Rote Fahne 14/2017
G20 in Hamburg Gipfel mit Sprengstoff
Am 7. und 8. Juli rollt die Bundesregierung – allen voran Angela Merkel – den roten Teppich in Hamburg aus. Für manche. Unter den G20-Regierungschefs befinden sich die aggressivsten, reaktionärsten, zum Teil auch faschistischen Machthaber, die derzeit die Welt beherrschen.
Ihnen hat Merkel die Luxushotels der Stadt reserviert: das Vierjahreszeiten (Saudi-Arabien), Recep Tayyip Erdogan (Türkei) bekommt das Sofitel, China logiert im Grand Elysee; für ihren neuen Busenfreund Emmanuel Macron ist das Mövenpick gebucht, und selbst residiert Frau Merkel mit ihrem Tross im Atlantic Kempinski. Zehntausenden, vor allem Jugendlichen, die gegen G20 demonstrieren wollen, möchten der Hamburger Senat und mehrere Gerichtsinstanzen das Campen in Parks der Stadt verbieten.¹ „Um die Grünanlagen und Natur zu schützen“, so die zynische Begründung – zugunsten der größten Umweltverbrecher der Welt. Obdachlose werden aus der Stadt vertrieben. Damit die Herrschenden das Elend nicht sehen, das sie in der Welt anrichten.
Wer sind Merkels Gäste
Nicht große Staatenlenker – sondern die Chefs der 20 größten imperialistischen Räuber sind Merkels Gäste: darunter Recep Tayyip Erdogan, Donald Trump oder der einer hindu-faschistischen Bewegung entstammende Regierungschef Indiens, Narendra Modi. Der Staatschef Chinas, Li Kequiang, ist Vertreter einer der aggressivsten neuimperialistischen Großmächte. Mit Putin kommt ein weiterer imperialistischer Kriegstreiber nach Hamburg.
Wenn sich Merkel mit ihrem neuen Intimfreund, dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, als demokratischen und friedenspolitischen Gegenpol zu ihren Gästen inszenieren will, ist das wenig glaubwürdig. Beide mischen kräftig mit bei der machtpolitischen, ökonomischen – und immer öfter auch militärischen Neuaufteilung der Welt. Dazu treibt auch die EU-Spitze die Militarisierung der EU voran und den Aufbau einer EU-Armee.
Der G20-Gipfel ist das Forum des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals. Und ein Forum zur Durchsetzung seiner Interessen im internationalen Hauen und Stechen der alten wie auch der neu aufstrebenden imperialistischen Mächte. Das allein herrschende internationale Finanzkapital besteht aus den 500 größten internationalen Übermonopolen der Welt. Mit der Herausbildung neuimperialistischer Länder, dem Rückfall alter imperialistischer Länder, vor allem der USA, der Wahl von Donald Trump und dem Rechtsruck zahlreicher imperialistischer Regierungen bekommt der internationale Konkurrenzkampf mehr und mehr einen neuen Charakter: den eines offenen Schlagabtauschs und der Konfrontation. Das ist die Wurzel des Anstiegs der kriegerischen Auseinandersetzungen. Davon wird auch der G20-Gipfel geprägt sein.
G20 im Dissens
„Der Dissens ist offenkundig“, so Merkel in ihrer Regierungserklärung am 29. Juni. Damit meint sie vor allem die US-Politik und will selbst den sogenannten „freien“ Welthandel verteidigen. Aber Protektionismus und Freihandel sind beides Kampfformen des Finanzkapitals, und sie werden von allen G20-Staaten praktiziert. Merkel erhofft sich vom Gipfel „ein klares Signal für offene Märkte“. Tatsächlich rief die deutsche Regierung vor wenigen Monaten noch selbst am lautesten nach Schutzzöllen „gegen chinesischen Stahl“. Merkel gibt vor, friedlicher und demokratischer zu sein als die US-Regierung. Aber der russische Revolutionär Lenin schrieb bereits 1917 über diesen angeblichen Widerspruch: „Wenn Deutschlands Handel mit den englischen Kolonien sich schneller entwickelt als der Englands, so beweist das lediglich, dass der deutsche Imperialismus frischer, kräftiger, organisierter ist und höher steht als der englische. Es beweist aber keineswegs die ‚Überlegenheit‘ des freien Handels, denn hier kämpft nicht Freihandel gegen Schutzzollsystem und koloniale Abhängigkeit, sondern Imperialismus gegen Imperialismus, Finanzkapital gegen Finanzkapital. … Daraus ein ‚Argument‘ für Freihandel und ‚friedliche Demokratie‘ zu konstruieren ist eine Plattheit, heißt die Grundzüge und Haupteigenschaften des Imperialismus vergessen, heißt an Stelle des Marxismus spießbürgerlichen Reformismus setzen.“²
Streit gibt es auch um Trumps provokativen Ausstieg aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Dabei hat er vor allem seine darniederliegende Fracking-Industrie, die Gas- und Ölförderung im Sinn. Die EU und China setzen dagegen auf das völlig unzureichende Klimaschutzabkommen. So wollen sie darüber hinwegtäuschen, dass keiner von ihnen bereit ist, wirksam etwas gegen die drohende weltweite Umweltkatastrophe zu unternehmen.
Einig wiederum sind sich EU und USA darin, ihre Machtinteressen gegen Russland auszudehnen. Der gemeinsame Boykott gegen Russland bleibt aufrechterhalten. Die Nato rüstet an Russlands Außengrenzen auf. In Syrien und der Ukraine sind gefährliche Brandherde entstanden für einen möglichen III. Weltkrieg. Dazu trägt bei, dass das imperialistische Russland nicht bereit ist, seine Machtinteressen in diesen Regionen freiwillig aufzugeben.
Diese Gipfel sind auch immer der Ort, um am Rande, in kleineren und größeren Gruppen, Absprachen zwischen einzelnen Mächten zu treffen.
Aber trotz monatelanger Pendeldiplomatie Angela Merkels rund um den Globus haben sich die Widersprüche unter den G20 insgesamt verschärft. So groß ist der Dissens, dass – wie schon bei den letzten Gipfeln – die Diplomaten befürchten, dass keine gemeinsame Abschlusserklärung der G20 zustande kommt. Doch ob mit oder ohne Abschlusserklärung: Von diesem Gipfel kann keine irgendwie positive Lösung ausgehen.
Denn einig sind sich alle Imperialisten darin – Mauern und Zäune zu errichten gegen die Millionen Flüchtlinge der Welt. Und sie sind sich alle einig im „Kampf gegen den Terrorismus“. Damit meinen sie nicht den religiös verbrämten faschistischen Terror des IS oder anderer reaktionärer Gruppen – denn diese nutzen sie mehr oder weniger alle, als Vasallen in ihren Stellvertreterkriegen. Wenn sie vom „Kampf gegen den Terrorismus“ sprechen, meinen sie: die weltweite Unterdrückung aller Bestrebungen zur Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung, für Demokratie, Freiheit und Sozialismus. Das ist der Grund, weshalb die weltweite Zusammenarbeit von Polizei und Geheimdiensten massiv ausgebaut wird.
Nervosität und Hetze
Spürbar nervös sind die Herrschenden – angesichts der zu erwartenden Massenproteste. Um zu verhindern, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter, die Werktätigen und ihre Jugend gegen G20 massenhaft vereinigen, wird schon seit Wochen durch Polizei und Medien eine ungeheure Hetze entfaltet. Die Hamburger werden mit Schlagzeilen, besonders der beiden großen Zeitungen Abendblatt und Morgenpost, bombardiert: „Terrorgefahr so hoch wie seit 20 Jahren nicht mehr“, „Wie sich die Feuerwehr auf Terrorangriffe vorbereitet“ usw.
Hamburgs Polizeipräsident musste auf Twitter letzte Woche jedoch zugeben, „dass es keine konkreten Terrorhinweise gibt“. Unangenehm auf fiel bisher vor allem das Sauf-, Sex- und Pinkelgelage der Berliner Polizisten, die deshalb sogar aus Hamburg abgezogen werden mussten. Die Sicherheitsleute des faschistischen türkischen Präsidenten Erdogan, für ihre Brutalität gegen Demonstranten bekannt, dürfen sich frei bewegen – fortschrittliche türkische und kurdische Migranten werden als gewalttätig dargestellt.
Die Stimmungsmache bleibt nicht ohne Wirkung. „Ich finde G20 zwar scheiße, aber zur Demo gehe ich nicht. Das ist mir zu gefährlich“, so ein Kollege von Daimler in Hamburg, zwei Wochen vor der Demonstration.
Umarmungsstrategie
Neben der Abschreckung wollen die Herrschenden den Widerstand auch desorientieren, mit Illusionen in die Reformierbarkeit des imperialistischen Weltsystems. Das für den 6. Juli geplante Konzert mit Herbert Grönemeyer, Coldplay und Shakira wird von der Organisation „Global Citizen“ organisiert. Ausdrücklich, um eine grundsätzliche Gewaltfreiheit zu verankern – gegen eine revolutionäre Perspektive. Die Konzertbesucher werden aufgefordert, sich an Mahatma Ghandi und Nelson Mandela ein Beispiel zu nehmen – die jeweils ihren Frieden mit dem Imperialismus machten.
Doch natürlich werden bei dem Konzert viele fortschrittliche Leute sein, weshalb sich auch die Hamburger MLPD mit einer Delegation beteiligt. Aber es muss hellhörig machen, wenn Multimilliardär Bill Gates das Konzert sponsert. Gleich drei G20-Staatslenker – Justin Trudeau (Kanada), Mauricion Macri (Argentinien) und Erna Solberg (Schweden) wollen das Konzert besuchen. Das ist ganz im Sinne von Global Citizen, die um Vertrauen in die Imperialisten wirbt: „Die Bevölkerung der Welt muss Druck auf ihre Entscheider aufbauen, damit diese die notwendigen Maßnahmen ergreifen.“
Eine Strategie, die, seit es den Imperialismus gibt, noch nie funktionierte – und seit dem Rechtsruck vieler Regierungen immer absurder ist.
Trotzdem äußerte sich auch die Hamburger DGB-Vorsitzende Katja Karger in diesem Sinne: „Mir ist es lieber, dass die alle miteinander reden, als dass sie sich beschießen.“ Der DGB rief denn auch bereits für den 2. Juli zu einer eigenen, separaten Demonstration. Aber Krieg und Diplomatie waren für die Imperialisten immer zwei Seiten des Kampfs um die Weltherrschaft. Mit der Separat-Demo geht es wohl eher darum, dass sich die kämpferische Jugendrebellion und die Aktivität der Arbeiterklasse nicht vereinigen und die Arbeiter keine führende Rolle wahrnehmen sollen. Umso besser, dass verschiedene Jugendgruppen der IG Metall auf jeden Fall an der großen Demo am 8. Juli teilnehmen werden.
Vielfältiger Protest
30 Demonstrationen sind in Hamburg geplant, verschiedenste Protestformen, Aktionen und Blockaden, Veranstaltungen, Kongresse, Kulturevents. Schülerinnen, Schüler und Studierende planen in der Woche vor dem G20-Gipfel Unterrichts- und Vorlesungsboykotte. Die Jugend rebelliert für ihre Zukunft und wird sich ihr Recht, in der Stadt zu übernachten, nicht nehmen lassen. Höhepunkt ist die internationale Großdemonstration am Samstag, den 8. Juli.
Umweltschützer sind dabei. Stahl-, Hafen- oder Automobilarbeiter kommen, um gegen die Verschärfung von Ausbeutung und Unterdrückung in ihren Betrieben zu demonstrieren. „G20, da treffen sich die Herrschenden, um angeblich Probleme zu lösen“, so ein Kollege von Airbus Hamburg. „Probleme, die sie selbst verursacht haben. Es ist ein Treffen unter Ausschluss der großen Zahl von Ländern und Völkern. Ich kann mir kaum was Undemokratischeres vorstellen.“
Kurdische und türkische Kolleginnen und Kollegen und Migrantenorganisationen – vereint in ihrem Kampf gegen den Faschisten Erdogan. NAV-DEM, ein Dachverband kurdischer Vereine in Deutschland, hat eine Vollmobilisierung beschlossen. Aus aller Welt werden Aktivisten dabei sein. Im Herzen dabei sind die amerikanischen Anti-Trump-Protestierer, die Hungernden und Rebellierenden in Afrika, die ihre Umwelt verteidigende indische Landbevölkerung – Millionen!
Klärungsbedarf
Ob aus den Protesten eine neue Qualität des Klassenbewusstseins wächst, hängt nicht vor allem davon ab, ob es zu einer der größten Demonstrationen der letzten Jahre kommt. Das ist zwar von großer Bedeutung. Doch noch wichtiger ist, welche Schlüsse gezogen werden, ob tatsächlich der Imperialismus als Ganzes ins Visier genommen wird.
Die Situation schreit nach einer weltweiten Widerstandsfront, die sich Krieg und Faschismus aller Imperialisten entgegenstellt. Aber einige an den Protesten beteiligte Kräfte verorten die imperialistischen Mächte Russland und China als Friedenskräfte – eine Frage, die dringend in der Protestbewegung geklärt werden muss.
So wenig sich die Imperialisten durch Appelle beeindrucken lassen, so wenig können anarchistische Anschläge oder autonome Scharmützel mit der Polizei sie von ihrer menschenverachtenden Politik abhalten. Alle Erfahrung zeigt, dass die Herrschenden so etwas nur nutzen, um den gemeinsamen Protest zu diffamieren und den Abbau demokratischer Rechte und Freiheiten zu rechtfertigen.
Die MLPD will am 7. Juli in Hamburg-Altona diese Strategie-Diskussion führen mit der Veranstaltung: „Das imperialistische Weltsystem nimmt Kurs auf Krieg und Reaktion“. Das Wissen über Hintergründe, Analysen und Einschätzungen des imperialistischen Weltsystems und seine Krisen ist dringend nötig. Die Vorsitzende der MLPD, Gabi Gärtner, will in einem anspruchsvollen wissenschaftlichen Vortrag die Position der MLPD darlegen und in einen lebhaften Meinungs- und Erfahrungsaustausch treten.³
„Zeit, zu handeln! Die Uhr tickt“, ist der Aufruf des Internationalistischen Bündnisses zu den G20-Protesten überschrieben. „Hinter Gittern und Polizeiarmee verschanzt werden in Hamburg die Köpfe der imperialistischen Globalisierung und des Rechtsrucks eine Welt repräsentieren, die bereits untergeht“, heißt es weiter im Aufruf.
Was wirklich gegen die G20 hilft
Die MLPD und ihr Jugendverband REBELL gehen gemeinsam mit vielen aus dem Internationalistischen Bündnis den revolutionären Weg: geduldiger Aufbau einer internationalen Widerstandsfront gegen Faschismus und Krieg; Kämpfe führen, als Schule des Klassenkampfs. Die MLPD arbeitet in der revolutionären Weltorganisation ICOR mit. Die Internationalisierung der Produktion und des Klassenkampfs hat den Revolutionären heute die Chancen und Möglichkeiten eröffnet zur Vorbereitung der internationalen sozialistischen Revolution – mit der Perspektive der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt. Diese Richtung heute mit einer intensivierten internationalen Kooperation und Koordinierung zu stärken, davon geht die eigentliche Sprengkraft aus für das imperialistische Weltsystem. Das ist weder der bequemste noch der einfachste Weg, aber der einzig wirklich zukunftsorientierte …