Rote Fahne 20/2019
Wunderschönes spannendes Georgien
Georgien ist so groß wie Bayern, hat aber alles: vom Fünftausender im großen Kaukasus über die Hochebene um Tiflis mit Schwefelbädern bis zur Schwarzmeerküste. Eindrücke von einer Reise
Bei der einst idyllischen Küstenstadt Batumi mit subtropischem Klima fallen die Ausläufer des kleinen Kaukasus im Norden und Süden direkt ins Schwarze Meer – besonders schön zu erleben im alten Botanischen Garten Batumis. Unsere Ferienwohnung dagegen lag in einem Stadtteil, der durch geschätzt 50 Touristen-Hochhäuser mit bis zu 50 Stockwerken völlig verbaut ist. Urlaub ist hier Spekulationsobjekt internationaler Bau- und Tourismuskonzerne.
Wir erlebten die Georgier als sehr freundlich und gut organisiert. Eine englisch radebrechende Frau führte für uns auf der Anfahrt das Telefonat mit der Ferienwohnungsverwaltung. In Batumi wird neben Georgisch hauptsächlich Russisch gesprochen; in Tiflis dagegen durchaus Englisch und manchmal Deutsch.
Fahrpreise – umgerechnet 17 bis 34 Euro-Cent im Stadtverkehr – waren die einzig günstigen Preise, denen wir begegneten. Lebensmittel und Kleider sind so teuer wie in Deutschland – oft Marken internationaler Monopole. Und das bei einem durchschnittlichen Monatseinkommen von 238 Dollar (= 214 Euro) monatlich!1 Die Manganbergarbeiter in Chiatura erkämpften im Mai 2019, unterstützt von breiter Solidarität, 25 Prozent Lohnerhöhung.2 Dort war vor der Oktoberrevolution eine Hochburg der Bolschewiken. Stalin, 1879 in Gori bei Tiflis geboren, hatte 1901 auch Streiks in Batumi organisiert.
Spuren der Oktoberrevolution
Georgien ist ein Beispiel der Errungenschaften durch die Oktoberrevolution 1917. Dies muss auch der antikommunistisch ausgerichtete Reiseführer würdigen: „Die Jahre der Sowjetmacht bedeuteten für Georgien den Anschluss an die industrielle Transformation des ehemalig russischen Imperiums. Ganze Industriezweige erwuchsen buchstäblich aus dem Boden. … Melioriationsarbeiten verwandelten die einstigen malariaverseuchten Sümpfe in blühende Gärten. Dort, wie auch anderswo, entstanden staatseigene oder genossenschaftliche Zitrus- und Teeplantagen, entwickelte sich der Weinbau zu einem der einträglichsten Wirtschaftszweige. Dank seines Klimas und der landschaftlichen Schönheit wurde Georgien zu einem der bedeutendsten touristischen Zentren der Sowjetunion.“3
Der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck besuchte 1948 ein idyllisches Ferienheim am Schwarzen Meer: „Es gehörte der Moskauer Sektion der Elektrikergewerkschaft, und die Menschen, die dort ihren Aufenthalt verbrachten, waren Elektriker. … Uns wurde gesagt, dass es in jeder Fabrik, in jedem Betrieb einen Betriebsrat gibt, … zu dem auch der Betriebsarzt gehört. … Der durchschnittliche Urlaub ist 28 Tage lang, aber in Krankheitsfällen konnte der Aufenthalt so lange verlängert werden, wie es der Betriebsrat für richtig hielt.“4
Heute dominiert die kapitalistische Tourismusindustrie die Wirtschaft. Die Landwirtschaft kann oft nur die eigene Familie über Wasser halten. Der industrielle Sektor ist nach weitgehender Demontage auf 20 Prozent der Wirtschaftsleistung gesunken, die Auslandsverschuldung hoch.5 Geschätzt 30 bis 50 Prozent der Bevölkerung sind arbeitslos!6
Sachliche Würdigung Stalins
Der Reiseführer berichtet über die Reaktion in Georgien auf dem XX. Parteitag der KPdSU, wo Chruschtschow Stalin in einer Geheimrede verleumdete, um seinen Verrat am Sozialismus zu rechtfertigen: „Spontan versammelten sich in Tbilisi im April 1956, einen Monat nach Bekanntwerden der Geheimrede Chruschtschows auf dem Parteitag, Zehntausende, vor allem junge Menschen, um gegen den ‚Verrat‘ der neuen Moskauer Parteiführung und die antigeorgischen Stimmungen im Lande zu demonstrieren. Am dritten Tag eskalierten die Proteste, und als die Demonstranten das Hauptpostamt auf dem Rustaveli-Prospekt stürmten, schoss die Miliz in die Menge.“7
Das 1957 errichtete Stalin-Museum in seiner Geburtsstadt Gori würdigt Stalin sachlich. Trotz mehrfacher Versuche gelang bisher keine antikommunistische Umdeutung. Stalin ist bei einem großen Teil der Bevölkerung hoch angesehen. Das Programm der MLPD zu diesem Thema: „Die MLPD erkennt die großen Leistungen des sozialistischen Aufbaus in der Sowjetunion und in der DDR an. Sie führt jedoch auch eine notwendige Kritik an Versäumnissen, Fehlern und Problemen bis hin zu Verbrechen, um daraus schöpferische Schlussfolgerungen zu ziehen.“8 Die Vernachlässigung des ideologischen Kampfs gegen die kleinbürgerliche Denkweise und der weitgehende Verzicht auf die Mobilisierung der Massen gegen die kleinbürgerlich entarteten Vertreter der Bürokratie werden hier als die beiden Hauptfehler Stalins gekennzeichnet.
Die Geschichte Georgiens ist spannend. Die Menschen sind stolz auf ihre historischen Stätten, auf den bis zu achtstimmigen Gesang, Tanz und Dichtung. Auch Bergwandern und Baden, heimische Küche und Wein sind ein Genuss!