Rote Fahne 17/2017
Es gärt in den Betrieben
Die Geschäftsleitung bei Bosch in Reutlingen hat den Kollegen einen Horrorkatalog vorgelegt zur Steigerung der jährlichen Profite um 220 Millionen Euro – ansonsten drohe die Vernichtung von 2000 Arbeitsplätzen. Die Belegschaft ist empört.
Vertrauensleute der IG Metall organisieren anlässlich eines Richtfestes Ende Juni eine selbständige Protestaktion. Über 300 Kolleginnen und Kollegen beteiligen sich, schreiben ihre Forderungen auf Plakate. Auf der folgenden Belegschaftsversammlung setzen die Beschäftigten nach – worauf die Geschäftsführung ihren Horrorkatalog zunächst zurückzieht. Das wirft ein Schlaglicht auf die Situation in vielen Betrieben. Vor allem in der Autoindustrie, bei ihren Zulieferern und in der Stahlindustrie gärt es.
Bei Ford in Köln fehlen Leute am Band. Die Kolleginnen und Kollegen wollen das nicht länger hinnehmen. Sie bereiten Proteste vor – gemeinsam mit Kollegen, die in Köln das Internationalistische Bündnis1 mitaufbauen. Ein Kollege am Band von VW Wolfsburg berichtet: „Jetzt soll die Taktzeit von 68 Sekunden nochmals herabgesetzt werden. Wenn ich nach Hause komme, bin ich platt.“ Die Überausbeutung belastet auch die Familien, schränkt das soziale und kulturelle Leben ein.
Vor allem unwürdige Behandlung und Rechtlosigkeit der Leiharbeiter ist oft Ausgangspunkt von Protesten und der Forderung nach sofortiger Festeinstellung. Deshalb sind Viele auch sauer über die Novelle des Leiharbeitergesetzes von Andrea Nahles (SPD). Statt die Leiharbeit zu begrenzen und die Rechte der Beschäftigten zu stärken, wird der Zustand zementiert und sogar neue Möglichkeiten geschaffen, die Leiharbeit auszuweiten.
Die Industrieproduktion lag in Deutschland in den ersten fünf Monaten um 2,4 Prozent höher als im Vorjahr. Der Umsatz je Beschäftigtem aber stieg um 4,7 Prozent – fast das Doppelte. Hier zeigt sich die Steigerung der Ausbeutung – den Monopolen noch immer viel zu wenig.
Warum ziehen die Monopole die Daumenschrauben an?
In der neuen Broschüre der MLPD „Über die Herausbildung der neuimperialistischen Länder“ heißt es: „Durch das Aufkommen neuimperialistischer Länder wird das bisherige Gefüge des imperialistischen Weltsystems erschüttert.“ Dies „… hat den weiteren Konkurrenzkampf verschärft, die Labilität der imperialistischen Herrschaft vertieft und … schwächt in der Quintessenz das imperialistische Weltsystem und vertieft die allgemeine Krise des Kapitalismus.“
Früher beherrschten die Stahlmonopole der alten imperialistischen Länder den Weltstahlmarkt.6 Heute hat sich das Gewicht zugunsten der neuimperialistischen Länder verschoben. Das ist auch der Grund, weshalb thyssenkrupp sich vom Stahl trennen will. China produziert heute 50 Prozent des weltweiten Stahl und der größte Stahlkonzern ist der indische Konzern ArcelorMittal. Die Folge ist eine Neuordnung der weltweiten Stahlindustrie – für die die Stahlkonzerne allein in Europa 80 000 Arbeitsplätze vernichten wollen.
Die deutschen Automonopole haben Terrain verloren bei der Entwicklung neuer Antriebstechnologien. Sie haben zweistellige Milliarden-Beträge investiert in die Entwicklung und Produktion von Verbrennungsmotoren. Gleichzeitig sind sie gezwungen, in neue Antriebstechnologien und die Digitalisierung zu investieren. Um die Kosten zu senken, dehnen sie die Produktion aus, gehen noch rücksichtsloser mit der Umwelt um und verschärfen die Ausbeutung.
Das stellt neue Anforderungen an das Klassenbewusstsein der Arbeiterinnen und Arbeiter. Sie müssen vor allem mit der kleinbürgerlich-sozialchauvinistischen2 Denkweise fertigwerden. Sie gibt vor, es sei im Interesse der Arbeiterklasse, für die Betriebsinteressen der im eigenen Land ansässigen Monopole einzutreten. So fordert der Audi-Vorstand auf der Belegschaftsversammlung in Neckarsulm die Belegschaft auf, mitzuarbeiten, mit neuen Modellen neue Märkte zu erobern! Dasselbe machen die Vorstände bei Daimler, BMW … Der Sozialchauvinismus wird zunehmend auch von der rechten Gewerkschaftsführung verbreitet – und verhindert oft den Einsatz der Gewerkschaften als Kampforganisation.
Wie unsinnig und schädlich das ist, zeigt der Blick nach China. Nach der Logik des Sozialchauvinismus müssten die chinesischen Stahlarbeiter die großen Sieger der Schlacht um den Weltmarkt sein. Das Gegenteil ist der Fall. Allein im ersten Halbjahr 2017 wurden dort 600 Stahlwerke geschlossen, Zehntausende Malocher arbeitslos. Aber dem Sozialchauvinismus geht es um noch mehr als ökonomische Standortvorteile. Wenn thyssenkrupp im Verein mit der Bundesregierung und der rechten Gewerkschaftsführung gegen chinesischen Dumping-Stahl mobil macht, wollen sie den deutschen Imperialismus und die imperialistische EU als „soziales, friedenserhaltendes, ökologisches“ Gegenmodell zu den aggressiver auftretenden imperialistischen Konkurrenten darstellen. Aber das Streben der Monopole nach Maximalprofit und Weltmarktbeherrschung kennt keine Grenzen. Die internationalen Übermonopolen und ihre Regierungen aller Imperialisten sind der Feind der internationalen Arbeiterklasse.
Politik zu nahe an der Autoindustrie?
Das Kartell der deutschen Automonopole, seit Jahrzehnten wie eine Geheimloge organisiert, ist heute in aller Munde. Mehr und mehr Menschen fragen sich, „warum die herrschende Politik eigentlich derart nach der Pfeife der Konzerne tanzt“. Liegt es an der „mangelnden Distanz“ der Politik zur Autoindustrie, wie Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) meint? Also – alles nur eine Frage der richtigen Distanz? Von wegen!
„Die hier ansässigen internationalen Übermonopole, die zum allein herrschenden internationalen Finanzkapital gehören, haben sich den Staat vollkommen untergeordnet, und die Organe des Monopolkapitals sind mit den Organen des Staatsapparats verschmolzen. Sie haben ihre allseitige Herrschaft über die gesamte Gesellschaft, auch über andere Monopole und die nicht monopolisierten Kapitalisten, errichtet. Über die Organe der EU nehmen sie Einfluss auf andere europäische Staaten“. Die MLPD hat das als staatsmonopolistischen Kapitalismus in ihrem Programm qualifiziert.
In kaum einer Branche wird diese Diktatur der Monopole so augenscheinlich wie in der deutschen Autoindustrie. Dafür stehen unter anderem Matthias Wissmann, von 1976 bis 2007 Mitglied des Bundestages, von 1993 bis 1998 Bundesverkehrsminister und seit 2007 Präsident des Verbands der deutschen Automobilindustrie (VDA). Eckart von Klaeden war von 2009 bis 2013 Staatsminister im Kanzleramt und ist seit 2013 Cheflobbyist von Daimler. Joachim Koschnicke war von 2005 bis 2011 Planungs- und Kommunikationschef der CDU, von 2013 bis 2017 Vizepräsident für Politik bei Opel und seit 2017 ist er Wahlkampfmanager der CDU. Martin Jäger, seit 2016 Staatssekretär im Innenministerium Baden Württemberg, war schon Referatsleiter im Kanzleramt, bevor er von 2008 bis 2013 Cheflobbyist bei Daimler wurde. Hier geht es nicht nur um Nähe, sondern um ein ganzes System: Vom Personaltausch zwischen Politikern aller bürgerlichen Monopolparteien, Regierungsbeamten und Automanagern, über die den Einsatz von EU-Behörden, der Bundes- und Landesregierung bis in die Kommunen als Dienstleister, die Ausrichtung der bürgerlichen Medien, Kultur, Forschung und Bildung bis hin zum Einsatz des staatlichen Gewaltapparates.
Das Autokartell ist Macht- und Konkurrenzinstrument zugleich. Als zeitlich begrenztes Bündnis gegen ausländische Konkurrenz – so waren Opel/GM und Ford vom Kartell ausgeschlossen. Kartelle sind Disziplinierungsmittel gegenüber Zulieferern oder auch Kampfmittel der Zulieferer. So wurden Mitte Juli drei VW-Zulieferer vom Bundeskartellamt zu knapp zehn Millionen Euro Strafe verurteilt. Die Unternehmen aus der Schweiz, Spanien und dem Sauerland hatten sich abgesprochen, erhöhte Aluminiumkosten an VW weiterzugeben. Jeder im Kartell weiß, was der Konkurrent tut – und kann so verhindern, dass sich einer Vorteile verschafft. So wurde zum Beispiel im Autokartell lange diskutiert, ob Audi der Einbau größerer AdBlue-Tanks gestattet werden soll.3
In solchen – keineswegs auf diese Branche beschränkten – Kartell-Bildungen zeigt sich gleichzeitig ein weiterer Schritt der vollständigen Vergesellschaftung der Produktion – im gesamtnationalen und internationalen Rahmen. Ob ein Auto, ein Kleidungsstück oder anderes hergestellt wird – es ist heute Ergebnis einer auf höchstem Niveau organisierten internationalen Arbeitsteilung, von der Planung über die Produktion, Transport bis zum Verkauf.
Aufgrund der kapitalistischen Produktionsverhältnisse bleibt die Aneignung der Ergebnisse dieser Produktion aber privat – und aufgrund der gesellschaftlichen Leitlinie der Profitmaximierung mit Folge der Konkurrenz untereinander herrscht das blanke Chaos und rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur.
Was wäre möglich, wenn diese hoch planmäßige internationale Produktion der privaten Verfügungsgewalt der Monopole und ihrer Vorstände und dienstleistenden Regierungen entrissen würde? Die Früchte der Produktion könnten dann auch gesellschaftlich angeeignet werden. Die Marxisten-Leninisten sprechen deshalb von einer materiellen Vorbereitung des Sozialismus. Er ist nichts Ausgedachtes, sondern der logische, nächste Schritt in der Menschheitsgeschichte. Aber er erfordert eine revolutionäre Umwälzung der Produktionsverhältnisse.
Nervosität in den Vorstandsetagen wächst
Die Unterstützung der Internationalistischen Liste/MLPD, die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen zum Aufbau der Arbeiterplattform im Internationalistischen Bündnis und das Interesse an der MLPD wachsen. Kollegen wie Siegmar Herrlinger, die sich weder vom Porsche-Vorstand noch von dem rechten Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Uwe Hück den Mund verbieten lassen, erringen Respekt. Auf einer gemeinsamen Veranstaltung in Stuttgart haben Kolleginnen und Kollegen der Autoindustrie, der Automobilarbeiterplattform des Internationalistischen Bündnisses und Vertreterinnen der MLPD einen gemeinsamen 20-Punkte-Forderungskatalog gegen das Autokartell entwickelt.
Diese Entwicklung sorgt für Nervosität in den Chefetagen. „Da braut sich tatsächlich etwas zusammen“, so ein hochrangiger thyssenkrupp-Manager gegenüber der Tageszeitung Welt.4 Deshalb reagieren sie mit zunehmender Unterdrückung. Anfang August verteilten Unterstützer und Mitglieder des VW-Widerstandskomitees von Braunschweig/Wolfsburg an zwei Toren 3000 Exemplare der neuen Broschüre der Arbeiterplattform „Die VW-Krise offenbart die Diktatur der Monopole – dem Übel an die Wurzel“. VW versuchte mithilfe des Werksschutzes und der Polizei das Verteilen zu verhindern – was nicht gelang. Im Betrieb wurden Kolleginnen und Kollegen von Vorgesetzten aufgefordert, an keinem Treffen des Widerstandskomitees teilzunehmen. Bei Opel in Rüsselsheim wird ein kämpferischer Kollege aus politischen Gründen strafversetzt. Immer mehr Personalabteilungen versuchen, das demokratische Recht einer Unterschriftensammlung als „parteipolitische Betätigung“ zu unterbinden. Für sie enden demokratische Rechte am Betriebstor, und wenn es nach ihnen ginge, würde um jedes ihrer Werke noch eine Bannmeile gezogen.
Schützenhilfe bekommen sie von der IG-Metall-Spitze in Wolfsburg. Die startete am 9. August eine Unterschriftensammlung „Es reicht! Volkswagen nicht in Wahlkampf ziehen“. Die Initiatoren um den IG Metall Bevollmächtigten, Hartwig Erb, wollen damit das angekratzte Image der „VW-Familie“ aufpolieren. Sie machen sich den berechtigten Stolz der VW-Belegschaft auf ihre gute Arbeit und die Angst um die Arbeitsplätze zunutze. Dabei ist es gerade bei den Bundestagswahlen wichtig, die politischen Kräfte auf Herz und Nieren zu prüfen: wie sie zum Kampf um die Arbeitsplätze, die Zukunft der Jugend, den Schutz der natürlichen Umwelt und eine lebenswerte Zukunft stehen. Erbs Unterschriftensammlung zielt darauf, wieder den Mantel des Schweigens über die Geheimloge breiten. Damit nur ja kein Verantwortlicher zur Rechenschaft gezogen wird; damit die, die Sache an die Wand gefahren haben, möglichst ungestört weiter schalten und walten können – die, die die Arbeitsplätze vernichten und die VW-Krise auf dem Rücken der Belegschaft austragen.
Selbstveränderung
Die Repressionen sind Ausdruck der Defensive der Monopole – sie sind zugleich auch ein untrügliches Indiz, dass die Monopole und ihre Regierung sich auf härtere Klassenauseinandersetzungen vorbereiten. Auch die Arbeiterklasse muss sich auf diese Verschärfung vorbereiten. Es gärt in den Köpfen vieler Belegschaften. Aber der Organisationsgrad reicht noch nicht aus. Es braucht nicht nur Kampfbereitschaft, sondern auch Kolleginnen und Kollegen die so etwas vorbereiten, die vorangehen, einzelne Aktionen zu größeren zusammenfassen. Es braucht nicht nur starke Gewerkschaften, sondern auch starke Betriebsgruppen der MLPD. Es gilt die Gewerkschaften zu Kampforganisationen machen, aber auch gegebenenfalls den gewerkschaftlichen Rahmen zu durchbrechen.
All das erfordert auch eine Selbstveränderung, eine Bewusstseinsbildung – die Bereitschaft, sich mit den wirtschaftlichen und politischen Hintergründen und Schlussfolgerungen auseinanderzusetzen, mit dem modernen Antikommunismus fertigzuwerden, mit der MLPD auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten.