Alle Nachrichten von heute
Sechs Tage vor Nikolaus hat der Vorstand von Thyssenkrupp Stahl den Beschäftigten und ihren Familien statt Geschenken in die Stiefel den Knüppel von Knecht Ruprecht beschert (1).
Dreißig Seiten umfassen Interessenausgleich, Gesamtbetriebsvereinbarungen zur Arbeitszeit, Rufbereitschaft, Jubiläumsgeld und „Freiwilligen“programm samt Anlagen, die der Vorstand mit dem Gesamtbetriebsrat vereinbart hat. Diese Vereinbarungen setzen im wesentlichen den Plan von Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopéz zur Neuausrichtung der Stahlsparte des Konzerns um.
Nämlich die Vernichtung von 11 000 Arbeitsplätzen bei TKSE, 3000 bei HKM, Hunderter Ausbildungsplätze und die Senkung der Ausgaben für Löhne und Gehälter um 120 Mio. Euro. Das sind immerhin im Durchschnitt acht Prozent für jede Kollegin und jeden Kollegen. Die Mehrheit der Beschäftigten lehnt nach wie vor die Lopez-Pläne ab. „Warum nur haben wir nach dem Dezember nicht an unseren kämpferischen Aktionen und Streiks festgehalten. Wir müssen stärker werden und auch mal den Mut haben, den Hammer fallen zu lassen, wenn wir es für richtig halten.“ Dieser Walzwerker bringt die Haltung einer gewachsenen Zahl kämpferischer Kolleginnen und Kollegen auf den Punkt.
Trotz großer Ablehnung hat eine Mehrheit der Belegschaften im September dem Sanierungstarifvertrag zugestimmt. Aber nicht aus Überzeugung, sondern als Ergebnis einer regelrechten Angstkampagne vor einer angeblich drohenden Insolvenz. Was sich hinterher als Fake erwiesen hat - siehe auch hier: ThyssenKrupp Stahl: Sanierungstarifvertrag unter der Lupe Die Abstimmung damals fand statt, ohne dass die Kollegen den Vertrag überhaupt im Detail kannten. Und unterm Strich waren es 48 Prozent der Belegschaft, die mit geballter Faust in der Tasche dafür gestimmt haben.
Die Verhandlungen des Vorstands mit dem Gesamtbetriebsrat zogen sich zäh über Monate hin. Das hat denselben Grund wie die Wahl des Zeitpunkts der Bekanntgabe der Verhandlungsergebnisse gut drei Wochen vor Weihnachten: Es war und ist die Verunsicherung und Angst des Vorstandes vor der Reaktion der Belegschaften, wenn die Inhalte und Konsequenzen der „Sanierung“ für jede und jeden konkret werden.
Wichtige Inhalte der Vereinbarung
Wir können heute nur auf die unserer Meinung nach wichtigsten Informationen und Einschätzungen zu den beschlossenen Vereinbarungen eingehen.
Wo sollen Arbeitsplätze vernichtet werden und wie will der Vorstand das umsetzen?
- Durch „Effizienzsteigerung“ – oder anders: mit weniger Kollegen mehr arbeiten - plant der Vorstand die Vernichtung von 3100 Arbeitsplätzen. Davon ist bereits mehr als ein Drittel konkretisiert.
- Fast 1300 Arbeitsplätze sollen der sogenannten „Netzwerkanpassung“ zum Opfer fallen. Gemeint ist der Stofffluss und Verbindung zwischen den einzelnen Standorten
- Durch die Schließung der Hochöfen 8 und 9 Hamborn/Beekerwerth ist geplant, rund 350 Arbeitsplätze zu vernichten.
- An den beiden Standorten in Bochum sind es 1200 Arbeitsplätze.
- 4000 Arbeitsplätze sollen ausgegliedert werden, was in den allermeisten Fällen mit Lohnabstrichen und schlechteren Arbeitsbedingungen verbunden ist.
Die Arbeitsplatzvernichtung soll mit folgende Maßnahmen durchgesetzt werden:
- Abfindungen mit einer Sprinterprämie
- Wechsel in eine Transfergesellschaft
- Altersteilzeitregelung
- Personaldrehscheibe für Kollegen, deren Arbeitsplatz wegfällt
- Senkung der Arbeitszeit auf 32,5 Stunden-Woche - ohne Lohnausgleich. Das bedeutet weniger Lohn und eine Arbeitsverdichtung.
Diese Vereinbarung gilt normalerweise bis 30. September 2029. Liegt das EBITDA* für das zurückliegenbde Geschäftsjahr aber unter 650 Mio. Euro, verlängert sich die Maßnahme um ein Jahr. Liegt das EBITDA im folgenden Jahr unter 1,3 Mrd. Euro soll zwischen den beiden Vertragspartnern über eine Verlängerung um ein weiteres Jahr gesprochen werden.
Von wegen, „keine betriebsbedingten Kündigungen“
Der Personalchef von TKSE, Wilhelm von Rath, verkündet in der WAZ: Das Unternehmen wolle die Einschnitte ohne betriebsbedingte Kündigungen vornehmen. Ein Ausschluss sieht anders aus und fehlt auch im Interessenausgleich. Im Gegenteil! Fällt ein Arbeitsplatz für einen Kollegen weg und kann kein entsprechender gleichwertiger Arbeitsplatz gefunden werden, kann der Kollege mit einem Aufhebungsvertrag in die Personaldrehscheibe zur „Qualifizierung“ wechseln. Lehnt er dies ab, kann er betriebsbedingt gekündigt werden! Außerdem sind auch alle Aufhebungsverträge zum Wechsel in die PEAG Kündigungen und haben mit „Freiwilligkeit“ nichts zu tun. Vor allem enthält der Interessensausgleich ausdrücklich die Möglichkeit betriebsbedingter Kündigungen. So heißt es dort unter Punkt 4: „Die SE-AG (gemeint ist TKSE) kann jederzeit Aufhebungsverträge zur betriebsbedingten Beendigung von Arbeitsverhältnissen abschließen.“
Erste Bewertung der Vereinbarungen – was folgt daraus?
„Harte Einschnitte für Belegschaft, aber auch Garantien für Zukunft“ – urteilt die WAZ vom 2. Dezember. Was für eine Logik, dieselbe, die uns die Regierung verspricht. Wir müssten „harte Einschnitte“ hinnehmen wie Arbeitsplatzvernichtung, Lohnkürzungen, Sozialkahlschlag, Aufrüstung, die Wirtschaft, sprich die Monopole mit Subventionen überschütten und danach wird alles gut. Und am Samstag kommt der Nikolaus!
Die immense Arbeitsplatzvernichtung trifft nicht nur die Beschäftigten und ihre Familien, sondern auch die Kommunen und ganze Regionen im Revier. Und Tekin Nasikkol, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrates der Thyssenkrupp AG, meint, „am Ende muss niemand arbeitslos werden“. Glaubt er tatsächlich daran? Was ist mit den hunderten Stahlarbeitern, für die die Transfergesellschaft nur eine Warteschleife in die Arbeitslosigkeit wird? Was ist mit den Tausenden, die bei Zulieferfirmen ihre Arbeit, meist ohne Abfindung, Altersteilzeit oder Transfergesellschaft verlieren? Was ist mit den Verkäuferinnen, Kellnerinnen usw., die ihre Arbeit verlieren, weil ihr Laden, ihr Kiosk, ihre Kneipe zumachen muss? Sind das nicht genauso Arbeiterinnen, Arbeiter und Angestellte wie die bei TKSE Beschäftigten? Und vor allem, was erwartet die Jungen, die Ausbildungs- und Arbeitsplätze brauchen, die vor geschlossenen Jugendhäusern oder Schwimmbädern stehen, weil die Kommunen pleite sind?
„Jetzt ist alles gelaufen." Wirklich?
Warum soll jetzt alles gelaufen sein? Nur weil es Vereinbarungen gibt, die unseren Klasseninteressen widersprechen? Verträge stehen erstmal auf dem Papier. Ob sie Wirklichkeit werden, darauf können die Belegschaften entscheidend Einfluss nehmen.
In der Auseinandersetzung bei TKSE und HKM geht es nicht nur um Arbeits- und Ausbildungsplätze, sondern um unsere gesamten Lebensverhältnisse, letztlich um die Frage, in was für einer Gesellschaft wollen wir leben? Das sollten wir im Auge behalten, wenn die Frage steht, Abfindung nehmen, in Altersteilzeit oder Transfergesellschaft gehen oder gemeinsam, Jung und Alt für unsere aktuellen und künftige Interessen kämpfen? Die letzte Messe ist noch lange nicht gelesen!
Aktuell finden an den verschiedenen Standorten von Thyssenkrupp Betriebsversammlungen statt. In Dortmund war eine Versammlung heute, in Duisburg wird am morgigen Donnerstag eine stattfinden.
Rote Fahne News ist gespannt auf Berichte und Zuschriften über die Diskussion unter den Kolleginnen und Kollegen, auch über konkrete Einzelheiten der Vereinbarungen.