Rote Fahne 10/2017

Rote Fahne 10/2017

Halabja – menschenverachtendes Giftgas-Massaker

Giftgas ist eine besonders heimtückische, menschenverachtende Waffe, die trotz ihrer völkerrechtlichen Ächtung immer wieder eingesetzt wird. Als am 4. April 2017 in der syrischen Stadt Chan Scheichun Giftgas mindestens 86 Menschen tötete, nutzte US-Präsident Donald Trump dies als willkommenen Anlass, einen syrischen Flughafen zu bombardieren. Das gab es schon mal – vor 29 Jahren

 

Es war der 16. März 1988. Überall in Halabja, einer überwiegend von Kurden bewohnten Stadt von 70.000 Einwohnern im Norden des Irak, spielten sich Dramen ab. Sarin, Senfgas und der Nervenkampfstoff VX, schwerer als Luft, krochen in die Häuser und machten Schutzkeller plötzlich zu Todesfallen. Zuvor hatte die irakische Luftwaffe den ganzen Morgen die Stadt bombardiert.

Etwa 5000 Menschen erstickten qualvoll, fast ausschließlich Zivilisten, darunter viele Frauen und Kinder. 10.000 erlitten schwerste Verletzungen. Die Aufnahmen von Müttern, die im Todeskampf noch irgendwie versuchten, ihre Säuglinge zu schützen, gingen um die Welt. Noch heute sind Hunderte erblindet und lungenkrank. Viele leiden unter den Spätfolgen Krebs, Fehlgeburten, Unfruchtbarkeit. Es war der massivste Einsatz von Giftgas seit dem I. Weltkrieg – Teil der brutalen Unterdrückung der im Irak lebenden Kurden durch den Diktator Saddam Hussein. Lange Zeit wurde der Giftgasangriff in den westlichen Medien dem Iran untergeschoben, da Saddam Hussein damals als Verbündeter der USA und der EU behandelt wurde.

Im Rahmen der Operation „Anfal“ wurde 1988 an 40 Orten im Kurdengebiet Giftgas eingesetzt. Nach Schätzungen von „Human Rights Watch“ starben oder verschwanden damals rund 180.000 Menschen. Die im Norden des Iraks lebenden Kurden hatten im iranisch-irakischen Krieg Mitte der 1980er-Jahre den Iran unterstützt. Sie versprachen sich davon Vorteile im Kampf um ihre nationale Befreiung.

Anfang der 1990er-Jahre entdeckten Inspekteure der Vereinten Nationen zahlreiche Beweise für die Beteiligung deutscher Firmen an der Giftgasproduktion im Irak. 19 Lieferanten konnten identifiziert werden, 17 kamen aus Deutschland. Zahlreiche deutsche Firmen wie Karl Kolb, Pilot Plant oder Water Engineering Trading machten satte Profite mit der Lieferung der Anlagen zur Herstellung der Giftgase. Etwa 80 Prozent der Anlagen in Muthanna stammten aus Deutschland. Circa 60 Prozent der irakischen Giftgasproduktion erfolgten mit deutscher Technik. Die dort produzierten Gifte wie Senfgas, Sarin und der Nervenkampfstoff VX wurden in den Labors der Bayer AG bzw. der IG Farben1 für die Weltkriegsführung des deutschen Imperialismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erfunden.

Nach 1990 wurde gegen 22 Angestellte von zehn deutschen Firmen ermittelt. Die Prozesse, eine Farce: Drei Angeklagte erhielten Bewährungsstrafen, alle anderen gingen straffrei aus. An die Betroffenen wurden keinerlei Entschädigungen gezahlt. Die Bundesregierung verweigert Entschädigungen oder ärztliche Hilfe bis zum heutigen Tag.

In Halabja erinnert heute ein Monument an die Opfer des Genozids. 16 Säulen und eine 19,88 Meter hohe Kuppel stehen für das Datum des 16. März 1988. Die 7. ICOR-Solidaritätsbrigade zum Aufbau des Gesundheitszentrums in Kobanê besuchte im November 2015 das Monument. Tief bewegt betrachteten die Brigadisten die Szenen und Filme über die Gräuel. „Die revolutionäre Weltorganisation kämpft für das Verbot und die Vernichtung aller atomaren, chemischen und biologischen Waffen“, betonte Sanjay Singhvi, stellvertretender ICOR-Hauptkoordinator.

In den imperialistischen Kriegen um die Aufteilung der Welt wird weiterhin gezielt Giftgas eingesetzt. Der renommierte amerikanische Enthüllungsjournalist Seymour Hersh hat belegt, dass die amerikanische Regierung unter Barack Obama den menschenverachtenden Giftgasangriff in der syrischen Stadt Ghuta im August 2013 plante und von Al-Nusra-Rebellen durchführen ließ. Die Ermordung von über 1200 Menschen ließ er dem syrischen Diktator Assad in die Schuhe schieben, um einen Vorwand für US-Luftangriffe zu schaffen. Die Pläne dazu ließ er stoppen, nachdem ihm weltweite Ablehnung entgegenschlug, insbesondere aus der eigenen Bevölkerung und der des Hauptverbündeten Großbritannien.

Auch im Fall von Chan Scheichun wurde ein angeblicher Giftgas-Einsatz von der neuen US-Regierung unter Donald Trump als Vorwand genutzt für ihren Angriff auf eine Luftwaffenbasis Assads. Eine Basis, die auch russische Bomber nutzen. Gleichwohl ist der Ursprung des Gases und wer es eingesetzt hat längst nicht geklärt. Internationale Beobachter hatten dem Assad-Regime zumindest 2013 bescheinigt, dass es seine Chemiewaffen unter dem Druck der Weltöffentlichkeit zur Vernichtung nach Deutschland bringen ließ. Nach Deutschland deshalb, weil es eines der wenigen Länder ist, das aufgrund jahrzehntelanger Chemiewaffenforschung über die dazu notwendige Technologie verfügt. Der Kreis zu Halabja schließt sich.