Rote Fahne 25/2019
2. Weltkonferenz der Automobilarbeiter: Viel Klärungsbedarf und harte Kämpfe auszutragen!
Die 2. Internationale Automobilarbeiterkonferenz in Südafrika ... findet in turbulenten Zeiten statt. Die Automobilbelegschaften stehen vor großen Umbrüchen. Die Konzerne wollen die Folgen tiefgreifender Strukturkrisen – unter anderem aufgrund der Digitalisierung der Produktion und der Umstellung auf Elektromotoren – auf sie abwälzen. Die begonnene weltweite Überproduktionskrise verschärft das noch. Es vergeht kaum eine Woche ohne Ankündigung weiterer Arbeitsplatzvernichtungspläne.
Krisenhaft ist aber auch die Regierungspolitik in vielen Ländern. Eine Welle von Massenprotesten springt in Lateinamerika, Nordafrika und dem Nahen Osten von einem auf das nächste Land über. Oft richten sie sich gegen die Rechtsentwicklung der Regierungen und bürgerlichen Parteien sowie ihre sozialen und politischen Folgen, gegen Korruption und kriminelle Auswüchse. In Ländern wie Brasilien, Iran, Türkei oder Ungarn spielen die Automobilarbeiter dabei eine wichtige Rolle. In Südafrika richten sich Streiks gegen die staatliche Senkung des Mindestlohns. Es wachsen Härte und Organisiertheit gegen Kriminalisierung und Unterdrückung, wie gegen das Streikverbot in der Türkei. Im Iran sind die Kämpfe der Autoarbeiter Rückgrat der politischen Gärung. Nicht zuletzt fordert die weltweite Jugendumweltbewegung zur Positionierung heraus. Lassen sich die Autoarbeiter gegen ihre berechtigten Anliegen ausspielen oder stellen sie sich mit an die Spitze des Kampfs zur Rettung der Umwelt – in der gemeinsamen Verantwortung für die Zukunft der Jugend und der ganzen Menschheit?
Automobilarbeiter gehen nach vorne
Weltweit beleben sich die Kämpfe gerade auch der Automobilarbeiter. Am 25. Oktober 2019 endete ein 40-tägiger Streik von bis zu 60 000 Arbeiterinnen und Arbeitern von General Motors (GM) in den USA. Sie streikten für höhere Löhne, gegen das entwürdigende und spalterische System mehrerer Lohnstufen und die geplante Schließung von fünf Werken. Es war der längste Streik der Automobilarbeiter seit fast 50 Jahren in den USA. Einige Zugeständnisse konnten erkämpft werden. Vor allem zeigte der Streik die Kraft der Arbeiter, die in den weltweiten Produktionsverbünden der internationalen Monopole zusammenwirken. In 34 Werken stand die Produktion. In Silao (Mexiko) weigerten sich Kolleginnen und Kollegen, Überstunden für Streikbrecherarbeiten zu machen. Streikende GM-Arbeiter aus Südkorea erklärten ihre Solidarität. Die Internationale Koordinierungsgruppe der IAC veröffentlichte eine Solidaritätserklärung auf ihrer mehrsprachigen Homepage, damit dieser Streik weltweit bekannt wird, die Autoarbeiter davon lernen und die breite Solidarität entwickeln können.
Kampfaktionen gab es auch in Brasilien gegen die Schließung eines großen Werks von Ford, in Indien gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen und Lohnkürzungen oder in Großbritannien gegen die Werksschließung von Honda. Dabei wächst das Interesse an konzern- und länderübergreifender Zusammenarbeit. Nicht selten erfahren Belegschaften noch gar nichts oder viel zu spät von Kämpfen ihrer Kolleginnen und Kollegen in entfernteren Ländern. Vor allem sind heute – weltweit – hohe Hürden an die Aufnahme von Arbeiterkämpfen gestellt. Auch bei ihren derzeitigen Plänen zur Abwälzung der Krisenlasten gelingt es den Konzernleitungen in vielen Fällen noch, die Belegschaften zu verunsichern oder auf individuelle Auswege wie Abfindungsprogramme zu orientieren.
Um dagegen in die Offensive zu gegen, brauchen die Automobilarbeiter heute Klarheit über die Ursachen der krisenhaften Entwicklung der Weltwirtschaft, der zunehmenden allgemeinen Kriegsgefahr, der Rechtsentwicklung der Regierungen sowie einer wachsenden faschistischen Gefahr. Sie brauchen Bewusstheit darüber, dass das Eintreten für soziale Belange und für die Rettung der Umwelt heute untrennbar zusammengehören. Sie brauchen Zuversicht in eine sozialistische gesellschaftliche Perspektive und müssen nationalistische Spaltung überwinden. Und sie brauchen den engen Schulterschluss zur MLPD. Dafür müssen sie fertigwerden mit antikommunistischen Diffamierungen und liquidatorischen Angriffen, die verstärkt auch von rechten Gewerkschaftsführern ausgehen und sich gegen den Kampf um eine gesamtgesellschaftliche Rolle der MLPD richten.
Erfolgsgeschichte der Automobilarbeiterkonferenz
Viele Kolleginnen und Kollegen können sich bisher gar nicht vorstellen, wie man mit den Autoarbeitern in aller Welt in Kontakt treten kann, Erfahrungen austauschen und mit ihnen gemeinsame Forderungen und Kampfschritte verabreden kann. Umso mehr muss die Erfolgsgeschichte der Internationalen Automobilarbeiterkonferenz bekanntgemacht werden. Die erste Konferenz fand 2015 mit 41 Delegierten
und 600 Teilnehmern aus 21 Ländern in Sindelfingen statt. Sie steckte sich das Ziel: „Wir wollen unsere Erfahrungen und Erkenntnisse austauschen, unsere Organisiertheit stärken und Kämpfe international fördern und koordinieren. Wir unterstützen uns gegenseitig durch Solidaritäts- und Protestaktionen, fördern Solidaritätsstreiks und die Verweigerung von Streikbrecherarbeiten, entwickeln Solidaritätskampagnen und international abgestimmte Aktionstage der Solidarität.“1 Sie wählte sich ihre weltweite Koordinierung aus neun kampferprobten Autoarbeitern aus Spanien, Deutschland, Brasilien, Italien, Südafrika, Türkei und Kolumbien.
Ihre Strukturen sind keinesfalls eine Konkurrenz oder gar Ersatz von Gewerkschaften. Auf der 1. IAC wurde vielmehr „die Stärkung der Gewerkschaften als Kampforganisationen“ bekräftigt. Zugleich geht ihre Zielsetzung über den gewerkschaftlichen Rahmen hinaus: „Wir bleiben beim Kampf um bessere Lohn- und Arbeitsbedingungen nicht stehen. Wir wollen ein reiches, würdevolles und gesundes Leben aller Menschen in Einklang mit der Natur – eine Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung, weil eine andere Welt möglich ist.“ Kernstück der Konferenz in Südafrika ist die Diskussion und Beschlussfassung eines internationalen Kampfprogramms für die Autoarbeiter, um die Forderungen weltweit zu vereinheitlichen.
Die MLPD und die revolutionäre Weltorganisation ICOR unterstützen nach Kräften die Vorbereitung und Durchführung der überparteilichen und selbstorganisierten Automobilarbeiterkonferenzen. Solche Strukturen des länderübergreifenden Gedanken- und Erfahrungsaustauschs stärken auch die Zusammenarbeit im Klassenkampf. Sie bieten eine Plattform für die gegenseitige Unterstützung beim Aufbau revolutionärer Parteien und Selbstorganisationen in den verschiedenen Ländern. Und sie ermöglichen es, länderübergreifende Massenbewegungen und die internationale Solidarität zu organisieren. Die MLPD wendet sich aber auch gegen Vorstellungen, allein durch Zusammenschluss auf prinzipienloser Grundlage nach dem Motto „Hauptsache kämpfen“ könne eine den internationalen Monopolen überlegene Kraft geschaffen werden. Die internationale Koordinierung und Revolutionierung der Kämpfe umfasst auch die Überwindung von Einflüssen der bürgerlichen Ideologie wie des Reformismus, Revisionismus, Anarchosyndikalismus oder Trotzkismus in der internationalen Arbeiterbewegung. Deshalb ist es von großer Bedeutung, solche Differenzen bei den Automobilarbeiterkonferenzen sachlich und auf Augenhöhe auszutragen.
Vor komplizierten Herausforderungen
Megafusionen, wie die von Fiat/Chrysler mit der französischen PSA-Gruppe geplante, oder die drohende Zerschlagung und Aufspaltung ganzer Konzerne wie bei Daimler lassen die Sorgen um die Arbeitsplätze wachsen. Allein in der Region Stuttgart, in der jeder vierte Automobilarbeiter beschäftigt ist, wollen 160 Betriebe, so die IG Metall, „Krisenprogramme“ durchsetzen. Bei Opel Rüsselsheim stehen im Entwicklungsbereich erstmals offene Entlassungen auf der Tagesordnung. Besonders heftig trifft es die Belegschaften der Zulieferer (siehe Seite 18/19). Dagegen wachsen Empörung und Widerstand. Für den 22. November hat die IG Metall erstmals zu einer gemeinsamen Kundgebung der Zuliefer-Belegschaften in Stuttgart aufgerufen. Konzernweite Aktionstage gab es im September auch bei Siemens und am 20. November mit 1500 Teilnehmern bei Continental in Hannover. Solche gewerkschaftlichen Aktionen gehen oft auf Initiative klassenkämpferischer Arbeiter und Vertrauensleute und entsprechenden Druck aus den Betrieben zurück – so die gemeinsame Kundgebung mit 3000 Beteiligten von SKF und anderen Schweinfurter Betrieben am 27. November. Bedeutend sind die noch wenigen, aber zunehmenden selbständigen Aktionen. So kämpfen in Göppingen Metaller bei Schuler, WMF, Eberspächer mit Montagsaktionen unter dem Motto „Mondays for jobs“. Die Initiative hatten die Metaller bei Schuler ergriffen, die am 14. Oktober eine Protestaktion der IG Metall gegen angekündigte Arbeitsplatzvernichtung zu einer selbständigen Streikdemonstration durch die Stadt ausweiteten. „Wir haben viel zu lange abgewartet“, „Es geht denen nur um den Profit“ – argumentierten sie.
Die MLPD-Betriebsgruppen helfen den Belegschaften, sich im Trommelfeuer reformistischer Illusionen, nationalistischer Spaltung und antikommunistischer Hetze zu orientieren. Von Siemens in Berlin berichtet ein Korrespondent: „733 Kolleginnen und Kollegen haben das Geschäftsleitungs-Angebot unterschrieben. Es gibt viele Fragen, zu welchen Konditionen man bei Siemens aussteigen kann.“ Eine materielle Grundlage ist der stark gewachsene Arbeitsdruck, den viele kaum mehr aushalten. Überall werden die Leute mit regelrechtem Massenmobbing erpresst, Abfindungen zu nehmen. Gleichzeitig wirkt die Denkweise des individuellen Auswegs, statt von den gemeinsamen Klasseninteressen auszugehen. Jeder Automobilarbeiter hat aber Verantwortung für die Zukunft der ganzen Arbeiterklasse und ihrer Jugend. Weil die Siemens-Kolleginnen und -Kollegen das spüren, reagieren sie zugleich auch aufgeschlossener auf den Vorschlag eines konzernweiten Kampfs. Spielraum für die Suche nach individuellen Lösungen gibt die noch vorhandene Unterschätzung der Dimension der Krisenentwicklung. Oft hört man: „Noch schlimmer kann es ja kaum werden.“ Doch allein die begonnene Umstellung auf E-Mobilität und Digitalisierung kann bis zu 360 0002 Arbeitsplätze kosten.
Ein VW-Arbeiter berichtet: „Noch verfängt teilweise die Argumentation der Unternehmensleitung und Betriebsratsspitze, die Klimaerwärmung werde nicht so heiß gegessen wie oft dargestellt.“ Subtil wird so Entwarnung beim Umweltkampf gegeben. Umweltaktivisten sollen als „Gegner“ erscheinen, die Kohleverbrennung und Verbrennungsmotoren grundlos „schlechtmachen“. In Diskussionen darüber ist es wichtig, die gemeinsame Ursache der steigenden Ausbeutung und Umweltzerstörung in der kapitalistischen Profitwirtschaft zu klären.
Eine andere Betriebsgruppe berichtet von der Wirkung nationalistischer Spaltung: „Bei uns im Betrieb haben verschiedene AKP-unterstützende türkischstämmige Kollegen teils offen den Krieg gegen Rojava verteidigt, Kurden allgemein als ‚Terroristen‘ beschimpft usw. Gleichzeitig haben etliche deutsche Kollegen unsere Argumente übernommen und sich gegen den Krieg ausgesprochen.“ Die Polarisierung in solchen Fragen stellt hohe Anforderungen an Prinzipienfestigkeit, Fingerspitzengefühl und festes Vertrauen in die Massen, um falsche Zuspitzungen zu vermeiden und gleichzeitig den unversöhnlichen Widerspruch zwischen imperialistischen und Arbeiterinteressen auszutragen.
Nach der Wahl von Belit Onay (Grüne) zum neuen Oberbürgermeister von Hannover gab es auch unter VW-Kollegen nationalistisch beeinflusste Kommentare wie: „Hannover wird jetzt von einem Türken regiert.“ Auf der Betriebsversammlung am 26. November gaben mehrere Redner die offensive Antwort. Sie klärten über den faschistoiden Charakter der AfD auf und kritisierten all die Kollegen, die meinen, AfD wählen wäre „Protest“ (mehr auf Seite 21). Die Arbeiter müssen solche Erscheinungen der nationalistischen Spaltung überwinden, denn nur so können sie sich an die Spitze des Kampfs gegen die Rechtsentwicklung der Regierung und der bürgerlichen Parteien sowie gegen die faschistische Tendenz stellen. Das kann nur die Arbeiterklasse mit ihrem klaren Klassenstandpunkt, ihrer internationalen Zusammensetzung und ihrer Rolle als Gegenpol zum allein herrschenden internationalen Finanzkapital.
Insbesondere müssen die Automobilarbeiter mit zunehmend aggressiver Hetze gegen der MLPD zugerechnete Kolleginnen und Kollegen und ihr „Umfeld“ fertigwerden. Ein VW-Arbeiter schildert die Reaktion eines Kollegen: „Jeder, der mit dir zu sehen ist, bekommt auch Druck. Du hast einen Stempel, den sie dir immer wieder aufdrücken – egal, ob du Gutes oder Schlechtes machst.“ Das notwendige Rückgrat, um solche Spaltungsmanöver zurückzuweisen, erfordert ein hohes Klassenbewusstsein, und dazu am besten die Entscheidung, selbst Mitglied zu werden. Denn die MLPD verfügt aufgrund ihrer weitsichtigen Analysen über das Know-how und die unverbrüchliche Solidarität, in all den Herausforderungen der Zukunft zu bestehen.
Organisiertheit fördern
Zur Höherentwicklung der Kämpfe und des Klassenbewusstseins braucht es eine Summe geeigneter Organisationsformen – angefangen bei der Organisierung der breiten Masse der Arbeiterinnen und Arbeiter in den Gewerkschaften und ihrer Gestaltung zu Kampforganisationen. Darüberhinaus dienen das Internationalistische Bündnis und seine Arbeiterplattform dem Zusammenschluss der Arbeiter und breiten Massen gegen die Rechtsentwicklung der Regierung sowie gegen die akute faschistische Tendenz. Die Automobilarbeiterkoordination ist in Deutschland Mitglied im Internationalistischen Bündnis, sie koordiniert zwischen den Internationalen Automobilarbeiterkonferenzen die weltweiten Kämpfe der Arbeiter, organisiert gegenseitige Besuche bei Streikenden und trägt zur Stärkung des internationalistischen Bewusstseins bei. Die revolutionäre Kleinarbeit der MLPD zielt auf die Hebung des Klassenbewusstseins der Arbeiter bis zum sozialistischen Bewusstsein. Dann werden sie in der Lage sein, gemeinsam mit der Masse der Unterdrückten auf der Welt zur revolutionären Tat der Überwindung der Alleinherrschaft des internationalen Finanzkapitals überzugehen. Denn die drängenden Zukunftsfragen können nur in vereinigten sozialistischen Staaten der Welt gelöst werden. Dazu muss heute vor allem die MLPD gestärkt werden. Die MLPD fördert zugleich all diese Bewegungen und Organisationsformen.