Rote Fahne 09/2018
Industrie 4.0: Industrielle Revolution oder Propaganda-Offensive?
Prof. Dr. Josef Lutz von der Technischen Universität Chemnitz hat sich in einem Vortrag für die Offene Akademie (1) mit den ökologischen Aspekten der dem Schlagwort „Industrie 4.0“ zugrundeliegenden realen Veränderungen befasst – hier ein Vorabdruck von Auszügen aus dem Tagungsband
Glaubt man den vielfältigen Veröffentlichungen, so ist „Industrie 4.0“ die vierte industrielle Revolution – nach der Einführung der Dampfmaschine, der Einführung von Arbeitsteilung und Fließbandproduktion, der Automatisierung durch Einführung von Elektronik und Informationstechnik kämen nun die sogenannten „cyberphysikalischen Systeme“ mit umfassender drahtloser Vernetzung von Robotern, Zulieferteilen usw. …
Ist der Begriff „industrielle Revolution“ richtig? Vorweg: Die nächste industrielle Revolution muss Nachhaltigkeit im Zentrum haben: Von einer linearen Wirtschaft (Rohstoff – Produktion – Konsum – Müll), wie sie derzeit kennzeichnend ist, zu einer Kreislaufwirtschaft, die durch Recycling, Kreisprozesse und erneuerbare Energien geprägt ist.2
Industrie 4.0 ist vor allem ein Programm in Deutschland mit nur wenig parallelen Aktivitäten in anderen Industrieländern. Es hat mehrere Seiten. Es ist
· ein Forschungsprogramm der Bundesregierung
· ein Programm zur höheren Automatisierung der Produktion
· eine geplante Exportoffensive der deutschen Firmen in Maschinenbau und Anlagentechnik
· ein Hype und eine Propaganda-Offensive.
Der Vorstand der IG Metall hat Industrie 4.0 zum Top-Thema gemacht, er spricht von fundamentalen Veränderungen: „Die IG Metall will die Chancen verwirklichen.“ 3 Gewerkschafter und Betriebsräte werden mit Arbeitskreisen beschäftigt. Doch es ist eigentlich nicht Sache der Gewerkschaften, an einem Programm für den Konkurrenzvorteil der Betriebe in Deutschland mitzuwirken. Das ist eine Politik basierend auf einer nationalistischen Denkweise. Die Rechte der Beschäftigten müssen heute, wo multinationale Konzerne vorherrschen, im internationalen Zusammenschluss verteidigt werden. Vor allem aber wird nicht beachtet, dass auch in der Bewertung der Technik heute ein Paradigmenwechsel notwendig ist: Dient sie der Nachhaltigkeit, dem Erhalt der Umwelt, der Möglichkeit eines menschenwürdigen Lebens künftiger Generationen, oder beschleunigt sie dramatisch die Umweltkrise?
Soweit aus den Konzepten abzuleiten, wären Folgen von Industrie 4.0 ein enormes Anwachsen des Energieverbrauchs durch betriebliche Funk-Basisstationen und umfangreiche Datenverarbeitung. Schutz vor Hackerangriffen und Datensicherheit unter Einsatz von „Block chain“-Technologien4 erhöhen den Rechneraufwand weiter. Ferner wird der Lkw-Verkehr noch mehr ausgeweitet durch „just in time“-Transport der Zwischenprodukte. Für die Beschäftigten ergibt sich eine erhöhte Mikrowellen-Belastung am Arbeitsplatz sowie eine umfassende digitale Überwachung des Arbeiters und aller seiner Handgriffe. Als einen weiteren Effekt ermöglichen die flexiblen Fertigungslinien den Bau einer Reihe von Spezialfabrikaten, der derzeit in spezialisierten nichtmonopolistischen Firmen erfolgt, in den Fertigungsstraßen der Großindustrie. Damit würde ihr Umsatz auf Kosten der mittleren Betriebe erweitert.
Die Auswirkungen auf den Arbeitsplatzabbau sind noch nicht absehbar. … Die Konzerne der Branche versprechen sich eine Exportoffensive. Auf der anderen Seite wird prognostiziert, es sollen 3,4 Millionen Stellen in den kommenden fünf Jahren hierzulande wegfallen, weil Roboter oder Algorithmen die Arbeit übernehmen, so der IT-Branchenverband Bitkom.5 … Doch angesichts des hohen Investitionsaufwands sind solche Prognosen mehr als zweifelhaft. … In der Industrie macht ein weiterer Schub in der Automatisierung den Kampf für Arbeitszeitverkürzung, für eine 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich umso wichtiger.
1 Die Offene Akademie tagte dieses Jahr vom 25. bis zum 31. März in Gelsenkirchen. Mehr dazu unter www.offene-akademie.org
2 C. A. Volkert, „Wirtschaft gegen Umwelt: Grundsatzkritik an der Wegwerfproduktion“, Tagungsband Offene Akademie 2015
3 IG Metall Plattform Industrie 4.0
4 Kryptografisch gesicherte dezentrale Buchführungssysteme
5 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/diginomics/digitalisierung-wird-jeden-zehnten-die-arbeit-kosten-15428341.html