Rote Fahne 19/2018

Rote Fahne 19/2018

Wehret den Anfängen! Stärkt das Internationalistische Bündnis!

Am Montag, den 27. August, marschieren in Chemnitz – aus ganz Deutschland zusammengetrommelt mehrere tausend Faschisten, Pegida, AfDler, Hooligans, grölen faschistische Parolen, machen Jagd auf ausländisch aussehende Menschen

Von (tl/lg/gos)
Wehret den Anfängen! Stärkt das Internationalistische Bündnis!
Foto: RF

... und attackieren Antifaschisten. Sie proklamieren großspurig, Chemnitz würde ihnen gehören. Aber: Der Faschistenaufmarsch wird mit antirassistischen und antifaschistischen Demos, kämpferischen, antiimperialistischen Kundgebungen zum Antikriegstag und einem Konzert mit bis zu 70.000 Teilnehmern beantwortet. Es gibt bundesweit antifaschistische Massenproteste. An einem Kulminationspunkt der gesellschaftlichen Polarisierung formiert sich der fortschrittliche Stimmungsumschwung weiter. Überall diskutieren die Menschen über Hintergründe, Zusammenhänge und Lösungen, allen voran die Jugend, Mitglieder von MLPD und REBELL sowie Aktivisten des Internationalistischen Bündnisses gegen die Rechtsentwicklung der Regierung und der bürgerlichen Parteien waren ein Rückgrat des aktiven Widerstands am Antikriegstag in Chemnitz. Sie führten bundesweit die Auseinandersetzung: „Keinen Fußbreit dem Faschismus, egal welcher nationalen oder religiösen Prägung! Sofortiges Verbot aller faschistischen Organisationen!“ Seit Gründung des Internationalistischen Bündnisses vor knapp zwei Jahren organisieren seine bislang über 24.000 Unterstützerinnen und Unterstützer den Kampf um Einzelinteressen zusammenzuschließen, gegen die gesamte Regierungspolitik. Das Bündnis war Trendsetter, als es schon im Wahlkampf 2017 den damaligen Rechtsruck der Regierung zum Hauptthema machte – als noch kaum jemand davon sprach. Inzwischen wird die Rechtsentwicklung der Regierung bei immer mehr Protesten ins Visier genommen, wie bei der angekündigten Großdemonstration am 13. Oktober in Berlin „#unteilbar – Für eine offene und freie Gesellschaft – Solidarität ohne Ausgrenzung!“

 

Chemnitz

 

Faschisten, Rassisten und Ultrareaktionäre missbrauchten den Tod von Daniel Hillig als willkommenen Anlass für ihre Hetze und Aufmärsche. Daniel wurde am 26. August am Rande eines Stadtfestes bei einer Messerattacke getötet.

 

So tragisch der Tod von Daniel ist, so sind Schlägereien und Messerstechereien bei Volksfesten leider kein Einzelfall. Wenn es sich um Täter deutscher Herkunft handelt, gibt es deshalb auch keine Massenaufmärsche. Von Teilen der Medien, bürgerlicher Politik und Faschisten wurde sofort eine gesteuerte und teils gleichgeschaltete Hetzkampagne entfacht, in vielen Punkten in Übereinstimmung mit der AfD. Sie verbreiteten im Internet, Daniel hätte eine sexuell belästigte Frau geschützt. Schlicht ein Märchen. „Das ist typisch für die Faschisten“, so Stefan Engel vom Zentralkomitee der MLPD.1 „Die puschen alles auf, wo ein Ausländer beteiligt ist. Man erfährt gar nicht, was da wirklich los ist. Hauptsache es wird eine riesen Hetzkampagne los getreten. Wenn eine deutsche Frau und ein deutscher Mann sich gegenseitig abstechen, wird darüber nur ein Nebensatz verloren.“

Bereits am Sonntag, den 26. August, um 16 Uhr zogen rund 800 Rechte und Faschisten durch das Chemnitzer Stadtzentrum, angeführt von der faschistischen Hooligan-Gruppe Kaotic Chemnitz. Ein organisiertes Netzwerk von NPD über AfD und faschistischen Schlägertrupps wurde bundesweit in Gang gesetzt.

 

Was unternahm die Polizei?

 

Freunde des Internationalistischen Bündnisses aus Chemnitz berichten: „Kurzfristig kommt der Aufruf zur Gegendemonstration, trotzdem nehmen am Montag, den 27. August etwa 1500 daran teil. An der Brückenstraße stehen sich beide Lager gegenüber, laute antifaschistische Sprechchöre versuchen die Hetze auf der anderen Seite zu stören. Von der Seite der Rechten durchbricht ein großer Nazi-Block die dort dünne Polizeikette und stürmt auf die Antifaschisten los. Böller fliegen. Es gibt Verletzte auf Seiten der Antifaschisten. Gemächlich bewegt sich ein Trupp Polizei auf die Stelle zu. Auch zwei Wasserwerfer kommen angefahren, im Schneckentempo. Die Polizei ist damit beschäftigt, großräumig die Innenstadt abzusperren, um die Antifaschisten fernzuhalten … Faktisch ein riesiger Polizeikessel.“

Statt konzentriert gegen den faschistischen Mob vorzugehen, statt ausländische Kolleginnen und Kollegen zu schützen, werden die Antifaschisten behindert! In Sachsen sind 20 bis 25 Prozent aller Polizisten Anhänger der AfD; in manchen Revieren sind es sogar über die Hälfte, berichteten Insider in WDR 5.

 

Ministerpräsident und Innenminister: zurücktreten!

 

Diese Polizeitaktik kam vom sächsischen Innenministerium. Aber CDU-Innenminister Roland Wöller wurde bereits vor der Randale detailliert vom Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ informiert, dass aus der ganzen Bundesrepublik faschistische Schläger im Anmarsch sind. Trotzdem spielten er und seine Polizei die Überraschten und Überforderten. Am Vortag hatte die Polizei sogar ausländisch aussehende Menschen aufgefordert, die Stadt zu verlassen, weil man sie nicht schützen könne – ein unglaublicher Vorgang. Die Polizei setzt damit die rassistischen Forderungen der Faschisten um!

 

Mittlerweile ist offenkundig, dass Teile des Staatsapparats durchsetzt und eng verbunden sind mit den Faschisten und faschistoiden Kräften. Aktuell wird dies weltanschaulich auf den Punkt gebracht durch die ultrareaktionäre Losung von Innenminister Horst Seehofer, dass die Migration „die Mutter aller Probleme“ sei. In Thüringen schützte der „Verfassungsschutz“ die mordende NSU-Terrorgruppe und war in Teilen unmittelbar am Aufbau der faschistischen Szene finanziell und personell beteiligt. Mit ihrer Linksextremismus-Kampagne und Publikationen wie „Linksextrem – Deutschlands unterschätzte Gefahr“ dokumentiert der „Verfassungsschutz“, gegen wen er wirklich vorgeht. Dass hier keinerlei Skrupel bestehen, zeigt die Äußerung des Verfassungsschutz-Chefs Hans-Georg Maaßen in seltener Offenheit, als er 2015 im MDR um neue Mitarbeiter warb: „Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, und ich kann sagen, in manchen Bereichen unseres Hauses kann man all das machen, was man schon immer machen wollte, aber man ist straflos.“2 Zu Recht fordern immer mehr Menschen: Dieser Verfassungsschutz muss aufgelöst werden! Doch sollte man sich keine Illusionen machen: Die ausgeprägte Rechtsentwicklung der Regierung hat eine personelle Basis darin, dass auch viele weitere Teile des Staatsapparats – Polizei, Staatsschutz, Spezialeinsatzkräfte und Bundeswehr – systematisch von faschistoiden und faschistischen Kräften durch- oder gar besetzt werden. Das ist die Realität des staatsmonopolistischen Kapitalismus in Deutschland. Der kann nicht abschnittsweise reformiert oder abgeschafft, sondern muss revolutionär überwunden werden.

 

Was sind die Hintergründe?

 

Vor und mit Chemnitz hat sich die Rechtsentwicklung der Regierung verschärft. In den neuen Polizeigesetzen, die derzeit in fast allen Landesregierungen in Arbeit sind, taucht die aus dem Faschismus bekannte „Schutzhaft“ in neuem Gewand wieder auf. Aber gegen die faschistischen Gewalttäter wurden die Gefährder-Regelungen nicht angewandt, geschweige denn Vorbeugehaft oder wenigstens Meldeauflagen. Sie durften ungehindert nach Chemnitz reisen. Die Rechtsentwicklung der Regierung treibt die Faschisierung des Staatsapparats massiv voran. AfD & Co. werden als angeblich seriöse Oppositionspartei hoffähig gemacht und in den Medien aufgebaut und gepuscht. Fortschrittliche Kräfte, wie das Internationalistische Bündnis, unterliegen einer weitgehenden Mediensperre. Wenn jetzt die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock und FDP-Vorsitzender Christian Lindner eine Beobachtung der AfD durch den Inlandsgeheimdienst „Verfassungsschutz“ fordern, ist das eine gewaltige Nebelkerze. Sie wissen genau, dass „Verfassungsschutz“-Präsident Maaßen den AfD-Aufbau persönlich gecoacht hat. Selten passte das Sprichwort, „den Bock zum Gärtner machen“, besser.

 

Die Faschisierung des Staatsapparats ist Teil der allgemeinen Tendenz der imperialistischen Kriegsvorbereitung. Die Gefahr eines zwischenimperialistischen Kriegs bis zum atomaren Weltkrieg wächst bedrohlich. Darauf bereiten sich auch die EU und die Merkel-Regierung vor – unter anderem mit dem Auf- und Ausbau einer europäischen Armee, mit einer Steigerung der Militärausgaben der Bundesregierung auf 1,5 Prozent des Bruttosozialprodukts – von 43 Milliarden Euro 2019 auf 55 Milliarden im Jahr 2024. Dafür ist für sie unverzichtbar, die Stimmung unter der Bevölkerung zu manipulieren und zu gewinnen, weil diese von einem großen Friedenswillen geprägt ist. Gegen diesen Friedenswillen verbreiten die Herrschenden eine kleinbürgerlich-sozialchauvinistische Denkweise, um „deutsche Interessen“ und die Methoden der Bundesregierung als humaner zu verteidigen – dabei geht es ihnen um nichts anderes als die Macht- und Profitinteressen der Teile des internationalen Finanzkapitals, die ihren Sitz in Deutschland haben. Dabei machen sie sich zunutze, dass inzwischen die größte Sorge der Deutschen (69 Prozent) – vor allen persönlichen Problemen – die Angst vor der gefährlichen Politik des US-Präsidenten Trump ist.

 

Die Rechtsentwicklung der Regierung ist zugleich Reaktion auf den sich entwickelnden fortschrittlichen Stimmungsumschwung und fordert diesen heraus. Mit der Faschisierung des Staatsapparats und Förderung faschistoider und faschistischer Kräfte wollen die Herrschenden den fortschrittlichen Stimmungsumschwung und die tiefe internationale Solidarität unter den Arbeitern und breiten Massen zersetzen, spalten und einschüchtern und stellt sich der Staatsapparat auf die Unterdrückung von Massenbewegungen ein. Niemand darf die Dimension dieser Rechtsentwicklung unterschätzen. Sie wird das Land gravierend verändern, wenn sie nicht gestoppt wird. Das ist jedoch möglich und nötig, denn sie ist kein unvermeidliches Schicksal!

 

Protest ist links!

 

AfD und Co. setzen in Chemnitz scheinbar am berechtigten Unmut vieler Menschen gegenüber der Regierung an, um ihre braune Hetze zu verbreiten. Unterstützung erhalten sie dafür erneut von der schwarz-roten Landesregierung: „Es gab keinen braunen Mob“, schreibt Ministerpräsident Kretschmer in seiner Regierungserklärung. Inzwischen schloss sich auch Maaßen dieser Bagatellisierung an. Ein Persilschein für alle Beteiligten. Natürlich ist nicht jeder dieser Demonstranten ein Faschist. Dennoch muss sehr ernst mit den Demonstranten diskutiert werden: Die Argumentation, „ich bin kein Nazi, aber gegen soziale Missstände muss was getan werden“ ist eine nicht zu akzeptierende Rechtfertigung. Gegen soziale Missstände kann und muss der Protest von links organisiert werden! Es war offenkundig, mit wem und unter welchen Flaggen man da läuft.

 

Bundesweit haben sich rasant antifaschistische Massenproteste entwickelt. In Chemnitz stellten sich unter anderem am 1. September 5000 mutig dem braunen Mob entgegen. 70.000 kamen zu dem Antifa-Konzert am 3. September. In vielen Städten gab es weitere Demos, wie in Berlin-Neukölln am 30. August von 5000 bis 7000, überwiegend Jugendliche. In Hessen hatte die IG Metall am 19. August zu einer Kundgebung und Demonstration gegen die AfD aufgerufen: Keine AfD in den Landtag! 2000 Menschen kamen nach Wiesbaden. 130 Delegierte der IG Metall Nordhessen erklärten: „Es ist vollkommen klar, dass der Weg der AfD schlecht ist für unsere Gesellschaft und besonders auch für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Am 2. September protestieren 20.000 in Hamburg gegen Innenminister Seehofer (CSU) und seine Politik.

 

Die Entwicklung der Massenbewegung gegen die Rechtsentwicklung der Regierung ist eng mit der Arbeit des Internationalistischen Bündnisses verbunden. Es hat sich in kämpferischen Massenaktivitäten einen Namen gemacht, wie in der Solidarität mit dem kurdischen Befreiungskampf. Im Wahlkampf der Internationalistischen Liste/MLPD hat es bundesweit Sympathie und Unterstützer gewonnen, bis heute 29 Organisationen und über 24.000 Einzelpersonen. Besonders stößt der Gedanke auf Zustimmung, dass wenn in den meisten Fragen Übereinstimmung herrscht, man diese auch gemeinsam kämpferisch verfolgt und Unterschiede nicht in den Vordergrund stellt, sondern solidarisch und geduldig diskutiert. Treffend heißt es in Grundsätzen des Bündnisses: „Die gesellschaftliche Polarisierung ist die Stunde der fortschrittlichen und revolutionären Kräfte, wenn sie sich zusammenschließen. … Denn ohne Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse kann in der heutigen Zeit kein einziges grundlegendes Problem gelöst werden.“

 

„Wehret den Anfängen“ bedeutet heute, der gesamten Rechtsentwicklung inklusive der Kriegsvorbereitung, dem Abbau sozialer Errungenschaften, der Ungleichheit in Ost und West und der Umweltzerstörung entgegenzutreten! Denn auch auf dem Boden dieser massiven Probleme gedeiht die braune Saat.

 

Aufstehen, aber wofür?

 

Der Fraktionsvorsitzende der SPD im Stadtrat Chemnitz, Detlef Müller, sprach sich gegen die rechten Exzesse aus. Zugleich forderte er: „Der Rechtsstaat in Sachsen muss sich das Gewaltmonopol zurückholen.“

 

Aber jede Unterdrückung der Masse der Menschen in Deutschland – ob deutsch oder ausländisch – geht vom sogenannten deutschen Rechtsstaat aus. In dem aufgewühlten, aggressiven Klima sprach die Losung „Herz statt Hetze“ viele Menschen an. Doch trifft sie wirklich das Problem? Herz für wen – und für wen nicht? Jean-Paul Sartre sagte treffend: „Um die Menschen zu lieben, muss man sehr stark hassen, was sie unterdrückt.“

Nach dem antifaschistisch ausgerichteten Konzert am 3. September wurden auch warnende Stimmen von Antikommunisten laut, „Extremismus nicht mit Extremismus zu bekämpfen“. Dieser Slogan setzt rechts und links, Sozialismus und Faschismus gleich – eine gefährliche Irreführung! Das ist das Credo des bürgerlichen Antifaschismus: Er ist gegen die brutalsten faschistischen Machenschaften, aber zugleich strikt antikommunistisch ausgerichtet. Antifaschistische Gedenkstätten werden teils von Grund auf umstrukturiert und neu ausgerichtet, um die letzten Spuren des kommunistischen Widerstands zu tilgen. Und Faschismus auf die brutale Judenverfolgung und den Holocaust zu reduzieren. Der bürgerliche Antifaschismus attackiert die MLPD und ihren Jugendverband, weil sie für den proletarischen Widerstand gegen Faschismus und Krieg stehen. Aber es ist nicht extrem, sondern konsequent, die Wurzel des Faschismus in den aggressivsten und am meisten chauvinistischen Teilen der Monopolherrschaft aufzuzeigen.

 

So wichtig der Kampf gegen die faschistische Szene ist, so wenig darf man sich davon provozieren und alle Kräfte einbinden lassen. Der Hauptwiderspruch in Deutschland ist immer noch der zwischen den internationalen Übermonopolen und ihrem Staat einerseits und der Arbeiterklasse und den breiten Massen andererseits. Die Forderung von Sahra Wagenknechts „Aufstehen“-Bewegung, ein Bündnis mit SPD und Grünen für eine neue Regierungsmehrheit einzugehen, endet in der traurigen Rolle als Arzt am Krankenbett des Kapitalismus.

 

Die Betriebs-, Wohngebiets-, Uni- und Umweltgruppen der MLPD und ihr Jugendverband REBELL verwirklichen stattdessen eine systematische Kleinarbeit, um die Arbeiterklasse und Massen im Kampf gegen den Kapitalismus und für den echten Sozialismus zusammenzuschließen. Damit wird auch dem faschistischen Unkraut der Lebenshumus entzogen. Keine Kraft allein kann dieses große Ziel erreichen! Deshalb ist der Zusammenschluss im Internationalistischen Bündnis und seine Stärkung das zukunftsweisende Gebot der Stunde.

 

1 Auf der Montagsdemo in Gelsenkirchen am 3. September

2 12.12.15, Frankfurter Rundschau