Rote Fahne 18/2019

Rote Fahne 18/2019

Zalando – ein hoch organisiertes Ausbeutungssystem

„Schrei vor Glück, bring‘s zurück!“ So hieß vor Jahren das Werbemotto von Zalando mit seinem Online-Versandhandel im Güterverkehrszentrum in Erfurt

Von Stuttgart/Erfurt (Korrespondenz)
Zalando – ein hoch organisiertes Ausbeutungssystem
Schrei vor Glück? Wutschreie über die Arbeitsbedingungen sind realistischer! Foto: PIXINO / CC0

Vom Busbahnhof in Erfurt fahren um 5.03 Uhr drei Doppelbusse mit rund 300 Kolleginnen und Kollegen zur Haltestelle Zalando Süd oder. Zalando Nord. Sie kommen aus zahlreichen Ländern: Kroatien, Irak, Syrien, Eritrea, Somalia, Niger, Iran, Polen, Afghanistan, Pakistan… Frauen und Männer – eine olympiareife Mannschaft muss es schon sein, wenn sie bei Zalando arbeiten will.

 

Zalando liegt auf einem Hügel im Güterverkehrszentrum und beherrscht die Gegend wie eine Festung. Morgens ab 5.30 Uhr öffnen die Tore der Firma, Schichtbeginn ist 5.45. Dann geht‘s bis 8.30 Uhr, mit einer 30-minütigen Pause bis 12.00 Uhr zur 30-minütigen Mittagspause. Schichtende ist 14.45 Uhr. In drei oder vier Doppelbussen geht’s wieder zurück zum Busbahnhof, wo die Frühschicht ab 15.16 Uhr eintrifft. Rasch eilen die meisten in Richtung Bahnhof zu den Anschlusszügen nach Arnstadt, Sömerda, Kölleda, Eisenach …

 

Um 14.06 Uhr, 14.07 Uhr und 14.09 Uhr fährt die Spätschicht vom Busbahnhof ab. Aus allen Richtungen aus der Region fahren andere Busse aus Gera, Apolda, Sangershausen und so weiter direkt zum Werk. Vor der Abfahrt sprechen die wartenden Kolleginnen und Kollegen über ihre Erlebnisse auf der Flucht, über ihre Familie, über das „Glück“, bei Zalando – dem größten Betrieb in Erfurt mit circa 2800 Beschäftigten – arbeiten zu können. Über 7900 Mitarbeiter aus über 100 Nationen arbeiten an vier Zalando Logistikstandorten in ganz Deutschland.

 

Ein iranischer Kollege macht sich große Sorge um einen Angriffskrieg der USA gegen den Iran. Auch wenn er mit der reaktionären islamistisch-fundamentalistischen Regierung im Iran gar nicht einverstanden ist, kritisiert er die USA als Kriegstreiber. Interessiert nimmt er die Rote Fahne als Probeexemplar, ebenso ein junger kurdisch-syrischer Kollege. Ihn interessiert die perspektivische Flüchtlingspolitik der MLPD. Er will sich über das ICOR Gesundheitszentrum in Kobanê über YouTube informieren. Gerne und freundlich wird die Einladung zur Wählerinitiative der Internationalistischen Liste / MLPD angenommen. Es können an die 250 – 280 Einladungen verteilt werden. Ein kroatischer Kollege informiert über die katastrophale Situation im ehemaligen Jugoslawien und verurteilt die Spaltung in die einzelnen Staaten – seien sie doch alle Brüder und Schwester, Jugoslawen/Südslawen eben. Kollegen aus Eritrea werden mit „Harambe!“ (auf Deutsch „Freundschaft“) begrüßt. Ein irakischer Kollege tauscht seine E-Mail-Adresse aus. Vor allem aus Polen kommen zahlreiche Beschäftigte, was dazu führt, dass im Werk viele Anweisungen in polnischer Sprache formuliert sind.

 

Ein Kollege meint, „Zalando will nicht nur Schuhe und Kleidung als Online-Versandhändler vertreiben, sondern wie Amazon alle Waren. Zalando greift Amazon an, und das mit den raffiniertesten Tricks im kapitalistischen Konkurrenzkampf!“ So wird die zurückgelieferte Ware in der Retoure angeliefert und neu sortiert. Sie ist als eine Tochtergesellschaft ausgegliedert. Damit umgeht Zalando die Einstufung als Logistikonzern und muss nicht die Tarife aus der Logistiksparte zahlen. Gerade darum kämpft die Amazon-Belegschaft seit Jahren mit großer Entschlossenheit gemeinsam mit ver.di.

 

„Ich wurde zunächst von einer Leihfirma für 8,80 Euro ein Jahr lang zur Probe beschäftigt, dann noch einmal für ein Jahr befristet von Zalando, um nach nun zweijähriger (!) Probezeit unbefristet für 10,80 Euro eingestellt zu werden.“ Ein Picker, auf Deutsch ein „Greifer,“ rennt während einer Schicht bis zu 30 km im Werk hin und her, holt und ordnet die Ware an den gewünschten Versandplatz zu einem „Receiver“ (Empfänger). Exakt nach logistischem Plan wird in die verschiedenen wartenden Lkws von DHL, GLS, Hermes usw. europaweit an den Kunden ausgeliefert. Abends bestellt, kann die Ware am nächsten Tag beim Kunden sein – auf Kosten der Gesundheit der Kolleginnen und Kollegen. Ein hoch organisiertes System der Ausbeutung und Unterdrückung. „Alles ist klar geregelt, wenn du gegen irgendwelche Anordnungen verstößt, kassierst du die Abmahnung!“ Der „Judas-Lohn“ in Höhe von 500 Euro für eine Anzeige wegen Diebstahls beim Chef wurde aufgrund vielfältigem Protest offensichtlich wieder abgeschafft. Auch bei Zalando organisieren sich mehr und mehr Kolleginnen und Kollegen in ver.di.

 

Ohne die Flüchtlinge kann Zalando die Produktion und Dienstleistung nicht aufrechterhalten. Im Kampf gegen diese Ausbeutung ist es internationalistisches Gebot, dass alle Arbeiter zusammenstehen, egal woher sie kommen und welche Sprache sie sprechen. So verschmelzen bei Zalando zahlreiche Menschen unterschiedlicher Nationalität, lernen sich kennen, Freundschaften entstehen, Gegensätze werden überwunden, und der Kampf gegen die AfD und die ganze reaktionäre Flüchtlingspolitik entwickelt sich. Dabei wächst die Einsicht, den Imperialismus zu stürzen, und die Notwendigkeit wird erfahrbar, dafür eine überlegene Kraft zu schaffen.