Rote Fahne 16/2017
Von der VW-Krise zur Geheimloge der Automobilkonzerne
Als im Herbst 2015 die kriminellen Abgasmanipulationen von VW aufflogen, wiesen die anderen Autokonzerne alle Vermutungen weit von sich, sie könnten Ähnliches treiben
Seitdem kam Stück für Stück heraus: Alle Autokonzerne betrügen bei den Abgaswerten und nehmen die gravierenden Folgen für Menschen und Umwelt wissentlich in Kauf. Neuer Höhepunkt sind die Enthüllungen über seit den 1990er-Jahren stattfindende Kartellabsprachen zwischen VW, Porsche, Audi, Daimler und BMW – und wohl auch Bosch. Sie bestätigen, was die MLPD – als einzige Partei in Deutschland – von Anfang an aufgedeckt hat.
In der im April 2016 erschienenen Broschüre der MLPD zur VW-Krise hieß es: „Wer von den anderen Autoriesen einen Sturm der Entrüstung zu VW erwartet hatte, der sah sich getäuscht … Aber bekanntlich hackt nun mal keine Krähe der andern ein Auge aus. Das kann man verstehen – vor dem Hintergrund gemeinschaftlichen Betrugs.“
Und dieser Betrug war detailliert geplant und koordiniert, wie jetzt deutlich wird. In über 60 Arbeitskreisen sprachen die fünf Autokonzerne mit Hauptsitz in Deutschland alles ab: technische Fragen, Lieferanten, Märkte. Eine zentrale Rolle spielte das 1996 in Weissach (Baden-Württemberg) gegründete gemeinsame „Abgaszentrum der Automobilindustrie“ (ADA). Aufgabe des Zentrums: eine „einheitliche Lösung bei der Abgasreinigung“ zu finden. So einigten sich die fünf Vorstände beispielsweise 2010 auf eine einheitliche Größe für den zur Stickoxid-Reinigung benötigten Harnstoff-Tank (AdBlue). Viel zu klein, um die Grenzwerte bis zum Nachfüllen bei der nächsten Inspektion einhalten zu können. Deshalb musste die Einspritzung von AdBlue reduziert werden. Damit dies auf dem Prüfstand nicht auffällt, mussten manipulative Methoden entwickelt werden. Das Land Baden-Württemberg unterstützte die Gründung des ADA mit 7,5 Millionen D-Mark – eine kleine Starthilfe für den kriminellen Abgasbetrug.
Dem Opel-Konzern – er wollte auch an dem Kartell teilnehmen – wurde der Zutritt verwehrt. Damit die technischen Kenntnisse nicht in die USA abfließen – so ein Automanager. Der Geheimbund der deutschen Autokonzerne war vor allem ein Zweckbündnis gegen andere Konkurrenten. Opel beschwerte sich beim Bundeskartellamt. Das kam nach einer Prüfung zu dem Ergebnis, das Abgaszentrum entspreche dem Tatbestand eines Kartells.(1) Trotzdem wurde das ADA „toleriert“, da es „nur für drei Jahre“, also bis 1999, geplant war. Inzwischen existiert es 21 Jahre – mit Genehmigung des Bundeskartellamtes.
Jetzt behaupten die führenden Manager erneut und gebetsmühlenartig, sie hätten von alldem die längste Zeit nichts gewusst. Ein Insider berichtet der Roten Fahne: „Die Ergebnisse der Arbeitskreise wurden direkt an die jeweiligen Vorstände weitergeleitet.“ Auch die Aufsichtsräte waren informiert – so Mitglieder des VW-Aufsichtsrats – und von der internen Revision „umfassend geprüft“ – so der VW-Betriebsrat.(2)
Und bereits 2014 erstattete Daimler „Selbstanzeige“ bei den EU-Behörden und dem Bundeskartellamt, um einer Kartellstrafe zu entgehen. VW zog im Juli 2016 nach. Wenn sich das VW-Management keiner illegalen Kartellabsprachen bewusst war, wie es nach der außerordentlichen Aufsichtsratssitzung vom 26. Juli hieß – warum dann die Selbstanzeige? Bis heute ist noch kein offizielles Verfahren eingeleitet. Man prüfe den Kartellverdacht, heißt es aus Brüssel.
Damit hat die VW-Krise eine neue Qualität erreicht. Die Spitzenkandidatin der Internationalistischen Liste/MLPD im Autoland Baden-Württemberg und Mitglied im Zentralkomitee der MLPD, Monika Gärtner-Engel, sagt dazu: „Das ganze Geflecht aus Autokonzernen, Bundesregierung, EU-Kommission und rechter Gewerkschaftsführung agierte in einem bisher nicht gekannten Ausmaß. Hier muss man schon von einer kriminellen Vereinigung sprechen. Aber auch Staatsanwaltschaften und Gerichte in Deutschland haben bei der Aufklärung entschiedenen Ehrgeiz vermissen lassen. Das ist staatsmonopolitischer Kapitalismus live.“
Die MLPD legt sich seit 2015 als einzige Partei konsequent mit VW und der Bundesregierung an. Sie hat in Zusammenarbeit und gestützt auf Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte aus den Autobetrieben eine Broschüre herausgegeben, von der 80.000 Exemplare vertrieben wurden – vor allem in und vor den Autobetrieben. Jetzt hat die Arbeiterplattform des Internationalistischen Bündnisses mit einer zweiten Broschüre nachgelegt. In der Roten Fahne haben Korrespondenten mit ihrer fundierten Kritik an den Vorständen und den Diskussionen unter den Kolleginnen und Kollegen berichtet. Es wurden die wirtschaftlichen und politischen Hintergründe beleuchtet und Licht in das Gestrüpp der Machtausübung der internationalen Konzerne gebracht. Für diese Zusammenarbeit stehen auch mutige Kollegen wie Siegmar Herrlinger, den Porsche dafür unterdrücken will. Gegen die enger werdende Verbindung mit der MLPD greifen die Vorstände – oftmals auch offenbar verstrickte Betriebsräte – vermehrt zur politischen Unterdrückung kämpferischer und klassenkämpferischer Kolleginnen und Kollegen. Doch dafür erhalten diese auch wachsende Solidarität und Unterstützung.
Die Betriebsgruppen der MLPD zu stärken, ist der beste Beitrag, dem ganzen Dickicht des staatsmonopolistischen Kapitalismus an die Wurzel zu gehen. Jede Kollegin und jeder Kollege kann einen Beitrag dazu leisten, die Arbeiterplattform des Internationalistischen Bündnisses weiter aufzubauen und dafür zu sorgen, dass VW-Krise und Auto-Kartell bei den anstehenden Bundestagswahlen Thema Nr. 1 wird.
(1) § 1 Kartellgesetz: Verboten sind alle Vereinbarungen zwischen Unternehmern, Beschlüsse von Unternehmervereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs bezwecken oder bewirken (Kartelle).
(2) Rheinische Post vom 27.07.2017