Rote Fahne 22/2017

Rote Fahne 22/2017

„Wir sind nicht mehr bereit, so weiterzuarbeiten wie bisher“

Interview mit dem ver.di-Sekretär Michael Quetting, Saarbrücken, zu den Hintergründen der Tarifauseinandersetzung Entlastung in den Kliniken

„Wir sind nicht mehr bereit, so weiterzuarbeiten wie bisher“
Ottweiler Kolleginnen und Kollegen solidarisch mit den Streiks bei der Charité Berlin. Foto: Foto: ver.di Saar Trier

Rote Fahne: Worauf führst du die gewachsene Kampfbereitschaft der Klinikbeschäftigten zurück?

 

Michael Quetting: In den letzten Jahren sind neue Kräfte in die gewerkschaftlichen Auseinandersetzungen einbezogen worden. Und zwar in Bereichen mit klassischen Frauenberufen. Die Bereitschaft, nicht mehr alles hinzunehmen, sich zu wehren, hängt stark damit zusammen, dass die Belastungen vor allem für die Pflegekräfte so hoch sind, dass sie schlichtweg nicht mehr können, am Ende sind. Die Personalnot in den Krankenhäusern hängt mit der Unterwerfung des Gesundheitswesens unter den Markt zusammen. Man könnte sagen, wenn das Krankenhaus zur Fabrik gemacht wird, dann werden sich die Beschäftigten auch wie Arbeiter verhalten.

 

Wie erklärst du dir, dass der Personalschlüssel in Deutschland im Vergleich zu andern Ländern so schlecht ist? In Deutschland kommen auf eine Pflegekraft 13 Kranke, in den USA sind es nur 5,5.

 

Das haben die in den USA auch nicht freiwillig gemacht. In Deutschland gab es bis 1996 die Pflegepersonalregelung (PPR). Diese wurde vom damaligen Gesundheitsminister Seehofer außer Kraft gesetzt und 1997 ganz abgeschafft. Eine gesetzliche Regelung ist aber dringend nötig, wenn wir die Gesundheit ins Zentrum stellen wollen. In Deutschland wurde mit dem DRG-System, also der Einführung der Fallpauschalen, eine ökonomische Logik geschaffen, die den Rahmen vorgibt und scheinbar objektiv zum Personalabbau führt. Die Krankenhäuser brauchen immer mehr Patienten und Fälle, um zu überleben. Sie verdienen nicht an der Gesundheit, sondern an der Krankheit. Das wäre genauso, wenn man die Feuerwehr nach der Zahl der gelöschten Brände bezahlen würde. Die Unterordnung unter das Rentabilitätsprinzip der Krankenhäuser führt dazu, dass die Krankenhäuser am meisten verdienen, deren Kosten niedriger sind als die anderer Krankenhäuser. Und am meisten kann man die Personalkosten reduzieren und die sogenannten Lohnnebenkosten, damit die Unternehmer weniger bezahlen müssen. Die Folgen spüren die Beschäftigten, die Kranken – und eben auch alle Lohnabhängigen. Gesundheitskosten sind Teil der Reproduktionskosten der Ware Arbeitskraft. Wenn sie gesenkt werden, dann senkt sich insgesamt der Wert der Arbeitskraft. Deshalb hat unsere Auseinandersetzung um den Personalschlüssel eine gesamtgesellschaftliche Dimension! Deshalb hatten wir im Januar 2016 den Saarbrücker Appell ins Leben gerufen, den 5500 Bürgerinnen und Bürger, insbesondere sehr viele Betriebsräte, unterstützen. Auch haben wir mit dem DGB und den Einzelgewerkschaften einen Beistandspakt für die Auseinandersetzungen gegründet. Der hat sich bei den Streiks auch schon bewährt.

 

Wie ist es euch gelungen, die Gewerkschaft zu stärken, die Kampfbereitschaft zu fördern?

 

Wir haben an den Krankenhäusern Betriebsgruppen von ver.di. Unser Vertrauensleutesystem ist allerdings noch ausbaufähig. Vom Streik der Charité haben wir das System der „Tarifberaterinnen“ übernommen – allerdings wäre mir der Begriff „Team-Delegierte“ lieber. Die oder der Team-Delegierte wird von dem betreffenden Team auf der Station gewählt – sie bzw. er muss nicht Mitglied von ver.di sein. Allerdings treten die meisten dann ein. Es gibt ein System der Delegierten auf betrieblicher und auf Landesebene. Wir haben inzwischen im Saarland 572 Tarif-Delegierte bei circa 20.000 Beschäftigten. Alles was wir machen, wird transparent vorbereitet, demokratisch beraten und beschlossen. Mit solch einer Arbeit können wir neue Leute gewinnen und motivieren. Seit Anfang letzten Jahres haben wir 671 neue Mitglieder gewonnen.

 

Was habt ihr in nächster Zeit vor?

 

Wir sind immer noch am Anfang, verhandeln aber an der Uniklinik und bei der Saarland-Heilstätten GmbH. Schwierig ist die Auseinandersetzung mit den kirchlichen Krankenhäusern. Jetzt, am 11. Oktober, hat im saarländischen Ottweiler erstmals in Deutschland ein katholisches Krankenhaus gestreikt. Das kann nicht hoch genug bewertet werden. Wir führen die Auseinandersetzung bundesweit auf drei Ebenen. In 20 Krankenhäusern will ver.di einen Tarifvertrag für Entlastung und mehr Personal durchsetzen – das machen wir dort, wo wir auch streikfähig sind. In 80 Krankenhäusern wollen wir betrieblich die Auseinandersetzung so führen, dass freiwillige Leistungen zurückdelegiert, Rechte und Tarifverträge und Schutzverordnungen eingehalten werden. So wollen wir ein „Weiter so“ verhindern.

 

Die dritte Ebene ist die politische Ebene. Wir wollen Druck auf die Landes- und Bundesregierung machen, unverzüglich Festlegungen über Mindestbesetzungen und gesundheitsschützende Maßnahmen zu treffen. Wir sind nicht mehr bereit, so weiterzuarbeiten, wie bisher.

 

Vielen Dank, Michael, und viel Erfolg!