Rote Fahne 15/2018
Erklärtes Ziel ist Abschreckung
Die Rote Fahne interviewte Stefan Dünnwald vom Bayrischen Flüchtlingsrat zur Flüchtlingspolitik der bayerischen Landesregierung
Rote Fahne: In Ihrer Pressemitteilung bezeichnen Sie den bayerischen Innen- und Integrationsminister Joachim Herrmann als „Hau-ab-Minister“. Warum?
Stefan Dünnwald: Bayern hat schon zu Anfang 2016 die dezentrale Unterbringung wieder zurückgefahren und seit September 2015 schrittweise die Unterbringung in großen Sammelunterkünften, Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen bzw. Transitlagern und Ankerzentren verfügt. Ziel dieser Unterbringung ist die Unterbindung von Integration und sozialen Kontakten, wenn ein Flüchtling nicht anerkannt ist.
Zugleich wurden weitreichende Arbeits- und Ausbildungsverbote verfügt für alle, die (noch) nicht anerkannt waren. All diese Maßnahmen verhindern oder verschieben Integration und schrecken Flüchtlinge ab. Als Folge sind Hunderte, vermutlich sogar mehrere Tausend Flüchtlinge in andere EU-Staaten weitergeflüchtet. Diese Ausreise ist erklärtes Ziel der bayerischen Regierung. Entsprechend verdient der bayerische Innenminister Joachim Herrmann auch die Bezeichnung Hau-ab-Minister.
Der Bayerische Flüchtlingsrat erklärt anschaulich, dass Ehrenamtliche und Unternehmer, die Flüchtlinge eingestellt haben, entnervt und frustriert sind von der Flüchtlingspolitik der bayerischen Landesregierung. Warum?
Weit drastischer und härter als jedes andere Bundesland versucht Bayern, die Integration durch Beschäftigung zu unterbinden bei Flüchtlingen, die noch im Verfahren sind oder abgelehnt wurden. Zugleich hat Bayern über Berufsintegrationsklassen ein eigentlich hervorragendes System der Vorbereitung von Flüchtlingen auf Arbeit und Ausbildung.
Ehrenamtliche wie auch Betriebe machen die Unterscheidung der Regierung in Flüchtlinge mit „guter“ oder „schlechter“ Bleibeperspektive nicht mit. Die Ehrenamtlichen unterstützen alle Flüchtlinge einer Unterkunft; die Betriebe wollen einstellen, wer zur Firma passt und zum Beispiel ein gutes Praktikum absolviert hat. In beiden Fällen aber können die Ausländerbehörden durch die Verweigerung einer Beschäftigungserlaubnis gut integrierte und integrationswillige Flüchtlinge ausbremsen. Der Kampf von Ehrenamtlichen oder Betrieben gegen diese Entscheidungen ist mühselig und oft erfolglos. Viele Betriebe haben sich deshalb von der Aufgabe, Flüchtlinge zu integrieren, frustriert abgewendet; viele Ehrenamtliche suchen keine Praktika oder Stellen mehr, weil die Behörde eh ablehnen wird.
Was hat es mit der Parole „Aufenthaltsbeendigung geht vor Ausbildung“ auf sich?
Im September 2016 wies das bayerische Innenministerium in einem umfangreichen Schreiben die Ausländerbehörden an, sehr restriktiv mit der Erlaubnis von Beschäftigung zu verfahren. Hier wurde der Grundsatz, Aufenthaltsbeendigung gehe vor Ausbildung, das erste Mal geprägt. Das heißt, Aufenthaltsbeendigung durch Abschiebung oder Ausreise ist das vorrangige Ziel der bayerischen Innenpolitik, entsprechend sollen keine Arbeits- oder Ausbildungserlaubnisse erteilt werden, die diesem Ziel entgegenstehen könnten.
Entsprechend wird die 3+2-Regelung, die besagt, dass ein Flüchtling, die oder der einen Ausbildungsplatz hat, für die Gesamtdauer der Ausbildung eine Duldung erhält und im Anschluss eine Aufenthaltserlaubnis, in Bayern komplett unterlaufen. Die Erlaubnis zur Ausbildung wird erst gar nicht erteilt, so kann auch niemand die Duldung beanspruchen, die vor einer Abschiebung schützen würde.
Was meinen Sie, wie können wir die Kräfte gegen eine solche Politik bündeln, welche Schlussfolgerungen müssen wir ziehen?
Wir setzen in Bayern darauf, dass die Orientierung an Politik und Sprache der AfD, die die CSU eingeschlagen hat, nach den Wahlen wieder etwas mehr in pragmatische und liberale Bahnen gelenkt werden wird.
Dazu kooperieren wir mit Ehrenamtlichen, Wohlfahrtsverbänden und insbesondere den Wirtschaftsverbänden und Kammern. Die Vertretungen der Betriebe und Arbeitgeber*innen sind diejenigen, die sich am deutlichsten dafür aussprechen, Bildungskarrieren von Flüchtlingen nicht einfach so zu knicken, sondern Flüchtlinge, auch ohne Asyl, in die Arbeitswelt zu integrieren. Betriebe, und auch IHK oder Handwerkskammer, tun dies natürlich nicht aus Altruismus1, sondern haben auch den steigenden Facharbeiterbedarf im Blick. Viele Betriebe finden schon jetzt nicht genug Azubis, da ist eine Arbeits- und Ausbildungsverbotspolitik anachronistisch.
Aber gegen diese Politik machen viele andere gesellschaftliche Akteure mobil, Ehrenamtliche sowie Lehrerinnen und Lehrer von Berufsschulen, die Kirchen und Wohlfahrtsverbände.
Am 22. Juli planen wir in einem breiten Bündnis eine Demonstration gegen die CSU und die bayerische Regierung. Flüchtlinge und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer werden da einen großen Block bilden.
Vielen Dank für das Interview!
1 Selbstlosigkeit, Uneigennützigkeit