Rote Fahne 23/18

Rote Fahne 23/18

Alte Bücher zum Thema Antifaschismus – neu gelesen

Weil „Transit“, der Roman von Anna Seghers über Menschen auf der Flucht, neuerdings verfilmt wurde, habe ich ihn nach 40 Jahren wieder gelesen – und bin neu beeindruckt und begeistert

Von Anna Bartholomé
Alte Bücher zum Thema Antifaschismus – neu gelesen

Marseille im Sommer 1940: Die Besatzung Frankreichs durch die Hitler-Armee drängt immer mehr Menschen in die noch freie südfranzösische Hafenstadt. Es sammeln sich vom Nazi-Regime Verfolgte und Bedrohte unterschiedlichster Herkunft und Denkweise. Jüdinnen und Juden, Antifaschistinnen und Antifaschisten, Kommunistinnen und Kommunisten. Einige von ihnen hatten schon im spanischen Bürgerkrieg mitgekämpft und waren von den französischen Helfershelfern der Hitler-Faschisten erneut inhaftiert worden. Nun hetzen sie sich ab nach Visa, Bescheinigungen und Stempeln, um einen Weg ins rettende Exil zu finden. Im Chaos der Stadt, in den Cafés, auf den Gängen von Botschaften und Behörden prallen sie an willkürlicher Bürokratie ab – finden  aber auch immer wieder Unterstützung und Solidarität. Auf der Suche nach einem Ausweg – einem Transit nach Mexiko, Kuba oder in die USA – kreuzen sich ihre Wege. Für kurze Zeit sind fremde Leben durch Hoffnungen, Träume und Leidenschaften miteinander verbunden.

 

Von ihrem eigenen Erleben auf der Flucht beeindruckt, schrieb Anna Seghers den Roman 1941 und 1942 im mexikanischen Exil. In einer wunderbar klaren Sprache gelingt es ihr, diese miteinander verquickten, so unterschiedlichen Menschen darzustellen. Vieles erinnert an die Schicksale heutiger Geflüchteter.

 

Der Film verlagert das Romangeschehen ins heutige Marseille und ist – trotz guter Darsteller – vor allem in seinem politischen Kern so verkürzt, dass er nicht überzeugen kann. Das Buch dagegen lohnt sich – sehr (erhältlich im Aufbau-Verlag für 12 Euro – am besten über www.people-to-people.de bestellen).

 

Lion Feuchtwanger: „Die Geschwister Oppermann“

 

Der Roman erzählt die Geschichte einer wohlhabenden jüdischen Berliner Kaufmanns- und Bildungsbürgerfamilie. Er spielt in den Jahren 1932 und 1933 vor dem Hintergrund der bevorstehenden und schließlich verwirklichten Übergabe der Regierungsgewalt an die Hitler-Faschisten.

 

Ungläubig und naiv verfolgen die Geschwister – Gustav, Martin, Edgar und Klara und ihre Familien das Geschehen, den immer offener aufretenden Antisemitismus und die Verfolgung proletarischer Antifaschisten. In ihren individuellen Besonderheiten und ihrem allmählichen politischen Erwachen werden sie differenziert und kritisch begleitet.

 

Lion Feuchtwanger, der zu diesem Zeitpunkt eher zufällig in den USA auf Lesereise war,  hat das Buch in wenigen Monaten verfasst. Bereits 1933 wurde es in Amsterdam und London veröffentlicht. Sorgfältig werden alle damals verfügbaren Informationen über die Verbrechen der Faschisten, die Folter in den Gefängnissen, die Konzentrationslager – aber auch die über den sich formierenden Widerstand verarbeitet. In gewisser Weise ist das Buch auch eine selbstkritische Aufarbeitung der eigenen Täuschung Feuchtwangers, der noch im Dezember 1932 geglaubt hatte, die faschistische Bewegung sei bereits in ihrem Niedergang.

 

Ein leidenschaftliches und fesselnd geschriebenes Buch. Es kann auch angesichts der heutigen Entwicklung faschistischer Auffassungen und Organisationen aufrütteln, den Anfängen zu wehren (Aufbau-Verlag, 12,99 Euro).