Rote Fahne 22/2018
100 Jahre Stinnes-Legien-Abkommen
Am 15. November 1918 schlossen 21 Unternehmerverbände und sieben Gewerkschaften das sogenannte Stinnes-Legien-Abkommen – benannt nach seinen beiden Verhandlungsführern, dem Ruhrindustriellen Hugo Stinnes und dem Vorsitzenden der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands, Carl Legien
Mit dem Stinnes-Legien-Abkommen machten die Unternehmerverbände sehr weitgehende Zugeständnisse an die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung. Sie erkannten die Gewerkschaften, genauso wie einheitliche Tarifverträge, erstmals offiziell an, stimmten der Einführung des Acht-Stunden-Tages bei vollem Lohnausgleich zu, der Einrichtung von Arbeiterausschüssen (der späteren Betriebsräte) in allen Unternehmen ab 50 Beschäftigten und der Bildung eines Zentralausschusses für die Durchführung der Vereinbarung. Diese weitgehenden Zugeständnisse waren das Ergebnis der Novemberrevolution. Die letzten Verhandlungen in Berlin fanden sozusagen in Hörweite der Maschinengewehre der revolutionären Arbeiter- und Soldatenräte statt.
Die Monopolvertreter wollten damit aber auch – gemeinsam mit den rechten Gewerkschaftsführern – das kapitalistische System vor dem Ansturm der Revolution retten. Deren blutige Unterdrückung und der Übergang zu einer Politik der Klassenzusammenarbeit waren zwei Seiten einer Medaille. So enthielt das Abkommen auch die Einrichtung von Organen der „Arbeitsgemeinschaft“ zwischen Unternehmerverbänden und Gewerkschaftsspitzen.
Bereits nach dem Scheitern der Frühjahrsoffensive 1918 noch während des I. Weltkriegs schlugen führende Monopolvertreter eine „organische Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften“ vor, „bevor die Flut der Ereignisse über uns alle hinweggeht“1. Und der Geschäftsführer des „Vereins Deutscher Eisen- und Stahlindustrie“, Jakob Reichert, erklärte am 18. Dezember 1918 in einer Rede vor der rheinisch-westfälischen Handelskammer ganz freimütig: „Es kam darauf an: Wie kann man die Industrie retten? Wie kann man auch das Unternehmertum vor der drohenden, über alle Wirtschaftszweige hinwegfegenden Sozialisierung, der Verstaatlichung und der nahenden Revolution bewahren?“
Die Geschäftsgrundlage des Abkommens war das Eintreten der Gewerkschaftsführer für den Schutz des kapitalistischen Privateigentums und ihre eindeutige Positionierung gegen die Fortführung der Revolution zur Errichtung des Sozialismus. Die reformistischen Gewerkschaftsführer setzten damit ihre Politik des Burgfriedens mit dem deutschen Imperialismus, der Zustimmung und Unterstützung des imperialistischen Krieges auf andere Weise fort.
Am 16. Oktober 2018 feierte der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) zusammen mit dem Unternehmerverband BDA im historischen Museum in Berlin das hundertjährige Bestehen des Stinnes-Legien-Abkommens als hohes Lied auf „100 Jahre Sozialpartnerschaft“. Auf der Website des DGB wird das Abkommen gar als „entscheidender Beitrag zur Zähmung des Kapitalismus und zur Demokratie in der Wirtschaft“ gefeiert. Damit wird die Wirklichkeit auf den Kopf gestellt. Wie wenig sich die grundlegenden Gesetzmäßigkeiten des Kapitalismus zähmen und „demokratisieren“ lassen, zeigt die heutige allseitige Krisenhaftigheit des imperialistischen Weltsystems – mit einer allgemeinen Tendenz zur Kriegsvorbereitung. Nicht die „Sozialpartnerschaft“, sondern der revolutionäre Ansturm der Arbeiter hat die Monopole 1918 zu den weitgehenden Zugeständnissen gezwungen. Die weitere Geschichte des Kapitalismus bis heute zeigt, dass die Arbeiterbewegung sich damit nicht zufriedengeben kann und am Ziel seiner revolutionären Überwindung festhalten muss.