Rote Fahne 15/2017
Türkei – Wirtschaftswachstum auf Pump?
Die türkische Wirtschaft wuchs im letzten Jahr um fast drei Prozent und im ersten Quartal 2017 um fünf Prozent. Trotzdem haben Rating-Agenturen die Türkei als Hochrisiko-Land für ausländische Investitionen eingestuft. Was ist da los?
In den letzten zehn Jahren der Erdogan-Regierung verdreifachte sich das Pro-Kopf-Einkommen in der Türkei. Nach der Weltwirtschafts- und Finanzkrise stiegen die ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei an. Die Türkei war eines der Ventile für das überschüssige Kapital der internationalen Übermonopole. Das Bruttoinlandsprodukt der Türkei stieg sprunghaft auf 8,5 Prozent (2010) und 11,1 Prozent (2011), danach ging der Zuwachs wieder zurück und lag bei sechs Prozent (2015) und zuletzt knapp drei Prozent (2016). Der Bestand ausländischer Direktinvestitionen lag 2015 siebenmal so hoch wie im Jahr 2000. Türkische Monopole steigerten 2015 ihren Kapitalexport um mehr als das Zehnfache auf fast 45 Milliarden Dollar. Die Türkei mit ihrer geostrategischen Lage zwischen Europa, Asien und Orient ist zu einem neuimperialistischen Land geworden, das kräftig aufrüstet und auch Kriege führt.
Doch seit dem Putschversuch vor einem Jahr und der Errichtung einer faschistischen Diktatur durch Erdogan gingen die ausländischen Direktinvestitionen in der Türkei um 30 bis 40 Prozent zurück. Damit reagierte ein Teil des internationalen Finanzkapitals auf die zunehmende wirtschaftliche und politische Instabilität der Türkei.
Das Erdogan-Regime fürchtet nun, dass ein wirtschaftlicher Rückschlag seine faschistische Massenbasis gefährdet, und will mit höheren Staatsausgaben die Wirtschaft wieder ankurbeln. Der staatliche Garantiefonds für Kredite wurde von fünf auf 64 Milliarden Euro aufgestockt. Kleinunternehmer bekommen zinsfreie Kredite von bis zu 13 000 Euro. Erdogan übertrug Anteile an Großunternehmen von Turkish Airlines und Turk Telekom im Wert von 180 Milliarden Euro an einen Staatsfonds zur Absicherung von Krediten für staatliche Megabauprojekte. Zusätzlich wurde der gesetzliche Mindestlohn leicht angehoben. Güter des privaten Konsums werden geringer besteuert. Gleichzeitig hat die Regierung die öffentlichen Ausgaben um 6,3 Prozent erhöht.
Trotzdem stieg die offizielle Arbeitslosenquote im Januar 2017 auf 13 Prozent, die offizielle Jugendarbeitslosigkeit liegt bei über 20 Prozent.
Ein Wirtschaftswachstum auf Pump ist künstlich erzeugt und nicht selbsttragend. Es treibt die Staatsverschuldung und Inflation nach oben. Die Inflationsrate kletterte im April auf zwölf Prozent, bei Lebensmitteln und Verkehrskosten lag der Anstieg sogar über 20 Prozent. Das zeigt: Diese nationalstaatlichen Maßnahmen haben nur eine vorübergehende und begrenzte Wirkung – was immer Erdogan auch verspricht.