Rote Fahne 06/2018

Rote Fahne 06/2018

Zechenschließung geht alle an

Nach den Plänen der Ruhrkohle AG (RAG), der Bundesregierung und der Landesregierung NRW soll am 21. Dezember 2018 auf den letzten beiden Steinkohlezechen in Bottrop und Ibbenbüren Schicht sein. In den bundesweiten Medien und der Öffentlichkeit wird das Kapitel Steinkohlebergbau halb nostalgisch, halb achselzuckend – oder gar als Beitrag zum Umweltschutz abgehandelt. Beim Kampf gegen die Zechenstilllegung geht es – im Gegensatz dazu – in hohem Maß um den Erhalt von Arbeits- und Ausbildungsplätzen, den Schutz der Umwelt, die Kultur und die kämpferische, vor allem revolutionäre Tradition der Bergarbeiter und ihrer Familien. Das hat nichts mit Nostalgie zu tun, sondern ist angesichts der (welt)politischen Entwicklung aktueller denn je. Deshalb geht die Schließung der letzten beiden Steinkohlezechen im Ruhrgebiet jede und jeden an!

Von gp
Zechenschließung geht alle an
Foto: Jan Truter / CC BY-NC-ND 2.0

Mit der Stilllegung der letzten beiden Steinkohlezechen will die RAG 5000 Arbeitsplätze vernichten. Dazu kommen noch weit mehr bei den Zulieferern und den Fremdfirmen.

 

„Sozialverträglich“?

 

Dabei verbreitet die RAG die Mär vom „sozialverträglichen“ Ausstieg aus der Steinkohle. Aber die Arbeitsplätze sind futsch – und keine gleichwertigen, vor allem industrielle bzw. gewerbliche, Ersatzarbeitsplätze vorhanden! Was ist mit den Auszubildenden der Zeche Auguste Victoria, die nach der Ausbildung in die Leiharbeitsfirma START abgeschoben, von dort an die RAG ausgeliehen wurden und deren Verträge Ende des Jahres auslaufen sollen? Dazu schreibt die Bergarbeiterzeitung Vortrieb: „Ist die Situation der jungen Arbeiter im Ruhrpott nicht ein Argument mehr dafür, für den Erhalt der Zechen zu kämpfen? Der Vortrieb meint: Ja! Das geht jeden Kumpel an, egal welchen Alters und welcher Nationalität.“ Dasselbe Schicksal droht Hunderten Leiharbeitern und Nichtanpassungs-Berechtigten. Der angebliche Verzicht auf „betriebsbedingte Kündigungen“ – mit der Möglichkeit, vorzeitig in Anpassung zu gehen – ist erstens Betrug und fördert zweitens eine Denkweise, hauptsächlich von der eigenen Lage und nicht von den Klasseninteressen auszugehen. „Sozial“ ist allein der gemeinsame Kampf zum Erhalt der Arbeits- und Ausbildungsplätze, der Kampf für die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!

 

Als Begleitmusik zur Stilllegung des Steinkohlebergbaus im Ruhrgebiet betreiben die RAG, die Bundes- und die Landesregierung NRW eine aufwendige Kampagne mit Konzerten, Ausstellungen, Festakten, ja selbst Panini-Sammelalben. Der Aufwand ist kein Zufall. Dem Bergmann und seiner Tradition werden vordergründig gesehen Respekt gezollt, um ihm gleichzeitig das Messer in den Rücken zu rammen und die Schließungen als alternativlos und unwiderruflich beschlossene Sache darzustellen. Die Kumpels sind bei diesen Veranstaltungen entweder gar nicht eingeladen oder sollen als Zaungast bis zum Schluss für den Profit Kohle fördern. Das ist unverschämt und unwürdig! Mit der Schließung der Zechen würden einer der bedeutendsten Industriezweige und die Tradition der Bergarbeiterbewegung beendet.

 

Kämpferische und revolutionäre Tradition

 

Diese hat – nicht nur in Deutschland – mit ihrer Kultur, ihrer kämpferischen, vor allem revolutionären Tradition die deutsche Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung entscheidend geprägt. So stellten die Bergarbeiter die Masse der 100.000 Mann starken Roten Ruhrarmee, die 1923 entscheidend zum Scheitern des faschistischen Kapp-Putsches1 beitrug – und deren Kämpfer anschließend massenhaft niedergemetzelt wurden. Nach dem Krieg waren es die Bergleute, die zusammen mit den Stahl- und Metallarbeitern die Produktion wieder in Gang setzten. Die Bergleute traten für die Überführung der Schlüsselindustrien in Gemeineigentum ein – eine Schlussfolgerung aus der führenden Rolle der Kohle- und Stahlbarone bei der Errichtung der faschistischen Diktatur in Deutschland. Zwischen 1946 und 1948 stellte die KPD mehr als ein Drittel der Betriebsräte im Bergbau und der Mitglieder in den örtlichen Gewerkschaftsvorständen. Das war den Monopolen, aber auch dem von der SPD beherrschten Gewerkschaftsapparat ein Dorn im Auge. 1951 wurde allen KPD-Mitgliedern ein Revers vorgelegt – entweder sie distanzieren sich von der KPD oder werden ausgeschlossen. So wurden Tausende KPD-Mitglieder aus den Gewerkschaften gesäubert. Noch heute berichten ältere Menschen in Gelsenkirchen-Horst: „Die Besten haben nicht unterschrieben, deshalb wurden sie brutal entlassen. Insgeheim waren sie dann die meistgeachteten Menschen in Horst.“

 

Zusammen mit dem KPD-Verbot der Adenauer-Regierung war dies der teilweise durchaus gelungene Versuch, die revolutionäre Bewegung als entscheidendes Hindernis für den aufstrebenden neudeutschen Imperialismus und seine Wiederbewaffnung zu schwächen. Es war auch die Voraussetzung zur Durchsetzung einer reaktionären Politik der Klassenzusammenarbeit in den Gewerkschaften. Das betrügerische Instrument dazu war die „Montanmitbestimmung“, mit der den Bergleuten eingeredet werden sollte, sie hätten Einfluss auf die Unternehmerentscheidungen. In einer Klassengesellschaft ist das eine Illusion und sollte die Bergleute nur vom Kampf abhalten. Teilweise gelang dies auch mit einer Politik der Reformen von oben. Doch hat diese Mitbestimmung keinen der über 500.000 vernichteten Arbeitsplätze seit den 1950er-Jahren gerettet.

 

Gewerkschaftsfunktionäre wie der heutige Vorsitzende der IGBCE, Michael Vassiliadis, sind vollständig in das kapitalistische System eingebunden, tragen alle Entscheidungen der RAG mit und betätigen sich aggressiv antikommunistisch als Co-Manager. Dieses Co-Management gilt auch für den Deputatklau, womit den Bergbaurentnern und ihren Witwen ein Teil ihrer Renten gestrichen wurde.² Leute wie Vassiliadis sehen ihre Hauptaufgabe in der Verteidigung des Kapitalismus und Bekämpfung der klassenkämpferischen Kräfte. Die Bergbaugruppen der MLPD und die kämpferische Bergarbeiterbewegung „Kumpel für AUF“ haben diese Politik der Klassenzusammenarbeit schon immer kritisiert und sich in Wort und Tat für die IGBCE als Kampforganisation stark gemacht.

 

Zechenschließungen noch zu verhindern?

 

Noch herrscht unter den Bergleuten verbreitet die Stimmung: „Mit der Schließung sind wir nicht einverstanden, aber da änderst du nichts mehr dran. Das hat die Politik so entschieden.“ So jedenfalls hat es die RAG jahrelang vertreten und sich als Opfer dargestellt. Dagegen enthüllte die Bergarbeiterzeitung Vortrieb vom 29. August 2017 mit einem Dokument, dass es die RAG war, die die vorzeitige Schließung von Ibbenbüren betrieb. Auch der Plan zur Schließung des Steinkohlebergbaus geht maßgeblich auf die RAG zurück. Weil die RAG keine Chance im Kampf um die Weltmarktführerschaft sah, stieg sie aus der Kohleförderung aus und konzentrierte sich auf Chemie und Immobilien. Es sind Konzerne wie die RAG und VW, die in diesem kapitalistischen System das Sagen haben. Derartige Monopole haben eine Diktatur über die gesamte Gesellschaft errichtet und bestimmen, was die Politiker in Berlin zu tun und zu lassen haben.

 

Doch Entscheidungen der Konzerne sind genauso wenig in Stein gemeißelt wie die der Regierungen! Die Bergleute waren immer dann erfolgreich, wenn sie in die Offensive gingen, ihre eigenständige revolutionäre Organisation – früher die KPD, heute die MLPD – systematisch aufgebaut und ihre Gewerkschaft, die IGBCE, zu ihrer Kampforganisation gemacht haben. So wie 1997, als Kanzler Helmut Kohl die Vernichtung von 60.000 Arbeitsplätzen im Bergbau ankündigte. Jahrelang hatten die Bergleute scheinbar widerstandslos der Vernichtung der Arbeitsplätze zugesehen. Damit war Schluss! Ausgehend von der Zeche Hugo traten 135.000 Bergleute aller RAG-Betriebe mit einem sechstägigen selbständigen Streik auf den Plan. Sie hatten jahrelang nicht gestreikt, jetzt blockierten sie mit großer Konsequenz Straßen und Flüsse, enterten Straßenbahnen als Transportmittel, drangen sogar ungehindert in die Bannmeile des Bundestags ein. Diese Härte, diese Radikalität, die Disziplin und Entschlossenheit lernen die Bergleute unter Tage – und die Herrschenden fürchten sie – vor allem, dass dies Schule macht und sich verbreitet.

 

Die geplanten rigorosen Zechenschließungen haben nicht nur ökonomische, sondern auch politische Gründe: Das alles soll mit der Stilllegung der Zechen begraben werden. Doch das letzte Wort ist noch nicht gesprochen! Mit der MLPD haben die Bergleute und die Arbeiterklasse wieder eine Partei, die das revolutionäre Erbe der deutschen Arbeiterbewegung weiterführt und konsequent an der Seite der Berg­arbeiter im Kampf gegen die Zechenschließungen und Umweltzerstörung steht. Organisationsformen wie die Bergarbeiterzeitung Vortrieb und die kämpferische Bergarbeiterbewegung Kumpel für AUF haben sich über Jahre das Vertrauen erobert, weil die Kumpel wissen: Hier sind wir selbst es, die gut organisiert für unsere Interessen eintreten.

 

Umweltfeind Kohle?

 

Die Kohleverbrennung ist einer der Hauptfaktoren für den weltweiten Anstieg der schädlichen Treibhausgase und damit der Erderwärmung. Deshalb werden die Zechenstilllegungen auch von einem Teil der Umweltbewegung befürwortet. Die Forderung nach schnellstmöglichem Ausstieg aus der Kohleverbrennung ist zum Schutz der Umwelt dringend notwendig und vollständig zu unterstützen! Allerdings hat diese Forderung nichts mit der Schließung der Steinkohlezechen zu tun. Denn damit endet die Kohleverbrennung nicht. Im Koalitionsvertrag verzichtet die neue CDU/CSU/SPD-Regierung ausdrücklich darauf, einen konkreten Termin für einen Kohleausstieg fest­zulegen. Die für die Kraftwerke nötige Kohle wird importiert, aus Kolumbien, Russland, Südafrika usw. – sogenannte Blutkohle, weil die Förderung häufig unter Missachtung einfachster Sicherheitsbestimmungen Blutopfer unter den Bergleuten fordert. Kohle ist als wertvoller Rohstoff viel zu schade, um verbrannt oder geflutet zu werden (siehe S. 20/21).

 

Umweltfeindlich sind die Stilllegungspläne

 

Das Abpumpen des Grubenwassers ist Teil der sogenannten Ewigkeitsaufgaben der RAG. Davon will die RAG aber nichts mehr wissen. Aus reiner Profitgier plant sie die Flutung der Zechen und Gruben sowohl im Saarland als auch im Ruhrgebiet. Von 1980 bis 2006 hat die RAG jedoch rund 1,6 Millionen Tonnen Giftmüll unter Tage eingelagert. Außerdem lagern Zehntausende Tonnen hochgiftiges PCB unter Tage. Mit der Flutung gelangen diese Ultragifte aber zwangsläufig in die Oberflächengewässer und in das Trinkwasser. Damit entsteht eine unkalkulierbare gesundheitliche, ja tödliche Gefahr für Millionen Menschen. Dagegen regt sich zurecht der Widerstand im Ruhrgebiet und im Saarland. Mit der Flutung wäre zugleich die Steinkohle als wertvoller Rohstoff für kommende Generationen unwiederbringlich verloren. Die Stilllegung aller Zechen ist auch eine Voraussetzung, flächendeckend in Deutschland und Europa das Fracken der Kohleflöze einführen zu können – mit unkalkulierbaren Folgen für die Menschen und die Umwelt. Die bisherige Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) hat lediglich bis 2021 Fracking in NRW untersagt und Probebohrungen erlaubt.

 

Schule eines gesellschaftlichen Paradigmenwechsels

 

Im weltweiten Bergbau wird der untertägige Abbau von Rohstoffen immer häufiger zugunsten des wesentlich profiträchtigeren Tagebaus eingestellt. Dazu werden von den internationalen Rohstoffkonzernen Urwälder abgeholzt, Bergkuppen gesprengt, das Grundwasser verseucht, Menschen aus ihren Dörfern und Städten vertrieben. In Lateinamerika, Afrika, Indien und anderen Ländern entwickeln sich gegen diese Verbrechen gemeinsame Kämpfe der Bergarbeiter mit der Bevölkerung.

 

Da alle Rohstoffe endlich sind, brauchen wir eine Kreislaufwirtschaft und einen gesellschaftlichen Paradigmenwechsel in der menschlichen Lebensführung. Dieser Paradigmenwechsel erfordert aber ein Gesellschaftssystem, in dem der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt steht: den echten Sozialismus. Dabei spielen die 20 Millionen Bergleute als Kern des internationalen Industrieproletariats eine entscheidende und führende Rolle, wenn sie sich organisieren.

 

Politisch bewegte Zeiten

 

Die angekündigte Stilllegung der letzten beiden Steinkohlezechen findet in politisch bewegten Zeiten statt. In Berlin gibt es eine Regierung, die sich nicht mal auf eine Mehrheit in der Bevölkerung stützen kann. Der zwischen den USA und der EU drohende Handelskrieg ist Ausdruck der Verschärfung der zwischenimperialistischen Widersprüche.

 

In Syrien birgt der Kampf um die Nachkriegsordnung zwischen verschiedenen alten und neuen imperialistischen Ländern die Gefahr eines dritten Weltkrieges. Der völkerrechtswidrige Einmarsch der Türkei in Afrîn hat zu einer teilweise heftigen Polarisierung zwischen türkischen und kurdischen Kollegen geführt. Warum soll ein türkischer Bergmann für den Krieg in Afrîn sein? Erdo˘gan ist Repräsentant eines neuimperialistischen Landes, das jede Opposition im Innern unterdrückt und aggressiv nach außen seine Machtansprüche durchzusetzen versucht.

 

Worauf die Bergleute bauen können

 

Unter den Bergleuten wird die Stimmung stärker, dass es „eigentlich richtig wäre, zu kämpfen“. Dazu muss eine Haltung überwunden werden, abzuwarten, was der Betriebsrat oder die IGBCE-Führung macht. Die Zahl der aktiven Bergleute ist zwar geschrumpft, aber ihr Umfeld erfasst viele Zehntausende, und Hunderttausende sind solidarisch mit dem Kampf um jeden Arbeitsplatz! Ein Kampf der Bergleute wäre auch ein Signal für die europäischen Bergarbeiter, deren Zechen von der Schließung bedroht sind. Da passt es gut, wenn die 2013 in Peru gegründete Internationale Bergarbeiterkoordination die Aufgabe in Angriff nimmt, eine kontinentale Koordinierung in Europa aufzubauen.

 

In der Bergarbeiterbewegung „Kumpel für AUF“ und mit der Bergarbeiterzeitung Vortrieb haben die Bergleute zuverlässige, erprobte Organisationsformen. Jeder Bergmann, der konsequent den Kampf gegen die RAG und die Regierung führen und eine grundsätzliche Änderung will, der sollte jetzt Mitglied in der MLPD werden.

 

Der Kampf gegen die Zechenstilllegung ist ein Kampf für den Erhalt der Arbeitsplätze, für den Erhalt eines wertvollen Rohstoffes, ein Kampf gegen die Zerstörung der Umwelt aus reiner Profitgier und für die Stärkung des kämpferischen und revolutionären Flügels der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung. Dieser Kampf gegen die RAG und die Bundesregierung muss mit der Stoßrichtung geführt werden: „Wir akzeptieren die Stilllegung nicht!“