Rote Fahne 15/2019
Propaganda und Wirklichkeit der „künstlichen Intelligenz“
Die sogenannte „künstliche Intelligenz“ (KI) wird seit einiger Zeit nahezu als Allheilmittel für viele Probleme der Produktion, des Internets und sogar in der Gesellschaft angepriesen. Was hat es damit auf sich?
Der Begriff „Intelligenz“ leitet sich von dem lateinischen „intellegere“ ab, was auf deutsch „erkennen“, „einsehen“, „verstehen“ bedeutet. Auf dem höchsten Niveau erfordert diese Fähigkeit des Menschen, seine materielle Umwelt zu erkennen, zu verstehen und in der Praxis umzugestalten, die bewusste Anwendung der dialektisch-materialistischen Methode. Der Anspruch der „künstlichen Intelligenz“ besteht darin, Computerprogramme immer umfassender in die Lage zu versetzen, selbst zu lernen und sich weiterzuentwickeln – ohne von menschlichen Programmierern vorgezeichnete Lösungswege.
Zum Charakter der „künstlichen Intelligenz schreibt Willi Dickhut in dem Buch „Die dialektische Einheit von Theorie und Praxis“: „Diese Maschinen sind Produkt und Anwendung des menschlichen Denkens. Sie können nur diejenigen Funktionen erfüllen, mit denen sie vorher programmiert wurden. Deshalb können sie wohl logische Funktionen und Berechnungen ausführen, erreichen aber niemals die Grenzen des menschlichen Gehirns, soweit es die Erschließung neuer Seiten und Zusammenhänge, das dialektische Denken betrifft. …
Eine ganze Reihe der heutigen Anwendungen geht in Umfang und Präzision über die Möglichkeiten eines einzelnen Menschen weit hinaus. ... Damit werden diese Maschinen zu einem wesentlichen Hilfsmittel, die Arbeit zu erleichtern und die Möglichkeiten und Bedingungen der schöpferischen Arbeit der Menschen … zu verbessern.“ (S. 12/13)
Die Idee für „künstliche Intelligenz“ entstammt der wissenschaftlich-philosophischen Epoche der Aufklärung. Der französische Arzt und materialistische Philosoph Julien Offray de La Mettrie vertrat schon 1748 in dem Buch „L’Homme machine“ (Der Mensch eine Maschine), dass menschliche Lebensprozesse und maschinelle Prozesse prinzipiell gleichwertig seien, dass der Mensch nur eine äußerst komplexe Maschine sei.
Konkret erbringen KI-Programme heute in speziellen Aufgaben zwar beeindruckende Leistungen, sind mit menschlicher Intelligenz aber dennoch nicht vergleichbar. Dazu werden als „neuronale Netze“ bezeichnete Strukturen programmiert, die dem menschlichen Gehirn auf der Ebene der Nervenzellen nachempfunden sind. Zwischen den „Nervenzellen“ im Programm werden Verbindungen entsprechend den Synapsen im Gehirn mit anfangs zufällig gewählter Stärke einprogrammiert. Zudem wird ein Verfahren programmiert, welches in einer Trainingsphase die Stärke der Verbindungen im ersten Programm versuchsweise verstärkt. Etwas vereinfacht dargestellt, werden bei einem Erfolg dieses Programms die veränderten Verbindungen weiter verstärkt und ansonsten abgeschwächt.
Die anhand von Partien menschlicher Schachgroßmeister trainierte Software Deep Blue von IBM konnte erstmals 1997 den damaligen Weltmeister Gary Kasparov besiegen. Die KI-Software AlphaGo der Google-Tocher DeepMind wurde trainiert, indem sie ohne menschliche Vorbilder gegen einen Klon ihrer selbst Go spielte. Sie schlug dann auch die besten menschlichen Go-Spieler, was bis vor kurzem noch als zu komplex für „künstliche Intelligenz“ galt.
KI-Software wird heute in der Steuerung von autonomen Fahrzeugen oder Industrierobotern eingesetzt. KI-Software erkennt unter anderem ihr zuvor in Fotos vorgestellte Gesichter in anderen Fotos wieder. Eine andere KI-Software klassifiziert mittlerweile mittels Fotografien von Malen auf der Haut zuverlässiger als die meisten Hautärzte, ob sie krebsartig sind oder harmlos.
Autorin Pina Merkert zeigt in einem Artikel1 in der Computerzeitschrift c’t viele konkrete Probleme der Struktur solcher neuronalen Netze und ihres Trainings auf, diskutiert Lösungsansätze und kommt zu dem Schluss: „Den Algorithmen fehlen noch mehrere ganz grundsätzliche Konzepte, ohne die sie keine Intelligenz simulieren können, die uns Menschen auch nur ähnlich ist.“
Was Pina Merkert nicht erkennt ist, dass selbst noch so hochentwickelte Maschinen die Fähigkeiten des menschlichen Gehirns zur systemisch-dialektischen Erkenntnis der objektiven Wirklichkeit und ihrer Umgestaltung nie vollständig erreichen oder gar übertreffen können. Vielmehr steht die gesamte Forschung zur „künstlichen Intelligenz“ unter dem Einfluss der bürgerlichen Ideologie des Positivismus. Karl R. Popper, der Hauptvertreter des Positivismus im 20. Jahrhundert, ließ in seinem Kampf gegen den dialektischen Materialismus nur die Methode von Versuch und Irrtum in der Wissenschaft gelten. Mit dieser Methode operieren auch die KI-Programme. Zwar können Computer dank ihrer Geschwindigkeit eine extrem große Zahl von Versuchen und Irrtümern durchprobieren. Darauf beruhen letztlich ihre Erfolge. Die Kehrseite ist jedoch, dass dafür auch ein riesiges Material an Datensätzen über die Wirklichkeit, die die KI-Software erkennen soll, zu ihrem Training notwendig ist.
Gerade hierin zeigt sich die Überlegenheit der menschlichen Intelligenz, die schon anhand weniger Beobachtungen neue Erscheinungen in der Wirklichkeit erkennen kann. Dies gelingt, weil sie eben nicht blind mit Versuch und Irrtum an die Wirklichkeit herangeht. Stattdessen leitet sie aus vorausgegangener Theorie und Praxis dialektische Ausgangssynthesen ab, mit denen sie die Untersuchung neuer Erscheinungen in der Wirklichkeit beginnt. Wo „künstliche Intelligenz“ heute überhaupt mit abstrakten Konzepten oder Begriffen arbeitet, müssen diese von Menschen vorgegeben werden.