwicklung der Massenrebellion und der weltweiten Bewegung bestätigt die in dem Buch „Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution“ von Stefan Engel enthaltene Prognose: „Auch schon am Ende der Etappe der nichtrevolutionären Situation treten vereinzelt ,jähe Umschwünge, rasche Wendungen, unerwartete Situationen, heftige Explosionen‘ auf. Es sind Anzeichen, dass der Übergang zur revolutionären Gärung bereits objektiv vorbereitet ist.“ (S. 442)
Die Massenrebellion gegen Rassismus, Polizeigewalt und gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung ist unübersehbar auch Ausdruck der Suche nach einer gesellschaftlichen Alternative. Dabei wächst auch in den USA die Offenheit für den Sozialismus, insbesondere unter der Jugend. Nach aktuellen Meinungsumfragen würden sogar 40 Prozent der US-Amerikaner angesichts ihrer Erfahrungen den Sozialismus gegenüber dem Kapitalismus bevorzugen. Noch ist der Begriff des Sozialismus jedoch diffus. Um die Massenrebellion zu spalten und gesellschaftlich zu isolieren, hetzte Trump gegen „Linksradikale“. Er diffamierte sie als „Terroristen“, um den Einsatz der Nationalgarde und seine faschistische Drohung mit dem Einsatz der Armee zu rechtfertigen.
In seinem antikommunistischen Wahn will er sogar die „Antifa“, die antifaschistische Bewegung, zur „Terrororganisation“ erklären.
Die Erfahrungen mit dem offen reaktionären Antikommunismus sind bis zu einem bestimmten Grad unter den fortschrittlichen Kräften der USA verarbeitet. Die Massenrebellion ist objektiv auch eine Rebellion gegen den Antikommunismus Donald Trumps, was die Krise der bürgerlichen Ideologie vertieft. Seine Unterstützung unter einem noch großen Teil der Bevölkerung sinkt. Er wird jedoch weiter mit Demagogie und faschistischen Methoden seine ultrareaktionäre Massenbasis zu festigen versuchen. Er hat schon angekündigt, dass bei einer zweiten Corona-Infektionswelle die Wirtschaft nicht wieder heruntergefahren werden soll. Für die Maximalprofite sind die internationalen Monopole und die Trump-Regierung bereit, noch deutlich mehr Tote in Kauf zu nehmen. Teile seiner ultrareaktionären Massenbasis bereiten sich mehr oder minder offen auf einen Bürgerkrieg vor.
Heuchelei bürgerlicher Politiker über „gemeinsame Werte“
Barack Obama, der erste und bisher einzige afroamerikanische US-Präsident, deutete die Proteste durchaus zutreffend als „Ausdruck einer echten und legitimen Enttäuschung über ein jahrzehntelanges Versagen bei der Reform von Polizei und Strafjustiz“. Er meint, die Proteste seien ein „Zeichen der Hoffnung, dass es im Land den Willen zur Veränderung gebe“.1 Hoffnung auf Veränderung gibt die Massenrebellion in den USA tatsächlich. Um den Rassismus als Mittel der Spaltung der Unterdrückten sowie Ausbeutung und Unterdrückung abzuschaffen, muss man jedoch den Kapitalismus revolutionär überwinden.
In den USA, diesem Kernland des Imperialismus, zeigt sich wie in einem Brennglas die ganze Fäulnis und Dekadenz des imperialistischen Weltsystems. Angela Merkel äußerte: „Ich hoffe, dass es gelingt, das Land gut zu befrieden.“ Es kann bezweifelt werden, dass dies gelingt.
In Wirklichkeit eint die früheren US-Präsidenten und auch die Bundesregierung unter Angela Merkel die Sorge, dass aus der Rebellion gegen den Rassismus und schreiende Ungerechtigkeiten eine Rebellion gegen die Alleinherrschaft des internationalen Finanzkapitals wird. Und dass die Massen sich die Freiheit nehmen, unter Führung der Arbeiterklasse eine revolutionäre Überwindung des Kapitalismus anzustreben, um eine Gesellschaft frei von kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung, den echten Sozialismus, zu erkämpfen.
Mit der Massenrebellion gegen den Rassismus, gegen Polizeigewalt und Auswirkungen der ökonomischen-, der Gesundheits- und Umweltkrise ist das Krisenmanagement in den USA selbst in eine Krise geraten. Die gesellschaftliche Polarisierung spitzt sich weiter zu. Sowohl zwischen verschiedenen Gruppierungen des in den USA allein herrschenden internatinalen Finanzkapitals. Als auch im imperialistischen Staats- und Gewaltapparat selbst und zwischen dem fortschrittlichen Stimmungsumschwung sowie der ultrareaktionären Massenbasis der Trump-Regierung. Es bringt heftige Widersprüche über die anzuwendenden Herrschaftsmethoden zum Ausdruck, wenn sich der Chef der US-Nationalgarde, General Joseph Lengyel, mit den landesweiten Protesten gegen Rassismus „solidarisierte“, obwohl diese in zahlreichen Städten eingesetzt wurde. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sowohl in der Nationalgarde als auch in der Armee viele Afroamerikaner sind, die eigene leidvolle Erfahrungen mit dem Rassismus haben.
Der jetzt von den „Demokraten“ vorgestellte Gesetzentwurf gegen Polizeigewalt und die in Minneapolis und einzelnen Bundesstaaten angekündigte oder verabschiedete „Polizeireform“ sollen Auswüchse der ausufernden brutalen Polizeigewalt einschränken. Das wird jedoch die begonnene gesamtgesellschaftliche Krise und ihre tiefer liegenden Ursachen nicht lösen. Der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden versucht, sich als Alternative zu Trump zu profilieren. Die „Republikaner“ und die „Demokraten“ unterscheiden sich zurzeit zwar in den konkreten Herrschaftsmethoden, jedoch nicht in ihrer Rolle als Dienstleister des internationalen Finanzkapitals.
Potenzial zur Herausbildung einer revolutionären Weltkrise
Diese Entwicklung wird zwangsläufig gravierende Auswirkungen auf den weiteren Verlauf der Weltwirtschafts-, Finanz- und Corona-Krise haben und die weltweite Tendenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems verstärken. Dies hat das Potenzial zur Herausbildung revolutionärer Gärungen und einer revolutionären Weltkrise. Sie sind ein Signal, den Kampf gegen den Kapitalismus/Imperialismus insgesamt und für eine Welt ohne Rassismus, kapitalistische Ausbeutung, Unterdrückung, Umweltkrise und die Gefahr eines III. Weltkrieges aufzunehmen. Das ist der echte Sozialismus/Kommunismus. Dies erfordert die entschiedene Stärkung der revolutionären und marxistisch-leninistischen Kräfte, ihre internationale Koordinierung und gegenseitige Unterstützung im Rahmen der revolutionären Weltorganisation ICOR. Auch der Aufbau einer weltweiten antiimperialistischen und antifaschistischen Einheitsfront gegen Rechtsentwicklung, Faschismus und Krieg erweist sich immer deutlicher als ein drängendes Zeichen der Zeit!