Rote Fahne 01/2018
Kostenexplosion bei Stuttgart 21, vergiftete Atemluft – und kein Ende ...
Acht Milliarden Euro, inklusive Risikopuffer, soll das Großprojekt Tunnelbahnhof Stuttgart 21 jetzt kosten. Beim Start waren es noch 2,5 Milliarden.Mit bekannter Betrugs- und Salamitaktik geht’s nach oben
Jeder weiß es: Die Prognose der Verkehrsplaner Vieregg-Rößler und des Bundesrechnungshofes steht längst bei zehn Milliarden Euro. Nur CDU, SPD, Grüne und die Bahnchefs ignorieren das öffentlich, um sich bei jedem neuen Crash empört zu geben. In Wirklichkeit nehmen sie das im Interesse der beteiligten Konzerne in Kauf. Ihre eigenen Pensionen sind eh sicher.
Ein Ende des Bau-Chaos ist nicht abzusehen: fehlende Baugenehmigungen, ungelöste und neue Brandschutzprobleme, der Flughafen Berlin lässt grüßen – vielleicht wird’s 2025.
Bei Feinstaub und Stickoxid in der Atemluft gibt es – wie in vielen Städten – keine Entwarnung. Von der freiwilligen Software-Nachrüstung bei Dieselmotoren spüren die Menschen und Messstationen nichts. Das Stuttgarter Gerichtsurteil von 2017 verlangt, den Stickoxidgrenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel einzuhalten. Dazu die Deutsche Umwelthilfe (DUH): „Die Landesregierung muss jetzt entscheiden, was wichtiger ist: Die Gesundheit der Menschen oder die Interessen von Daimler und Bosch.“ Immerhin sterben in Deutschland allein wegen der hohen Stickoxidbelastung (in Stuttgart 82 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft) rund 10.000 Menschen vorzeitig, etwa dreimal so viele wie Verkehrstote. Ab Januar müssen per Gericht zumindest bei Feinstaubalarm Fahrverbote als schnell wirkende Maßnahme erfolgen. Daimler-Versteher Winfried Kretschmann, grüner baden-württembergischer Ministerpräsident, wird das nicht tun.
Die Konzerne verweigern die kostenlose Nachrüstung von SCR-Katalysatoren. Beim kriminellen Abgasbetrug kommen die Machenschaften des Autokartells ans Licht. Die Diktatur der Monopole wird zunehmend offenbar – und die Unterordnung der Staatsorgane und Regierungen unter deren Interessen.
Ist dasselbe Kartell nicht auch bei Stuttgart 21 der Hauptprofiteur, mit Open End? Wen verwundert es da, wenn die Kanzlerin, ihre Autominister und die Marionetten im Bahnaufsichtsrat die Milliarden durchwinken? Nun hat der Gemeinderat beschlossen, Stuttgart zur „Mobilitätsinnovationsstadt der Welt zu machen“ – in Stuttgart bäckt man schließlich keine kleinen Brötchen.
Alle reden von der notwendigen Verkehrswende. Aber der steht Stuttgart 21 im Wege. Mit dem Megaprojekt wird die Bahnkapazität um 43 Prozent verringert. Dadurch ist mit zusätzlichem Autoverkehr von 580 Millionen Fahrkilometern pro Jahr zu rechnen.
„Mobiles Baden-Württemberg – Wege der Transformation zu einer nachhaltigen Mobilität“ ist der Titel einer Studie des BUND für die BW-Stiftung. Um die Klimaziele zu erreichen, sagen die Forscher, muss die Privilegierung des Autos beendet werden. Bis 2050 muss in der Autostadt Stuttgart der Autoverkehr um 80 Prozent verringert werden. Die Alternative sind öffentlich zu nutzende Elektro-Verkehrsmittel aller Art. Da wären die zehn Milliarden Euro für Stuttgart 21 sinnvoll und arbeitsplatzschaffend eingesetzt. So kann eine Stadt auch lebenswerter werden.
Doch mit Stuttgart 21 wird der Vorrang des Autoverkehrs für die nächsten 100 Jahre betoniert. Denn jener Vision steht das internationale Finanzkapital entgegen: Unter den 21 größten Übermonopolen der Welt sind allein zehn Auto- und Ölmultis. So postete die Kanzlerin: Verbrennungsmotoren werden noch bis ans Ende des Jahrhunderts gebraucht – gemeinsam legen sie die Schlinge um den Hals der Erde.
Um einen echten Paradigmenwechsel zu erreichen, wird eine „Transformation“ des Gesellschaftssystems erfolgen müssen: vom Profitsystem des Kapitalismus zur gesellschafts– und umweltverantwortlichen Planung im Sozialismus. Kretschmann und der grüne OB Fritz Kuhn wagen zu behaupten, es gäbe keine Alternative zu Stuttgart 21. Eine dreiste Lüge.
Die Zeit ist reif, Stuttgart 21 sofort zu beenden. Bisher sind „nur“ etwa 2,3 Milliarden Euro verbaut. Als Ausstiegskosten kämen noch 0,9 Milliarden dazu. Die meisten Bauwerke können bei dem bekannten Alternativ-Konzept „Umstieg 21“ so genutzt werden, dass der öffentliche Nah- und Fernverkehr massiv ausgebaut wird. Die gebohrten Tunnelröhren können für die Logistik der Stadt mit Elektro-Lkw oder für Express-Buslinien genutzt werden. Sogar die Neubaustrecke nach Ulm kann problemlos eingebunden werden, die letzte Begründung für den Tunnelbahnhof löst sich in Luft auf.
Die entscheidende Forderung ist der Nulltarif im öffentlichen Nahverkehr. In Tallinn/Estland gibt es den erfolgreich seit 2013, gut auch für ärmere Familien. Wer soll das bezahlen? Der Verband der deutschen Verkehrsunternehmen hat errechnet, dass 2013 der öffentliche Nahverkehr bundesweit etwa 12 Milliarden Euro im Jahr kostete. Dagegen werden Steuersubventionen für Dienstwagen, Dieselsprit und Flugbenzin von jährlich 22 Milliarden Euro vertan. Als Sofortmaßnahme fordern wir: Umwelt-Jahresticket für 365 Euro. In Wien ist dies eine Erfolgsstory.
Info
Protestaktionen:
- Antifeinstaubdemo am 11. Januar um 18 Uhr am Neckartor Stuttgart
- 400. Montagsdemo gegen S 21 am 15. Januar um 18 Uhr am Bahnhof