Rote Fahne 07/2020

Rote Fahne 07/2020

Die Spanische Grippe – eine zensierte Pandemie

Was bis heute wenig bekannt ist: Der sogenannten Spanischen Grippe fielen in den Jahren 1918 bis 1920 in zwei Wellen geschätzte 25 bis 50 Millionen Menschen zum Opfer – mehr als in den Kriegshandlungen des Ersten Weltkriegs

Von Anna Bartholomé
Die Spanische Grippe – eine zensierte Pandemie
Militär-Notfallkrankenhaus während der Spanischen Grippe in Kansas/USA, Foto: courtesy of the National Museum of Health and Medicine, Armed Forces Institute of Pathology, Washington, D.C., United States / CC BY 2.5

Das Herkunftsland dieses hoch aggressiven Grippevirus war gar nicht Spanien. Aber in diesem nicht am Krieg beteiligten Land wurde als Erstes darüber berichtet, während in den kriegsführenden Ländern strikte Zensur die Ausbreitung verheimlichen sollte – was so erst recht zur Verbreitung beitrug.

 

Nach neuen Forschungen lag der Ausgangspunkt in den USA, die 1917 in den Ersten Weltkrieg eintraten. Aus engen Baracken in Ausbildungslagern, eingepfercht auf Schiffen, landeten infizierte Soldaten in Europa – womit sich die Infektion dort rasend schnell verbreitete. Auslöser der Seuche war ein besonders aggressiver Influenzavirus, der mit sehr heftigem Fieber, eitriger Bronchitis und oft tödlichen Lungenentzündungen auftrat – von den Massen auch als „Lungenpest“ bezeichnet.

 

Anfang April 1918 sind erste Grippeerkrankungen aus der französischen Hafenstadt Brest belegt, von wo sie sich sowohl in der Zivilbevölkerung als auch unter den Soldaten ausbreiteten. In den französischen Lazaretten wurden die ersten grippeerkrankten Soldaten am 10. April eingeliefert. In den ersten zwei Wochen des Mai 1918 meldete die britische Marine über 10 000 Krankheitsfälle und sah sich außerstande, auszulaufen.

 

Auch die Tatsache, dass besonders viele Männer zwischen 20 und 40 Jahren zu den ersten Todesopfern zählten, belegt, dass es zunächst massenhaft Soldaten traf. Neuseeland wurde von der Grippewelle erst ab November 1918 heimgesucht, als die ersten Truppen zurückkehrten.

 

In Europa starben im Frühjahr 1918 an der Westfront wöchentlich Tausende in den Schützengräben und bei Giftgaseinsätzen. Da sollte der unsichtbare Feind Grippeviren keinesfalls bekannt werden.

 

Der deutsche General Erich Ludendorff, der als Unterstützer des Kapp-Putsches und später noch im Hitler-Faschismus eine führende Rolle spielen sollte, verbat sich die zersetzende Wirkung der allmorgendlichen Nachrichten über Todesopfer. Das hätte noch viel mehr kriegsmüde Soldaten zur Desertion getrieben – oder nach revolutionären Auswegen suchen lassen.

 

Wo die Grippe in den Städten unter der Zivilbevölkerung wütete, da traf sie Arbeiter, die am Fließband in engem Kontakt standen. In den Ford-Werken in Detroit fielen im Frühjahr 1918 zeitweise bis zu 1000 Arbeiter aus, wegen einer Erkrankung an der Grippe.

 

In den deutschen Städten waren es nach zwei Hungerwintern ausgehungerte Kinder und alte Leute, die dahingerafft wurden. Geschätzt werden 426 000 Tote im deutschen Reich in den Jahren 1918 und 1919.

 

Von der weltweiten Pandemie waren Südamerika, Asien, Afrika und die pazifischen Inseln besonders betroffen. In Indien herrschte zugleich eine Hungersnot, viele zogen vom Land in die Städte, weil sie dort auf eine bessere Versorgung hofften. Man schätzt, dass allein dort 17 Millionen Menschen den Tod fanden.

 

Auch bei der gegenwärtigen Corona-Pandemie sind Länder mit schlechten Lebensbedingungen und maroden Gesundheitssystemen besonders bedroht. Das zeigt sich momentan bereits am Beginn der Epidemie in Venezuela.