Rote Fahne 02/2019

Rote Fahne 02/2019

Proletarische Geschichtsstunde der besonderen Art

Einige Arbeiter der Siemens-Turbinenfabrik in Berlin-Moabit ergriffen die Initiative für eine Kundgebung am 9. November – zum 100. Jahrestag der Novemberrevolution. Einer der Kollegen berichtet, wie es dazu kam

Proletarische Geschichtsstunde der besonderen Art
Das geschichtliche Erbe der Novemberrevolution selbstbewusst aufgegriffen – die Kundgebung am 9. November

Rote Fahne: Wie ist die Idee zu der Kundgebung entstanden?

 

Siemens-Arbeiter: Einige Kollegen der Turbinenfabrik stellten fest, dass die Novemberrevolution viel zu wenig bekannt ist, selbst bei sonst politisch interessierten Kollegen. Das wollten sie ändern. In der Diskussion mit ihren Kolleginnen und Kollegen zeigten sich gerade junge Arbeiter beeindruckt. Sie äußerten vielfach offen Hochachtung, nachdem sie Details über Ergebnisse und Verlauf der Novemberrevolution und die Rolle der Belegschaften in den Großbetrieben gehört hatten.

 

Es waren nämlich die Belegschaften der Turbinenfabrik und der angrenzenden Ludwig-Loewe- und DWM-Rüstungsfabriken, die am 9. November 1918 vormittags den Generalstreik auslösten und die Soldaten in den umliegenden Kasernen für den bewaffneten Aufstand gegen Militärdiktatur, Weltkrieg und Kaiserreich gewannen.

 

Mit einzelnen Arbeitern entwickelten sich ernsthafte Gespräche über den Verlauf der Revolution und ihre Lehren, insbesondere das verhängnisvolle Fehlen einer verankerten revolutionären Partei. Wir dürfen die Geschichtsschreibung nicht den bürgerlichen Medien überlassen. Deshalb planten die Kollegen eine Kundgebung in Moabit. Dazu wollten sie ein Transparent erstellen. Das haben über 40 Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Spende vollständig finanziert.

 

Wie wurde dieser Plan einer Kundgebung verwirklicht?

 

Mit der Kundgebung am 9. November im Stadtteil wollten die Initiatoren möglichst viele Menschen erreichen. Dazu gründeten sie ein lokales überpartei­liches Bündnis, an dem neben Kollegen der Turbinenfabrik der Kreisverband der MLPD, die Umweltgewerkschaft Berlin, eine Gruppe des Frauenverbands Courage, der anarchistisch- kommunalistische Zirkel „Berliner Commune“, Aktivisten der Geschichtswerkstatt und weitere Einzelpersonen teilnahmen.

Auch zwei Cafés und Leute im Stadtteil unterstützten das Projekt. Bei der Gestaltung des Transparents hat ein Moabiter Künstler geholfen. Es war ein richtiger Anziehungspunkt. An der Kundgebung selber nahmen dauerhaft 60 bis 70 Leute teil. Mit dem Transparent, einem Flugblatt des Bündnisses und der Kundgebung wurden viele Hundert Menschen erreicht. Die Kund­gebung selbst war von einer Vielfalt verschiedenartiger Beiträge geprägt. Es gelang, Geschichte und Lehren der Novemberrevolution mit aktuellen betrieblichen Fragen, Fragen der Umweltbewegung und der Frauenbewegung zu verbinden. Das schärfte den Blick für die Allseitigkeit des Klassenkampfs und schuf ein positives Verhältnis zur Novemberrevolution.

 

Wie geht es weiter?

 

In ganz Berlin gibt es nur ein einziges Denkmal, das unmittelbar an die Novemberrevolution erinnert: ein Matrose mit Gewehr auf dem Friedhof der „März-Gefallenen“ – ziemlich versteckt. Beim Auswertungstreffen schlug ein Kollege vor, ein Denkmal für die Arbeiterinnen und Arbeiter der Novemberrevolution in Moabit zu erkämpfen. Dieser Gedanke wurde positiv aufgegriffen. Jetzt muss er umgesetzt werden.

 

Vielen Dank für das Gespräch!