Rote Fahne 25/2017
Tarifrunden: Kampfansage gegen Flexi-Zeit und Rechtsruck der Regierung!
Die anstehenden Tarifrunden für insgesamt 6,2 Millionen Beschäftigte der Metallindustrie, des Bundes und der Kommunen bekommen eine besondere Brisanz durch die offene politische Krise in Verbindung mit den bisher kläglich-vergeblichen Versuchen, eine Bundesregierung zu bilden.
In der Metallindustrie haben die Verhandlungen bereits begonnen, für die Beschäftigten bei VW beginnen sie im Dezember und für die Beschäftigten des Bundes und der Kommunen im Februar 2018.
Tausende Kolleginnen und Kollegen bei Siemens, thyssenkrupp Stahl, Air Berlin oder Opel beteiligten sich an Protestaktionen gegen die Vernichtung ihrer Arbeitsplätze. Sie signalisieren eine wachsende Kampfbereitschaft in den Betrieben und eine Belebung der gewerkschaftlichen Kämpfe. Vor allem in Ostdeutschland besteht eine große Bereitschaft und Entschlossenheit, endlich die Angleichung bei Lohn und Arbeitszeit zwischen Ost und West durchzukämpfen! Diese Kämpfe stehen oft im engen Zusammenhang mit der Arbeit der MLPD und ihrer Betriebsgruppen. Bürgerliche Parteien und Monopole befürchten, dass diese linke revolutionäre Richtung unter den Arbeiterinnen und Arbeitern weiter an Einfluss gewinnt. Das Grundproblem der Regierungsbildung in Berlin ist, wie weit die bürgerlichen Parteien nach rechts rücken können, ohne Gefahr zu laufen, dass ihre Massenbasis massiv einbricht und vor allem die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Plan treten.
Schon lange fordern die Monopolverbände die Abschaffung des 8-Stunden-Tags. Außerdem soll die Ruhezeit zwischen zwei Schichten von jetzt elf auf neun Stunden verkürzt werden. Das ist eine zentrale Forderung an die neu zu bildende Regierung. CDU und FDP wollten diese Forderungen bei den Verhandlungen zur Jamaika-Koalition festschreiben. Das stieß sofort bei allen Auftaktkundgebungen zur Metall-Tarifrunde auf Empörung und Protest. „Wofür unsere Großväter gekämpft haben, lassen wir uns nicht nehmen“ – so der einhellige Tenor! Die Belebung der Arbeiterkämpfe ist sicher mit ein Grund, dass diese Pläne bisher nicht umgesetzt wurden.
Mit kantigen Sprüchen, jetzt „Opposition“ zu machen, und durch Auftritte auf Protestkundgebungen bei Siemens und den Stahlarbeitern, versucht die SPD, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Was davon allerdings zu halten ist, zeigt die wachsende Bereitschaft, zusammen mit der CDU/CSU wieder in einer Großen Koalition die Geschäfte des internationalen Finanzkapitals zu führen.
Bei den anstehenden Tarifrunden geht es deshalb nicht um ein immer ähnliches Ritual, sondern sie sind hochpolitisiert: Der Kampf richtet sich auch gegen die Abschaffung des hart erkämpften 8-Stunden-Arbeitstages und gegen eine unbegrenzte Flexibilisierung der Arbeit. Sie wird von vielen Arbeiterinnen und Arbeitern zu Recht als Gelegenheit gesehen, weitere Rechnungen mit „denen da oben“ aufzumachen. Die Tarifrunden sind vor allem eine hervorragende Chance, die Organisiertheit der Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung nachhaltig zu stärken.
Forderungen – mehr als berechtigt!
Kaum hat die IG Metall ihre Forderung nach Lohnerhöhung von sechs Prozent und einer Option zur Verkürzung der Arbeitszeit aufgestellt, warnen die Metall-Verbände vor „einer tarifpolitischen Geisterbahnfahrt“. Stattdessen haben sie am ersten Verhandlungstag Gegenforderungen vorgelegt: Ausdehnung der Arbeitszeit, Beschränkung der Zeitzuschläge, Ausweitung der Befristung von Verträgen und anderes.1 Das zeigt, dass die Kolleginnen und Kollegen sich auf eine harte politische Auseinandersetzung einstellen müssen.
* Die Lohnforderung ist mehr als berechtigt. So sind die Preise für Nahrungsmittel um 4,3 Prozent gestiegen – bei Butter gar um 54 Prozent2. Noch mehr reißen die Erhöhungen für Heizöl und Benzin sowie Mieten ein Loch in den Geldbeutel.
* Die Möglichkeit, für zwei Jahre die Arbeitszeit bis zu 28 Stunden zu verkürzen mit dem Recht auf Rückkehr, kommt vielen Kolleginnen und Kollegen entgegen. Diese individuelle Arbeitszeitverkürzung hat aber nichts zu tun mit einer allgemeinen Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich im Kampf gegen die Arbeitsplatzvernichtung, steigende Ausbeutung und Flexibilisierung.
Kampf der Flexibilisierung
Die Arbeitszeit spielt vor allem in der Metalltarifrunde eine zentrale Rolle. Der Kampf um die Arbeitszeit ist so alt wie die kapitalistische Ausbeutung. Um den Profit zu steigern, waren die Kapitalisten immer an der Ausdehnung des Arbeitstages interessiert. Dies wird heute von den Monopolen auf die Spitze getrieben. Die Gründe liegen in der von Karl Marx aufgedeckten Gesetzmäßigkeit des „tendenziellen Falls der Profitrate“. Was ist damit gemeint?
Das Gesetz der Konkurrenz zwingt die Konzerne zur Steigerung der Arbeitsproduktivität mit immer neuen Anlagen und Maschinen. Die Folge: Das Verhältnis des variablen Kapitals (Arbeitskräfte) zum konstanten Kapital (Maschinen etc.) verschiebt sich zugunsten des letzteren. Weil aber nur die Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft Mehrwert schafft, wird das Verhältnis von Profit und eingesetztem Kapital für den Kapitalisten tendenziell immer ungünstiger. Um dem Sinken der Profitrate entgegenzu- wirken, müssen die Kapitalisten den Ausbeutungsgrad der Arbeit „durch Verlängerung des Arbeitstags und Intensifikation der Arbeit“3 erhöhen, schrieb Marx in „Das Kapital“. Diese Steigerung der Ausbeutung bekommen die Kolleginnen und Kollegen tagtäglich zu spüren – doch in den Betrieben wächst der Widerstandsgeist. In der E-Klasse-Montage bei Daimler in Sindelfingen fehlte vorne und hinten Personal, so dass den Kolleginnen und Kollegen keine Freischichten mehr genehmigt wurden. Das war der Auslöser für zwei im wesentlichen erfolgreiche selbständige Kampfmaßnahmen für mehr Personal!
Die IG-Metall-Führung lehnt eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung ab und den vollen Lohnausgleich sowieso. Sie vertritt wie ihr Vorsitzender Jörg Hofmann den Standpunkt: „Im Grundsatz ist gegen die Flexibilisierung nichts einzuwenden.“ Damit signalisiert er, dass er als „Gegenleistung“ für eine individuelle Verkürzung der Arbeitszeit auch eine Flexibilisierung „nach oben“ akzeptiert, wie sie von den Monopolen gefordert wird. Außerdem ist der IG-Metall-Vorstand davor eingeknickt, die Angleichung der Arbeitszeiten in Ost und West in der Tarifrunde durchzusetzen. Das stößt vor allem in Ostdeutschland auf breiten Protest und Unzufriedenheit.
30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich!
Angesichts der Arbeitslosigkeit und der Arbeitsplatzvernichtung als Folge von Fusionen ist die Forderung nach einer 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich hochaktuell! Die offizielle Arbeitslosigkeit lag im Oktober bei 2,4 Millionen Menschen. Dabei sind unter anderem die etwa eine Million „Unterbeschäftigten“ nicht mitgerechnet. Zugleich wurden 821 Millionen bezahlte und 941 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet4. Treffend formulierte Friedrich Engels: „So kommt es, dass die Überarbeitung der einen die Voraussetzung wird für die Beschäftigungslosigkeit der andern.“5
Und dabei steht die internationale Strukturkrise – im Zusammenhang mit der Einführung der Elektromobilität – erst noch bevor. Laut Münchner ifo-Institut sind dadurch mehr als 600 000 der heutigen Industriearbeitsplätze „direkt oder indirekt“6 gefährdet.
Mit der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich könnten rechnerisch acht Millionen Arbeitsplätze erhalten oder geschaffen werden. Sie ist längst durch die Arbeiterinnen und Arbeiter finanziert. So stieg die Produktivität in der Metallindustrie in den letzten 25 Jahren um 33 Prozent.6
Die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich zielt auf die Stärkung der Einheit der gesamten Arbeiterklasse ab:
* Gegen die nach 27 Jahren immer noch stattfindende ungleiche Bezahlung und Arbeitszeit in Ost und West!
* Gegen die Spaltung in festeingestellte Arbeiter, Leiharbeiter, Befristete oder Werkverträgler! Gegen die Spaltung in verschiedene Konzerne, Branchen und Länder!
* Für die Einheit von Jung und Alt!
Ein solcher Kampf muss zu einer Schule des Klassenkampfs werden. Der Kampf um die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich in den 1980er-Jahren hat Arbeitsplätze erhalten und die Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung gestärkt. In der Zwischenzeit haben die Kapitalisten diesen Erfolg schrittweise ausgehöhlt. So wichtig und notwendig der Kampf um Reformen ist: er ändert nichts Grundsätzliches an der Diktatur der Monopole. Warum die wachsende Produktivität und der gesellschaftliche Fortschritt nicht den Produzenten zugutekommen, in Einklang mit der Natur – darüber verstärkt sich die Auseinandersetzung in der Arbeiterbewegung. Ist es denn ein ehernes Gesetz, dass die Monopole die Produktionsmittel besitzen und sich alle Werte aneignen, während die Arbeiter und Angestellten gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um mit ihren Familien zu überleben? Das ist es nicht! Das Gesellschaftssystem kann revolutionär verändert werden. Die Arbeiterklasse, insbesondere das internationale Industrieproletariat, sind dabei die Hauptkraft. Dazu brauchen sie die Führung durch eine revolutionäre Partei. So ein Kampfstab waren die Bolschewiki unter der Führung Lenins in Russland. In der Oktoberrevolution vor 100 Jahren haben die russischen Arbeiterinnen und Arbeiter im Bündnis mit den Bauern die Diktatur der Ausbeuter gestürzt. Mit der Eroberung der Macht war der Weg frei für den Aufbau des Sozialismus. Eine der ersten Maßnahmen der Sowjet-Regierung war die Einführung des 8-Stunden-Tages. Kein Wunder, wenn dagegen massiv gehetzt wird, und wenn Kolleginnen und Kollegen, die dafür eintreten, Repressionen ausgesetzt sind!
Der Weg der Oktoberrevolution stellt sich angesichts der krisenhaften Entwicklung des imperialistischen Weltsystems heute auf neuer Stufe – als Kampf für die internationale sozialistische Revolution.
IG-Metall-Basis für „richtigen Streik“
Die IG Metall mit 2,3 Millionen Mitgliedern und dem höchsten Organisationsgrad, vor allem in der Autoindustrie, ist ein „Riese“ – leider ein noch „schlafender Riese“. Der letzte Tarifflächenstreik liegt 15 Jahre zurück. Darüber gibt es breite Unzufriedenheit. Es ist sehr bedeutend, dass immer mehr Gewerkschaftsmitglieder von der Basis selbst Verantwortung und Initiative für den Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft übernehmen – statt auf das Kampfsignal der IG-Metall-Führung zu warten oder sich aus Enttäuschung zurückzuziehen. Die gewerkschaftlichen und selbständigen Kämpfe sind eine hervorragende Chance nicht nur in Ostdeutschland, neue Mitglieder für die Gewerkschaft zu gewinnen und mit einer Denkweise fertigzuwerden, dass irgend jemand einem die Kohlen aus dem Feuer holt. Dazu gilt es, aktiv zu werden für den vollen Einsatz der gewerkschaftlichen Kampfkraft durch: eine kurze, schlagkräftige Mobilisierungsphase mit öffentlichkeitswirksamen, gemeinsamen Warnstreiks, die breite Durchführung von 24-Stunden-Warnstreiks Anfang des Jahres und danach Urabstimmung und unbefristeter Flächenstreik!
Mit ihrer Politik des Co-Managements hat die IG-Metall-Spitze ein Bündnis „Zukunft für Industrie“ zusammen mit dem Unternehmerverband BDI und der Regierung initiiert. Dieses hat die Aufgabe, „alle Kräfte zu bündeln, mit dem Ziel, die Stärke der deutschen Industrie für die Zukunft weiterzuentwickeln und im gemeinsamen Dialog Lösungen zu erarbeiten und umzusetzen.“7
Die Monopole üben mithilfe ihres Staates die politische Macht aus. Wie sollen da mit einem gleichberechtigten „Dialog“ die Interessen der Arbeiterklasse durchgesetzt werden können? Und haben die Rekordprofite bei Siemens etwa den Vorstand von der Planung, fast 7000 Arbeitsplätze zu vernichten, abgehalten? Das Märchen, dass es den Arbeitern dann gut gehe, wenn es dem Konzern gut geht, glaubt doch keiner mehr! Die Klassenzusammenarbeit ist eine Illusion und Verrat an den Arbeiterinteressen.
Gute Voraussetzungen für kämpferische Tarifrunden
Die IG-Metall-Tarifrunde kann und muss zum Auftakt und Signal für ein kämpferisches Jahr der Arbeiterklasse und der breiten Massen 2018 werden! Dazu ist der Schulterschluss der Metaller mit der fast zeitgleichen Tarifrunde von ver.di wichtig. Außerdem die Durchdringung mit den gewerkschaftlichen und selbständigen, branchenübergreifenden Kämpfen in den Betrieben gegen die Arbeitsplatzvernichtung. Gegenüber der angeschlagenen Regierung muss gefordert werden: Schutz des 8-Stunden-Tages, für ein vollständiges und allseitiges gesetzliches Streikrecht.
Konsequente Tarifrunden und betriebliche Kämpfe gegen die Arbeitsplatzvernichtung zu führen, das erfordert auch starke und neue Betriebsgruppen der MLPD. Die MLPD-Betriebsgruppen stehen nicht nur für den Einsatz der Gewerkschaft als Kampforganisation, sie verfügen nicht nur über das Know-how selbständiger Kämpfe, sie stehen für den Kampf um eine grundsätzliche Perspektive – die vereinigten sozialistischen Staaten der Welt!
Dabei die Organisiertheit der Gewerkschafts- und revolutionären Arbeiterbewegung nachhaltig zu stärken, kann die offene politische Krise der Herrschenden vertiefen und die Herausbildung von Faktoren zum Übergang in die Arbeiteroffensive auf breiter Front fördern!