Rote Fahne 05/2019
Mit Pfeil und Bogen gegen die Umweltzerstörung
Bei einem Besuch der Communist Party of India (Marxist-Leninist), Red Star, konnten wir auch mit einem Aktivisten des „Komitees zur Verteidigung von Land, Lebensunterhalt, Ökologie und Umwelt“ aus Banghor (Indien) sprechen. Sankar Das war in den letzten zwei Jahren zweimal inhaftiert, weil er sich an dieser Bewegung beteiligt hat. Jetzt hat die Banghor-Bewegung einen bemerkenswerten Sieg errungen
„Hintergrund der Auseinandersetzung ist ein Public-Private-Partnership-Projekt in Banghor (Westbengalen), berichtet uns Sankar. Ohne Rücksicht auf das Leben in der ländlichen Waldregion plante die Energie-Gesellschaft PGCIL ein Umspannwerk mit 16 überirdischen 400 Kilowatt Starkstromleitungen.“ Neben Landnahme würden Gesundheit, Leben und Umwelt massiv beeinträchtigt. Im November 2016 beginnt die Gesellschaft, ohne mit den Menschen groß gesprochen zu haben, erste Strommasten zu errichten. Es kommt zu Massendemonstrationen. Die Bauarbeiter werden verjagt. Knapp 20 Dörfer verweigern der mächtigen Modi-Regierung und dem Energie-Monopol PCGIL den Gehorsam.
„In ganz Indien werden derzeit große Teile der Infrastruktur, wie Wasser oder Energie, privatisiert“, erzählt uns Sankar Das. „Der Widerstand war etwas Neues.
Das gab es in Westbengalen noch nie
Stolz berichtet Sankar von dem erkämpften Abkommen. Es wurde vor wenigen Wochen von der Regierung, dem Energieministerium, den Bezirksbehörden und der PCGIL einerseits und andererseits von 50 Aktivisten des Komitees unterzeichnet. Das Projekt wird drastisch reduziert: Statt der sechzehn 400-Kilowatt-Leitungen wird es nur zwei geben. Außerdem zwei mit nur 200 Kilowatt. Eine der vier wird unter die Erde verlegt. Der Plan eines großen Umspannwerks musste ganz aufgegeben werden.
„Aber noch bedeutender“, so Sankar, „sind die politischen Zugeständnisse. In dem Abkommen werden Entschädigungen für alle Betroffenen vereinbart: für Verletzte durch die Polizei, für alle, denen Land weggenommen wurde oder wird, für Menschen, deren Häuser im Laufe der Auseinandersetzungen abgebrannt sind, für die über 70 teilweise wochenlang inhaftierten Aktivisten und für die Familien der getöteten Aktivisten. Hinzu kommen Bildungsprogramme für Arbeitslose, Jugendliche und Frauen. Ein solches Entschädigungsprogramm gab es noch nie in Westbengalen, und auch im Rest von Indien ist mir ein solches nicht bekannt“, so Sankar.
Mit Steinschleudern gegen automatische Waffen
Erstaunt fragen wir nach den Toten. Sankar erzählt uns, dass dies kein leichter Kampf war: „Wir haben gemeinsam mit den Bewohnern der Dörfer das Gebiet über den kompletten Zeitraum blockiert. Über 22 Monate konnten die Polizei und das Militär die Blockaden nicht brechen, obwohl sie es mehrmals mit Gewehren und automatischen Waffen probiert haben.“ Und auf die Frage, ob sie auch Schusswaffen hatten, lächelt er: „Nein. Wir hatten Pfeil und Bogen, Steinschleudern und selbst gebastelte Sprengkörper.“ Alle Verhaftungen von insgesamt rund 70 Aktivisten fanden außerhalb der Dörfer und Blockaden statt, weil die Polizei nicht wagte, die Dörfer zu betreten. Drei Aktivisten wurden bei den Protesten erschossen. Bis heute ist unklar, ob von der Polizei oder von bewaffneten Schlägerbanden der westbengalischen Regierungspartei TMC.
Wir haben beim Besuch der CPI/ML Red Star viele Aktivisten dieser Bewegung kennengelernt. Den Präsidenten des Komitees, den über 70 Jahre alten Abdul Aziz Mallick oder Nilufa Bibi. Nilufa war unter den ersten sechs Verhafteten. Obwohl sie drei Töchter hat, wurde sie 18 Tage inhaftiert. Sankars erster Gefängnisaufenthalt dauerte viereinhalb Monate, der zweite zweieinhalb. Aber auch was er aus dem Gefängnis berichtet, ist bemerkenswert: „Die Gefängniswärter und die lokale Polizei standen auf unserer Seite. Im Gefängnis wurden wir von ihnen ‚wie Könige‘ behandelt. Wenn jemand etwas brauchte, zum Beispiel Medikamente, wurde es schnell besorgt.“ Ein für indische Gefängnisse nicht gerade bekanntes Verhältnis. Gleichzeitig machten die Verhaftungen diesen Umweltkampf landesweit bekannt und enorme Solidarität entstand. Bei den Kommunalwahlen gewann das Komitee trotz massiver Behinderungen sechs Sitze.
700 Menschen wollen Parteimitglied werden
„Zwischen Red Star und den Menschen ist ein inniges Verhältnis gewachsen“, so Sankar. „Eigentlich ist die Region stark moslemisch geprägt. Die aus der hindu-faschistischen Bewegung stammende Modi-Regierung lässt nichts unversucht, um Zwietracht zwischen Hindus und Moslems zu säen. Aber in unserer Bewegung setzte sich mehr und mehr der Standpunkt durch: ‚Hindu oder Moslem? Egal!‘ Höhepunkt war eine Demonstration, bei der einer unserer führenden Genossen, Alik Chakraborty, sprach. Die Polizei wollte ihn verhaften. Aber das misslang vollständig: Hunderte muslimische Frauen stellten sich schützend dazwischen. Obwohl er aus einer Hindu-Familie der höchsten Kaste stammt. Inzwischen haben über 700 Menschen für die Mitgliedschaft in unserer Partei gezeichnet. 120 sind schon Mitglied geworden.“ Insgesamt über 20.000 Menschen wurden in der Bewegung aktiv. In jedem Dorf bildeten sie ein Komitee, das im Gesamtkomitee vertreten ist. In einigen Dörfern schufen die Frauen eigene Komitees, um ihr Leben zu organisieren; zum Beispiel nächtliche Begleitung, um sicher nach Hause zu kommen. „Überhaupt spielten die Frauen eine wichtige Rolle. Bei manchen Demonstrationen waren mehr Frauen als Männer. Und auch bei den Barrikaden waren sie vorne dran.“ So beendet Sankar das Gespräch.