Rote Fahne 13/2019
Ein Lehrstück des Imperialismus
Vor 100 Jahren, am 28. Juni 1919, unterzeichneten die damaligen Großmächte den Versailler Vertrag als Ergebnis des I. Weltkriegs
Der vom deutschen Kaiserreich 1914 verschuldete Krieg zwischen den damaligen imperialistischen Großmächten hatte die Weltherrschaft des deutschen Monopolkapitals zum Ziel. Er endete durch zwei Revolutionen: zuerst in Russland im Oktober 1917, danach in Deutschland im November 1918. Mit dem Waffenstillstandsabkommen von Compiègne wurden am 11. November die Kampfhandlungen eingestellt. Es folgten Geheimverhandlungen zwischen den USA, Frankreich, Großbritannien und Italien, deren Ergebnisse der deutschen Regierung im Mai 1919 zugingen.
Noch Anfang 1918 hatte Deutschland die militärische Stärke besessen, Sowjetrussland den Friedensvertrag von Brest-Litowsk zu diktieren: Um die Revolution zu retten, hatten Lenin und die Bolschewiki dem Verlust der Ukraine, der baltischen Länder und der Zahlung von Reparationen zustimmen müssen.
Der Friedensvertrag von Versailles
Nun aber traf es Deutschland selbst, und Lenin stellte fest: Der im Vergleich zu Brest-Litowsk „weitaus bestialischere und niederträchtigere Frieden von Versailles, von ,demokratischen‘ Republiken, Amerika und Frankreich, sowie vom ,freien‘ England diktiert, haben der Menschheit einen überaus nützlichen Dienst geleistet, indem sie sowohl die gedungenen Tintenkulis des Imperialismus entlarvten wie auch die reaktionären Spießer … die … zu beweisen suchten, daß unter dem Imperialismus Frieden und Reformen möglich seien.“1
Deutschland verlor durch den Vertrag 13 Prozent seines Gebiets (unter anderem Elsaß-Lothringen, Westpreußen, Oberschlesien) sowie seine überseeischen Kolonien. 90 Prozent der Handelsflotte und ein Viertel der Fischfangflotte mussten abgegeben werden, 15 Prozent des Ackerlandes, 75 Prozent der Eisenerzvorkommen, 68 Prozent der Zink- und 26 Prozent der Steinkohlenlager. Das Militär wurde auf 115.000 Mann begrenzt, der Besitz von Panzern, Flugzeugen sowie schweren Kriegsschiffen verboten. Eine Reparationssumme von 132 Milliarden Goldmark wurde festgesetzt. „Die Bedingungen des Versailler Friedensvertrags waren derartig, daß sie von vornherein unerfüllbar waren. Und sie sollten unerfüllbar bleiben, um den Zustand der Vergewaltigung zu verewigen“, schrieb Willi Dickhut 1942. „Die Unerfüllbarkeit des Vertrages sollte Frankreich als Mittel dienen, die Besatzungszeit zu verlängern … Der Vertrag drückte Deutschland in einen halbkolonialen Zustand herab, und damit wurden die Lebensinteressen der breiten Massen getroffen, die dem nationalen Widerstand eine breite Basis gaben und den Gegner zu Zugeständnissen
zwangen.“2
Wer profitierte vom Friedensdiktat?
Trug die herrschende Klasse Deutschlands, der deutsche Imperialismus, tatsächlich die Hauptschuld am I. Weltkrieg, sollte nun das deutsche Volk als Schuldiger bezeichnet und bestraft werden. Obwohl es alleine die herrschenden Klassen der imperialistischen Siegermächte waren, die von dem Friedensdiktat profitierten, wollten die Herrschenden überall die Völker ihrer Länder als Feinde gegeneinander hetzen. Dem stand die Politik der sozialistischen Sowjetunion entgegen.
Die Rolle der Siegermächte
1924, als Stalin nach Lenins Tod an die Spitze der Sowjetunion gerückt war, stellte er fest, dass die Siegermächte Deutschland in eine Kolonie verwandeln und es systematisch ausrauben wollten. Der doppelten Auspressung – dem „Druck der deutschen Bourgeoisie in bezug auf das Proletariat Deutschlands und dem Druck des ausländischen Kapitals in bezug auf das ganze deutsche Volk“ – müsse daher der Kampf angesagt werden. „Leider hat es die Kommunistische Partei Deutschlands damals nicht verstanden, aus diesen wertvollen Hinweisen die notwendigen taktischen Schlußfolgerungen zu ziehen“, schrieb der spätere KPD-Vorsitzende Wilhelm Pieck 1949. „Sie hat es verabsäumt, den Kampf um die Klasseninteressen des Proletariats mit dem Kampf um die nationalen Interessen des deutschen Volkes zu verbinden. Sie hat es verabsäumt, rechtzeitig ein Programm der sozialen und nationalen Befreiung zu formulieren.3 Damit hatte die KPD es den Faschisten erleichtert, ihre nationale und soziale Demagogie zu betreiben.“4 Tatsächlich gelang es Hitler, breite Massen über das Wesen der imperialistischen Politik zu täuschen, den internationalistischen Klassenkampf durch Chauvinismus und rassistischen Nationalismus zu verdrängen. So konnte das deutsche Monopolkapital 1939 auch den II. Weltkrieg anzetteln.
Imperialismus heute
Heute bringt der Imperialismus mit seiner wachsenden Tendenz der Kriegsvorbereitung die Menschheit erneut in Gefahr. In einer Zeit des Schönredens der imperialistischen EU als angeblicher Friedenskraft wird zum 100. Jahrestag des Versailler Vertrags allerdings von bürgerlicher Seite versucht, von seinen realen Ursachen und Folgen abzulenken. Stattdessen – so empfiehlt der Historiker Gerd Krumeich in einem Artikel des Leitmediums Frankfurter Allgemeine – solle man heute anerkennen, dass einerseits „die allermeisten Deutschen“ die Schuldzuweisung für den I. Weltkrieg nicht akzeptieren konnten und andrerseits in den Siegerländern die „Regierenden gar nicht anders konnten, als ein Maximum an Reparationen und Sanktionen zu fordern“.5
Solche Vernebelungs- und Beschwichtigungsversuche bürgerlicher Historiker können nur davon ablenken, die Lehren aus der Geschichte des Versailler Vetrags zu ziehen.