Rote Fahne 23/18
„Entweder der Kapitalismus stirbt oder die Mutter Erde“
Klare Perspektiven für das auf breiter Front erwachende Klassenbewusstsein Herbst 2018: Zehntausende demonstrieren gegen die Rodung des Hambacher Waldes und gegen die verheerende Umweltpolitik von Regierung und Konzernen. In einer Emnid-Umfrage sprechen sich 75 Prozent der Befragten gegen die Zerstörung des Hambacher Waldes aus, 73 Prozent für einen beschleunigten Ausstieg aus der Kohleverbrennung 2030 oder früher.2
In der Automobilindustrie, der Stahlindustrie, im Bergbau, bei Siemens oder im Gesundheitswesen entwickelt sich eine kämpferische Richtung: gegen die Arbeitsplatzvernichtung, gegen die Betrügereien der Autobosse oder den von der RAG in den Zechen deponierten Giftmüll. Die Grünen erleben eine Rekordzustimmung bei Wahlen – weil viele Menschen der Meinung sind, bei Wahlen damit den Protest gegen die Rechtsentwicklung und die Umweltpolitik der Regierung am besten zum Ausdruck bringen zu können. Die Umweltfrage steht im Zentrum vieler Diskussionen. Aber was ist die Antwort?
Von Januar bis Mitte Oktober 2018 beteiligten sich in Deutschland über eine Viertelmillion Menschen, vor allem Jugendliche, an Demonstrationen mit unmittelbarem Umweltbezug. Höhepunkt waren die Proteste zum Erhalt des 12.000 Jahre alten Hambacher Waldes. Ihn will der RWE-Konzern vollends zerstören, um den Braunkohletagebau auszuweiten. Zehntausende protestieren damit auch gegen die Schützenhilfe der NRW-Landesregierung, die dafür den größten Polizeieinsatz in der Geschichte Nordrhein-Westfalens durchführte.
Unter den Industriebelegschaften spielt die Umweltfrage eine zunehmende Rolle: Wird der Kampf um Arbeitsplätze und Umweltschutz als Einheit gegen Monopole und Regierung geführt – oder wird dieser Kampf gespalten und dadurch zersetzt?
Viele Klein- und Mittelbauern erleiden durch den Hitze- und Dürresommer massive Schäden. Ihr Kampf um Entschädigungen und Hilfen muss als Teil der Umweltkämpfe verstanden werden.
„Schnelle, weitreichende Veränderungen“
Hitzerekorde haben sich weltweit verfünffacht und könnten sich bis 2030 verzehnfachen. Gleichzeitig weisen verheerende Stürme und Überflutungen in weiten Teilen der Welt erneut auf den Ernst der Lage hin. Die sogenannte „Heißzeit“-Studie internationaler Wissenschaftler warnte im August, dass „der Übergang zu einer emissionsfreien Weltwirtschaft … deutlich beschleunigt werden (muss).“3 Auch der Weltklimarat der UNO, IPCC, schlägt in einem Sonderbericht vom Oktober Alarm und fordert „schnelle und weitreichende Veränderungen in allen wichtigen Sektoren der Weltwirtschaft … von beispiellosem Ausmaß“. Wissenschaftlich-technisch sei eine drastische Reduzierung der Treibhausgas-Emissionen noch möglich. Alles andere bedeute unwägbare Risiken einer katastrophalen Entwicklung.4 Für immer mehr Menschen stellt sich die drängende Frage, warum trotz der 23 Weltklimakonferenzen keine konsequenten Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz ergriffen sind.5
Notwendige Strategiediskussion
In vollem Umfang bestätigen sich die Analysen und Prognosen, die die MLPD in ihrem Buch „Katastrophenalarm! Was tun gegen die mutwillige Zerstörung der Einheit von Mensch und Natur?“, von Stefan Engel, bereits 2014 entwickelt hat. Dieses Buch weist den Weg, wie die nötigen gesellschaftlichen Konsequenzen erkämpft werden können und müssen. Das Buch ist unverzichtbare Streitschrift und zugleich Handbuch im auf breiter Front erwachenden Umweltbewusstsein. Es „lässt keinen Zweifel daran, dass die Menschheit die Umweltfrage nicht dem herrschenden Gesellschaftssystem überlassen darf. Sie wird sonst untergehen in der kapitalistischen Barbarei! … Die Lösung der Umweltfrage erfordert heute einen gesellschaftsverändernden Kampf. Nur eine internationale sozialistische Revolution kann die soziale und die ökologische Frage lösen. Erst in einer sozialistischen Gesellschaft ohne Ausbeutung des Menschen durch den Menschen bilden Mensch und Natur eine fruchtbringende Einheit.“6
In der internationalen Umweltbewegung hat sich die Losung „System change – not climate change“7 zunehmend verbreitet und verankert. Es können und müssen einschneidende Sofortmaßnahmen erkämpft und durchgesetzt werden, wie die drastische Reduzierung der Treibhausgasemissionen durch Einsatz erneuerbarer Energien oder die Vermeidung von Plastikmüll durch alternative Verpackungen und Stoffe.
Aber ein Systemwechsel nur auf die Ökologiepolitik bezogen, ohne Lösung der sozialen Fragen und ohne revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, lässt die Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus unangetastet. Das allein herrschende internationale Finanzkapital betreibt eine rücksichtslose Überausbeutung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, um weiter Maximalprofit erzielen zu können. Und das geradezu zwanghaft und bei Strafe seines Untergangs.
Die Braunkohle-Verfeuerung ist mit dem höchsten Kohlendioxid-Ausstoß die „dreckigste“ fossile Energieerzeugung. Aber derzeit auch die profitabelste. Für ihre Aufrechterhaltung werden kohlendioxid-bindende Wälder gerodet, die dem wachsenden Treibhausgas-Anteil in der Atmosphäre entgegenwirken könnten. Unter dem Stichwort „Brückentechnologie“ will RWE und Co. sie noch Jahrzehnte weiter verbrennen. Der Begriff „Brücke“ ist bewusst irreführend. Das rettende Ufer erneuerbarer Energien – um im Bild zu bleiben – wird von Regierung und Monopolen in immer weitere Ferne verschoben.
Neun Millionen Menschen starben 2015 weltweit durch Schadstoffe in Luft, Wasser und Boden.8 400.000 vorzeitige Todesfälle gibt es jährlich in der EU durch Feinstaubbelastung, 66.000 in Deutschland.9 Das alles wissen die Verantwortlichen in den Chefetagen und in den Ministerien. Als Beschönigung ihrer Politik verbreiten sie das Mantra „Anpassung an den Klimawandel“. Klar müssen Deiche erhöht, Überflutungsflächen geschaffen werden. Aber: Wie soll sich die Menschheit an einen drohenden globalen Meeresspiegel-Anstieg von 10 bis zu 60 Metern „anpassen“? Mit ihm versinken mindestens 22 der 50 größten Küstenstädte wie Hamburg, Rotterdam, London, New York, Tokyo, Shanghai, usw. In den verblieben Regionen werden alle Grundlagen der Nahrungsmittelproduktion zerstört.
Die Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft braucht eine weltweite Massenbewegung des aktiven Widerstands, mit gesellschaftsverändernden Perspektiven und der gleichberechtigten Zusammenarbeit mit revolutionären Kräften. Daran arbeitet die MLPD – nicht nur mit ihren Umweltgruppen. Die Umweltgruppen wiederum legen vor Ort einen besonderen Schwerpunkt auf die Entwicklung des aktiven Widerstands.
Imperialismus – tödlich für die Umwelt
Nicht nur der US-Präsident Donald Trump hat unter der Losung „America first“ Verträge und Gesetze für Umweltschutz aufgehoben und Öl- und Gasförderung mit destruktiven Methoden vorangetrieben. Das Rollback im Umweltschutz ist ein Kernelement der Rechtsentwicklung in allen imperialistischen Ländern. Mit der Herausbildung von 14 neuimperialistischen Ländern verschärfte sich der Kampf um den Weltmarkt, entbrannten verheerende Kriege. Selbst da, wo es vordergründig um „Umweltschutz“ geht, wie beim Umstieg auf das E-Auto, wird eine Vernichtungsschlacht unter den internationalen Monopolen geführt: In den kriegerischen Wirren um Afghanistan geht es auch um das (neben Bolivien) größte Lithiumvorkommen der Welt. Es wird für die Batterien der Elektroautos gebraucht. Der Kampf um Energieträger und Rohstoffe ist ein Brennpunkt der zwischenimperialistischen Konkurrenz.
Gemeinsam mit Ausbeutern und Umweltverbrechern?
Für Evonik-Chef Christian Kullmann ist das Engagement Zehntausender Menschen für dringende Umweltschutzmaßnahmen eine „Wiederkehr der deutschen Romantik“ und eine „Gesinnungsdemokratie“ die „in eine Diktatur“ führt. Die Evonik ist als „weiße RAG“ genau aus dem Konzern hervorgegangen, der 1,6 Millionen Tonnen Giftmüll unter Tage fluten will, eine Vergiftung des Trinkwassers in NRW damit bewusst in Kauf nimmt. Lange Zeit wurde er von RWE als einem Hauptaktionär geführt.
Bis zu 30.000 Arbeiter und Angestellte aus der Energiewirtschaft und den Tagebauen demonstrierten am 23. Oktober anlässlich der Tagung der „Kohlekommission“ im rheinischen Braunkohlerevier. Mit Protesten und Kraftwerksbesetzungen richtete sich einige Tage zuvor ihr Zorn gegen die provokative und verlogene Ankündigung von RWE, dass „wegen des Rodung-Stopps“ tausende von Arbeitsplätzen vernichtet werden sollen. „Ohne gute Arbeit kein gutes Klima!“ überschrieb die IGBCE-Führung den Demonstrationsaufruf. Welch absurde Logik: Weil Jobs (die der Ausbeutung der Arbeitskraft dienen) an sich „gut“ sind, schafft die Verbrennung fossiler Energieträger mit ihrem Ausstoß von Treibhausgasen, Schwermetallen und radioaktiven Stoffen „gutes Klima“. Wäre es nicht dringend notwendig, umgehend Hunderttausende neue Arbeitsplätze im Umwelt- und Klimaschutz, der Renaturierung zerstörter Landschaften und für umweltfreundliche öffentliche Verkehrssysteme zu schaffen – auf Kosten der verantwortlichen Umweltzerstörer? Dafür werden die Kollegen von RWE mit ihren Fachkenntnissen gebraucht.
Der RWE-Vorstand und die mit den Monopolen verschmolzene Gewerkschaftsführung versuchen, die Sorge und den Kampf um Arbeitsplätze zu missbrauchen. So konnte der RWE-Vorstandsvorsitzende Rolf Schmitz mit IGBCE-Mütze mitdemonstrieren. NRW-Ministerpräsident Armin Laschet stimmte als Redner in den Chor der Hetzer gegen „Ökoterroristen“, „Gefährder der Demokratie“ usw. ein. Sollen jetzt Gewerkschaftsutensilien zum Greenwashing legitimieren? Soll zugelassen werden, dass die Gewerkschaften zum Spielball der Konzernführer und bürgerlichen Politiker verkommen – oder brauchen wir sie als Kampforganisationen für die Arbeiterklasse und eine intakte Umwelt? Überwiegend stimmen die Kolleginnen und Kollegen zu, dass Arbeitsplätze und Umweltschutz nötig sind. Aber die Dramatik der Umweltfrage wird noch massiv unterschätzt, wenn die Braunkohle-Verfeuerung als gleichwertiger Partner der erneuerbaren Energien gefordert wird. Oder Plakate einer kleinen aufgehetzten Gruppe „Hambi muss weg“ geduldet werden. Die wirklichen „Gefährder“ der Menschheit sind die Spitzen der Monopolbourgeoisie. Gemeinsam mit diesen Feinden der Arbeiter- und Umweltbewegung lässt sich nur der eigene Untergang besiegeln. Wenn es der IGBCE-Führung wirklich ernst wäre mit dem Kampf um „gute Arbeit“, warum hat sie die Stilllegung der Steinkohlezechen mitgetragen und bei über 50.000 vernichteten Arbeitsplätzen in der Deutschen Solarindustrie keinen Finger krumm gemacht?
Umweltschutz: weder mit Groko noch mit den Grünen
Um Fahrverbote für Diesel-Fahrzeuge zu vermeiden, will die Regierung einfach die Grenzwerte im Bundes-Immissionsschutz-Gesetz heraufsetzen lassen. Und statt Bestrafung der Abgasbetrüger in den Chefetagen und Zwang zur Hardware-Nachrüstung gibt es mit der Umtauschprämie für ältere Diesel ein Konjunkturprogramm für die Autobosse! Genau diese „Umweltpolitik“ und diese Liebedienerei gegenüber den Konzernbossen sind ein Grund für den rapiden Vertrauensverlust in die Bundesregierung; einer der Gründe, warum Angela Merkel als CDU-Chefin am Ende ist.
Derzeit können die Grünen einen Teil der Wut auf die GroKo auf ihre parlamentarischen Mühlen lenken. Doch auch die Grünen sind eine Monopolpartei: Ihr Urvater und früherer Vizekanzler Joschka Fischer verdient heute Millionen als Unternehmensberater von Siemens, BMW, Rewe und RWE!10 Der grüne Ministerpräsident Wilfried Kretschmann in Baden-Württemberg wurde als „seriöser und ökologischer Landesvater“ zum Inbegriff der „Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie“ im Kapitalismus aufgebaut. Aber inzwischen wächst die Erkenntnis, dass er nur eine grüne Variante staatlicher Lobbyisten für Daimler darstellt. Und sein Landespolizeigesetz ist mit der Aufrüstung der Polizei zur Bürgerkriegsarmee, mit Strafen ohne Gerichtsurteil, Ermittlungen ohne Verdacht und konkrete Straftat genauso reaktionär wie in anderen Bundesländern.
In Regierungs“verantwortung“ stimmen Grüne Müllverbrennung, Atom-Deal, Rodung des Hambacher Waldes oder Giftmüll unter Tage zu und betreiben dies mit. In der „Opposition“ wollen sie dann nichts mehr davon wissen. Es sind zum Teil Funktionäre ihrer Partei, die versuchen, aggressiv gegen eine überparteiliche Umweltbewegung vorzugehen, die MLPD-Fahnen verbieten und Bündnisse spalten wollen. Aber eine Umweltbewegung als Wahlhilfeverein der Grünen fuhr bereits Ende der 1990er-Jahre an die Wand.
Die Forderung nach Neuwahlen findet wachsende Zustimmung. Konsequent und nachhaltig ist der Weg zum Aufbau der fortschrittlichen Massenbewegung des Internationalistischen Bündnisses gegen die Rechtsentwicklung der Regierung und der bürgerlichen Parteien – zur Stärkung einer radikal linken, konsequenten Alternative, auch im Umweltschutz! Eine gleichberechtigte überparteiliche Zusammenarbeit dafür wird unter anderem in der Umweltplattform und Agrarplattform organisiert.
ICOR-Umweltkampftag 2018
Die Verantwortung für den Aufbau einer internationalen Kampffront zur Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft hat die revolutionäre Weltorganisation ICOR übernommen.11 Mit einem jährlichen Umweltkampftag am mittleren Samstag der Weltklimakonferenzen setzt sie eine Tradition der kämpferischen Umweltbewegung fort, von der sich bürgerliche Umweltorganisationen schnell wieder verdrückt haben. Die 24. UN-Klimakonferenz findet vom 3. bis 14. Dezember im polnischen Katowice statt. Zum Kampftag am 8. Dezember wird für die breite überparteiliche Vorbereitung und Durchführung örtlicher und regionaler Aktivitäten geworben. Die deutsche ICOR-Partei MLPD und ihr Jugendverband REBELL beteiligen sich vorwärtstreibend und fördern die Einheit von Arbeiter- und Umweltbewegung. Ohne die revolutionären Kräfte als Rückgrat und Vertreter des konsequentesten Umweltschutzes mit einer sozialistischen Perspektive landet die Umweltbewegung zwangsläufig unter den Fittichen des Kapitalismus und scheitert.
- Evo Morales, Präsident von Bolivien, April 2010 auf der Weltkonferenz der Völker in Cochabamba
- https://www.zeit.de/gesellschaft/2018-09/zivilgesellschaft-rodung-hambacher-forst-stopp-umfrage
- https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/auf-dem-weg-in-die-heisszeit-planet-koennte-kritische-schwelle-überschreiten
- https://www.klimareporter.de/gesellschaft/weltklimarat-emissionen-muessen-schnell-und-rapide-sinken
- Mehr über neue Erscheinungen im Umschlag in die globale Umweltkatastrophe findet sich auf S. 18/19
- „Katastrophen-alarm!“, Stefan Engel, S.9
- „Das System verändern, nicht das Klima“
- „The Lancet“ 19.10.2017, renommiertes Medizinfachblatt
- Nach Angaben der Europäischen Umweltagentur EFA, Spiegel Online, 11.10.17
- Wirtschaftswoche, 27.02.2011
- Die Internationale Koordinierung revolutionärer Parteien und Organisationen hat heute 51 Mitgliedsorganisationen auf vier Kontinenten