Rote Fahne 03/2019

Rote Fahne 03/2019

„‚Linker Antisemitismus‘ ist ein Widerspruch in sich“

Annette Groth, ehemalige menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, über ihre Erfahrungen mit einem inflationär gebrauchten „Antisemitismus“vorwurf

Von (es)
„‚Linker Antisemitismus‘ ist ein Widerspruch in sich“
Annette Groth ist Entwicklungssoziologin, 2009 bis 2017 Menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag, mit Schwerpunkt auf Nahost und Migrationspolitik

Rote Fahne: Du wirst in der Broschüre der MLPD zu den „Antideutschen“ damit zitiert, dass „fast jede kritische Äußerung“ zur israe­lischen Politik „massiv gestört, und durch unterschiedliche Vorwürfe, insbesondere des Vorwurfs des Antisemitismus, blockiert“ wird. Welche Erfahrungen hast du  damit gemacht?

 

Annette Groth: Eigentlich werde ich überall, wo ich öffentlich auftrete und eine Veranstaltung durchführen möchte, von den sogenannten „Antideutschen“ und/oder von der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DIG) angegriffen und des „Antisemitismus“ bezichtigt. Eine völlig irrige Behauptung.

 

Auf die Veranstalter wird Druck ausgeübt, die Veranstaltung mit einer „Antisemitin“ zu kündigen. Das ist in Stuttgart, Magdeburg und in Bonn passiert. Zwar richten sich die Angriffe und Verleumdungen konkret gegen meine Person, gemeint sind aber alle Menschen, die die israelische Besatzungspolitik kritisieren.

 

Erst jüngst hat die 94-jährige Auschwitz-Überlebende Esther Bejarano in einem Interview mit www.electronic.intifada die israelische Regierung als „faschistisch“ bezeichnet und sich für die BDS-Kampagne1 ausgesprochen.

 

Von wem kommt die Kritik? Sind darunter auch viele Linke?

 

Heute gibt es in der Tat eine Verwirrung darüber, was links und was rechts ist. In Mannheim hat ein Stadtrat der Linken die BDS-Kampagne als antisemitisch und rassistisch bezeichnet, das ist unglaublich.

 

Am 4. Dezember 2018 hatte die GUE/NGL – ein Zusammenschluss einiger linker Parteien im Europaparlament – eine Anhörung zur BDS-Kampagne mit Omar Barghouti. Die sieben Abgeordneten der Linken distanzierten sich öffentlich von dieser Anhörung, einige Linke haben dagegen einen Offenen Brief initiiert. Kürzlich gab es in Hamburg eine Demo, organisiert unter anderem vom „Bündnis gegen Rechts“. Ein Demonstrant trug das Plakat mit der Aufschrift „Israel = Apartheid-Staat!“ Da sind einige Antideutsche aus der Demo heraus gegen den Träger des Schildes losgegangen.

 

Man muss gut differenzieren, „Antideutsche“ sind nicht links, Bündnisse kann man mit denen nicht mehr eingehen.

 

Wie sich das „Links-Sein“ verschiebt oder aufweicht, kann man insbesondere in den Bundesländern sehen, wo Die Linke in Koalitionsregierungen eingebunden ist. Die Linke ist insbesondere in den neuen Bundesländern zu einer staatstragenden Partei geworden, die zum Beispiel dem Braunkohleabbau in der Lausitz zustimmt und mitverantwortlich ist für eine rigide Abschiebungs- und Flüchtlingspolitik.

 

Wenn „links“ gleichbedeutend ist mit antifaschistisch, antirassistisch und internationalistisch – wie kann es dann einen „linken Antisemitismus“ geben?

 

„Linker Antisemitismus“ ist ein Widerspruch in sich. Wenn jemand antisemitisch ist, kann er oder sie nicht links sein. Bei uns wird leider oft kein Unterschied zwischen dem Staat Israel und dem Judentum gemacht. Das heißt, ich kritisiere die israelische Besatzungspolitik, aber das hat mit dem Judentum gar nichts zu tun.

 

Ist diese Wortschöpfung „linker Antisemi­tismus“ nicht der Versuch, linke Kräfte mit Rassisten und Faschisten in einen Topf zu werfen und damit jede fortschrittliche Kritik an der israelischen Unterdrückungs­politik gegen die Palästinenser zu diffamieren?

 

Genau. Das sage ich schon lange, es geht bei dem inzwischen inflationär gebrauchten Antisemitismusvorwurf um einen Kampf gegen linke Diskurse. Interessant wird es vor allem dann, wenn man den internationalen Finanzkapitalismus kritisiert. Dann wird vorgeworfen, die Kritik sei antisemitisch, weil sofort die Verbindung zu Rothschild und anderen jüdischen Reichen gezogen wird. Das ist natürlich absolut blödsinnig.

 

Wie beurteilst du die MLPD-Broschüre zu den „Antideutschen“?

 

Die Broschüre ist gelungen und eine Hilfe in der Auseinandersetzung. Man könnte sie allerdings noch etwas konkretisieren, zum Beispiel über die Diskussion in den Gewerkschaften.

 

Wie könnte man die Zusammenarbeit unter den „Linken“ und fortschrittlichen Menschen verbessern?

 

Das ist eine 1000-Dollar-Frage. Wir müssten uns auf bestimmte Grundsätze und Prinzipien – wie Menschenrechte, Demo­kratie und antikapitalistische, internationalistische Politik gegen die EU des Kapitals und der Militärs – einigen und Trennendes beiseitelassen.

 

Das ist eine Lehre aus der Geschichte. Eine Ausgrenzung von Organisationen wie durch die Verantwortlichen der Berliner Demo #unteilbar geht gar nicht. Vor allem dann nicht, wenn der Kampf gegen die Rechtsentwicklung der gesamten Politik dabei aufgegeben wurde. Klar ist, dass wir eine antikapitalistische, selbständige Politik im Interesse der Menschen und der Natur machen müssen.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch.

 

 

1  Boycott, Divestment and Sanctions – (Boykott, Desinvestition und Sanktionen) eine internationale Bewegung gegen die israelische Besetzung Palästinas