Rote Fahne 02/2018
Metalltarifrunde: Kampfbereit für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeit – im Osten wie im Westen
Seit Jahresbeginn sind rund 200.000 Kolleginnen und Kollegen aus Hunderten Betrieben der Metall- und Elektroindustrie zu Warnstreiks auf die Straße gegangen: für sechs Prozent mehr Lohn und Gehalt, Arbeitszeitverkürzung und Angleichung der Entgelte sowie der Arbeitszeit in Ost und West. Die IGMetall fordert, dass Arbeiter und Angestellte bis zu zwei Jahre lang ihre Arbeitszeit auf bis zu 28 Stunden reduzieren können. Dafür soll es ein Rückkehrrecht auf die ursprüngliche Arbeitszeit geben und einen Teillohnausgleich allerdings nur für bestimmte Beschäftigtengruppen. 200 Euro pro Monat für Beschäftigte, die Kinder unter 14 betreuen oder Familienangehörige pflegen. 750 Euro im Jahr für Beschäftigte in Schichtarbeit oder anderen gesundheitlich belastenden Berufen. Für Auszubildende fordert die IG Metall zusätzlich einen freien bezahlten Tag vor allen Prüfungstagen sowie die bezahlte Freistellung am Prüfungstag selbst.
Die Reaktion des Unternehmerverbands Gesamtmetall auf die wachsende Kampfbereitschaft in den Betrieben ist provokativ. Erstmals seit 40 Jahren drohen die Metallkapitalisten, allein schon gegen Warnstreiks vor Gericht zu ziehen. Sogar Schadensersatzforderungen gehören zu ihren „Überlegungen“. Ein eigens dafür bestelltes Gutachten behauptet, die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung mit Teillohnausgleich und ein Streik dafür seien rechtswidrig. Ihre Begründung: „Ungleichbehandlung“ gegenüber Teilzeitbeschäftigten, die keinen Lohnausgleich bekommen.
Dabei machen sie sich zunutze, dass die IG-Metall-Führung eine Forderung aufgestellt hat, die tatsächlich nur Teilinteressen betont und die Einheit im Kampf schwächt. Richtig wäre längst, die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich für alle Arbeiter und Angestellten auf die Tagesordnung zu setzen. Wäre die Gleichbehandlung Gesamtmetall tatsächlich jemals ein ernstes Anliegen, dann hätten die Unternehmer die Angleichung der Tarifverträge für Ost- und Westdeutschland nicht 27 Jahre lang abgelehnt. Spaltung und Konkurrenz gehört zum täglichen Geschäft der Herrschenden. Das Argument der „Ungleichbehandlung“ aus dem Munde von Gesamtmetall ist nichts als eine scheinheilige Phrase!
Ihre Provokation ist der Versuch, das in Deutschland ohnehin auf Tariffragen eingeschränkte Gewohnheitsrecht auf Streik weiter zu beschränken. Sie ist Teil des Rechtsrucks von Regierung und Monopolen. Vereint wollen beide hartnäckig die Ungleichbehandlung in Ost und West aufrechterhalten – und damit die Spaltung der Arbeiterklasse. Vor allem geht es ihnen darum, der Belebung des gewerkschaftlichen Bewusstseins auf breiter Front gleich mal einen Riegel vorzuschieben, damit sich das Klassenbewusstsein nicht weiterentwickelt. Eine höchst politische Angelegenheit ist deshalb diese Tarifauseinandersetzung.
Nervöse Sondierer
Wie sehr auch die kämpferischen Metallerinnen und Metaller bei den Sondierungsgesprächen für eine erneute Große Koalition faktisch „mit am Tisch saßen“, zeigte sich an der Nervosität, der demonstrativ betonten Uneinigkeit und dem „Schweigegelübde“ der beteiligten Spitzenpolitiker. Auf keinen Fall sollte irgendetwas nach außen dringen, was die mühsame Gewinnung der eigenen Massenbasis für die vereinbarten Pläne gefährden könnte. Entsprechende Schelte gab es für „Plaudertasche“ Armin Laschet. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident hatte wohl im „erlauchten Kreis“ der Düsseldorfer Industrie- und Handelskammer kundgetan: Man wolle nun auch offiziell das völlig unzureichende und längst gescheiterte Klimaziel der Reduzierung der deutschen Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2020 (gegenüber 1990) aufgeben. In diesem Geiste des weiteren Rechtsrucks ist das ganze „Sondierungspapier“ verfasst– garniert mit einigen Zugeständnissen. Würden Pläne bekannt wie die von den Unternehmerverbänden geforderte Aufweichung des Arbeitszeitgesetzes, würde dies sofort für breite Empörung in den Betrieben sorgen und die Tarifrunden weiter politisieren. Deswegen haben die Parteispitzen auch wochenlang herumlaviert. Bis sie sich endlich auf die zukünftige GroKo einigten.
Gewerkschaftliches Bewusstsein wächst
Das auf breiter Front erwachende gewerkschaftliche Bewusstsein bringt auch in den Tarifrunden neue, fortschrittliche Elemente hervor:
* Jahrelang galt die Devise: „Als Leiharbeiter besser die Klappe halten“. Kolleginnen und Kollegen bei Daimler Stuttgart, VW in Wolfsburg oder Hannover halten aber nicht mehr still. Sie melden sich mit kämpferischen Aktionen zu Wort. Sie fordern ihre Festeinstellung im Bewusstsein: Hier geht es auch um die Zukunft der Jugend. Die Betriebsgruppen der MLPD unterstützen diesen Kampf aktiv und stehen dabei vornedran.
* Bei vielen Aktionen und Demonstrationen in der Tarifrunde sind Jungarbeiter und Auszubildende aktiv dabei. Bei thyssenkrupp Steel in Duisburg, Ford in Köln oder Daimler in Stuttgart verbindet sich der Tarifkampf mit der Forderung nach unbefristeter Übernahme entsprechend der Ausbildung. Das ist der richtige Weg, um die Kampfeinheit von Jung und Alt zu stärken. Laut DGB fehlen gegenwärtig etwa 250.000 Lehrstellen, rund 100.000 wurden in den letzten 20 Jahren abgebaut. Und Siemens plant, die Hälfte seiner Lehrwerkstätten zu schließen. Die bei der RAG werden ganz wegfallen.
Allerdings führt es den Übernahmekampf in eine individualistische Sackgasse, wenn Azubis teilweise nur dafür eintreten, persönlich auf keinen Fall „ans Band“ zu wollen. Richtig ist, für die Übernahme entsprechend der Berufsausbildung einzutreten – für alle! Individuelle Interessen muss die Arbeiterklasse immer dem gemeinsamen Kampf unterordnen. Millionen Arbeiter stehen hochproduktiv am Band, arbeiten dort diszipliniert und mit großem Know-how. Von ihrer Kollektivität, Disziplin und Exaktheit kann jeder Azubi eine Menge lernen!
* Beim Warnstreik am 9. Januar in Köln machten Ford-Arbeiter bekannt, dass die Geschäftsleitung drei Jungfacharbeiterinnen, womöglich aus politischen Gründen, nicht übernehmen will. Da ergriffen Kolleginnen und Kollegen die Initiative und gründeten einen Solidaritätskreis – gegen eine Vorstellung, „da kann man doch nichts dagegen machen“. Über 900 Unterschriften haben sie schon gesammelt.
* Deutlich wächst die Zahl der Kolleginnen und Kollegen, die sich durch antikommunistische Attacken nicht von einer Zusammenarbeit mit der MLPD oder ihr zugerechneten Kollegen abhalten lassen. Auch wenn es politisch unterschiedliche Meinungen gibt.
* Opelaner aus Rüsselsheim wollen die Tarifrunden-Aktion am 17. Januar nutzen, und ihren Kampf um jeden Arbeitsplatz. Das nach der Erpressungspolitik von PSA-Chef Carlos Tavares und der unseligen „schuldrechtlichen Vereinbarung“ mit der Gewerkschaftsführung (siehe S. 20). Es muss noch viel bewusster darum gerungen werden, die Tarifauseinandersetzung mit solchen Kämpfen zu verbinden.
* Wenn klassenkämpferische Kolleginnen und Kollegen revolutionäre Erfahrungen auf Belegschaftsversammlungen einbrachten, stieß das in der Vergangenheit oft auf Unverständnis. Heute sind immer mehr Kolleginnen und Kollegen genau daran interessiert. Auf der Belegschaftsversammlung von thyssenkrupp Steel stellte ein Arbeiter die Verbindung her zwischen dem Kampf um jeden Arbeitsplatz und der russischen Oktoberrevolution her, der ersten erfolgreichen sozialistischen Revolution. Denn die ist Beleg dafür, dass es möglich ist, Ausbeutung und Unterdrückung generell abzuschaffen. Dafür gab es viel Beifall. Oder Opel-Arbeiter schickten Grüße aus Sankt Petersburg an ihre Kollegen, als sie dort anlässlich 100 Jahre Oktoberrevolution demonstrierten. Zurückgekehrt, war dies Gegenstand lebhafter Diskussionen.
Angleichung Ost-West gemeinsame Kampfaufgabe
Bei allen Warnstreiks in Ostdeutschland spielt die Angleichung der Arbeitszeit eine zentrale Rolle: „Arbeitszeitmauer muss endlich weg! 35-Stunden-Woche reicht!“, forderten die ZF-Beschäftigen in Brandenburg. Im Westen dagegen spielt dies noch eine untergeordnete Rolle, weil die Gewerkschaftsführung dies gar nicht offensiv verankert oder sogar Vorbehalte gegen die Kollegen im Osten schürt. Diese Spaltung richtet sich gegen die gesamte Arbeiterklasse. Die niedrigeren Löhne und Arbeitszeiten im Osten werden auch als Druckmittel gegen die Kolleginnen und Kollegen im Westen eingesetzt. Der Osten – ein Niedriglohnland durch Tarifvertrag im eigenen Land! Der Kampf für die Angleichung der Löhne, Arbeitszeiten und Renten ist eine gemeinsame Kampfaufgabe in Ost und West.
Mit der Aussage, „wir wollen keine kollektive Arbeitszeitverkürzung“, fällt der IG-Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann nicht nur den Gewerkschaftern in Ostdeutschland in den Rücken, sondern auch der Bewegung für die weitergehende Forderung nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Das ist ein starkes Stück! Dazu hat er kein Mandat. Man erinnere sich nur an den üblen, handstreichartigen Abschluss und Abbruch des Tarifstreiks 2003 für die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in Ostdeutschland durch die damalige IG-Metall-Spitze unter Klaus Zwickel. Offensichtlich weicht auch Hofmann jetzt aus vor einer Konfrontation durch einen hart geführten Streik gegen Gesamtmetall aus.
Arbeitszeitfrage im Zentrum
Unter den Belegschaften wächst der Unmut über Arbeitsbedingungen und den wachsenden Druck. Arbeitszeitverkürzung erleichtert es, sich um familiäre Probleme zu kümmern, gemeinsam Verantwortung für Kinder und Haushalt zu übernehmen. Und sie hilft auch, sich um Sport, Kultur, Fortbildung, Liebe und gesellschaftliches Engagement zu kümmern. Mit Anfragen nach Verkürzung der Arbeitszeiten werden Personalleitungen oft geradezu bombardiert; auch Männer nehmen diese zunehmend in Anspruch. 2016 haben 1,64 Millionen Mütter und Väter Elterngeld bezogen, das im Normalfall 12 Monate lang gezahlt wird. 28 Prozent aller Antragsteller bezogen 2017 sogar das inzwischen eingeführte, für 24 Monate ausgezahlte Elterngeld-Plus. Eine Mitgliederbefragung der IG Metall stellte fest, dass 59 Prozent der Beschäftigten kürzer arbeiten wollen. Die einigende Wirkung des gemeinsamen Kampfs um die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich ist deshalb so bedeutend. Sie schließt nicht nur Arbeitende und Arbeitslose, Stammarbeiter und Leiharbeiter zusammen, sie bezieht auch die ganzen Familien und Partner mit ein.
Arbeits- und Lebensverhältnisse bilden in der Gesellschaft eine Einheit und sind nicht zu trennen. Wenn die Arbeit der Ausbeutung und Profitmacherei dient, dann sind dem auch die Lebensverhältnisse untergeordnet. Damit der Mensch in der Arbeitswelt und im gesamten gesellschaftlichen Leben im Mittelpunkt steht, muss jedoch der Kapitalismus abgeschafft und eine sozialistische Gesellschaft errichtet werden. Gerade auch diese Frage wird durch den Kampf um die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich aufgeworfen.
Nach der Oktoberrevolution in Russland wurde die Ausbeutung durch die Lohnarbeit abgeschafft, die Befreiung der Frau zielstrebig in Angriff genommen. Frauen erhielten nicht nur die gleichen Rechte wie die Männer – das war selbstverständlich. Sondern: Auch Fragen wie Kindererziehung, die Pflege Kranker, Altersversorgung usw. wurden Schritt für Schritt gesellschaftlich organisiert, um damit die Familie und vor allem die Frauen zu entlasten.
Unsere Kraft ist die Organisiertheit
Die Stärke der Arbeiterklasse ist ihre Zahl, ihre Organisiertheit. Die MLPD tritt für starke Einheitsgewerkschaften als Kampforganisationen ein. Fast 80 Prozent ihrer Mitglieder arbeiten aktiv und vorwärtstreibend in den Gewerkschaften. In diesen Tarifrunden ist es besonders wichtig, die gewerkschaftliche Kraft zu stärken – insbesondere auch im Osten, wo der Organisationsgrad oft noch viel zu niedrig ist. Dazu müssen die Kolleginnen und Kollegen aber auch merken, dass die Gewerkschaften Kampforganisationen sind.
Doch viele Fragen und Diskussionen gehen längst weit über den gewerkschaftlichen Kampf und Lohnprozente hinaus. Sie drehen sich um eine gesellschaftliche Alternative – ein System ohne Ausbeutung und Unterdrückung, ohne Zerstörung der natürlichen Umwelt, ohne Armut und ohne die vielfachen Gründe für Massenflucht. Jede Kollegin, jeder Kollege, der es leid ist, jedes Jahr erneut um Prozente kämpfen zu müssen, der heute zielgerichtet und zukunftsweisend kämpfen, als Arbeiter dazulernen und grundsätzlich etwas ändern will – der ist in der MLPD am richtigen Platz.
In den Betriebsgruppen der MLPD befähigen sich die Mitglieder gemeinsam, immer besser durchzublicken und klaren Kurs zu halten. Jetzt, in der Tarifrunde, beraten sie, wie es gelingt, die Gewerkschaften zu Kampforganisationen zu machen, neue Kräfte einzubeziehen und auch die MLPD zu stärken. In den Gewerkschaften ist zu klären, wie die Forderungen durchgesetzt, Warnstreiks organisiert, 24-Stunden-Streiks und ein unbefristeter Streik vorbereitet werden. So werden zum Beispiel in einigen Betrieben die Warnstreiks von Verantwortlichen der IG Metall lediglich als „Frühschluss“ organisiert, oder 24-Stunden-Streiks als „freie Tage“ – statt als gemeinsame Kampfaktion der Belegschaft. Die Co-Manager in der IG Metall wollen die zunehmende Politisierung der Belegschaften vermeiden, die damit verbunden wäre. Aufgrund der jahrzehntelangen Streikvermeidungstaktik der rechten Gewerkschaftsführung haben viele Kolleginnen und Kollegen noch nie gestreikt, andere seit langem nicht mehr. Nutzen wir die Vorbereitung und Durchführung der 24-Stunden-Streiks als Generalprobe für eine schrittweise Ausweitung der Kampfaktionen! Dazu gehört, die Streikschicht gemeinsam an den Toren zu verbringen, auch Unorganisierte einzubeziehen und für die Gewerkschaft zu gewinnen. Streikposten an den Toren haben die Aufgabe, Streikbrecher von der Teilnahme zu überzeugen und zu verhindern, dass Waren das Werk verlassen. Besuche von Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn, Bekannten – das stärkt den Zusammenhalt.
Auf die Provokation von Gesamtmetall kann es jetzt nur eine Antwort geben: Kurs auf Urabstimmung und Streik – bis die Forderungen durchgesetzt sind! Kampf um ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht!