Vorratsdatenspeicherung

Vorratsdatenspeicherung

Nächster Anlauf zur Bespitzelung von jedermann

Internetanbieter sollen IP-Adressen künftig drei Monate speichern. Das geht aus einem Gesetzentwurf von Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) hervor, über den zuerst die „Bild am Sonntag“ berichtete. Die Vorratsdatenspeicherung ist seit 2007 Thema und scheiterte immer wieder vor Bundesverfassungsgericht (BVerfG) und Europäischem Gerichtshof (EuGH).

Von fu
Nächster Anlauf zur Bespitzelung von jedermann
Für mindestens drei Monate will die Bundesregierung wichtige Kenndaten aller Internetnutzer in Deutschland speichern. (Bild: Benjamin Lehman; Lizenz: Unsplash)

Seit 2007 gibt es alle paar Jahre eine Vorlage, die im Wesentlichen immer auf dasselbe hinaus läuft: Anlasslos sollen Datensätze aller Internetbenutzer für einen gewissen Zeitraum gespeichert werden. Die verschiedenen Gesetze unterschieden sich darin, welche Daten genau es sein sollten und wie lange sie gespeichert werden würden. Gleich war allen, dass unabhängig von jedem Verdacht solche Daten für alle Internetbenutzer – praktisch die gesamte Bevölkerung – gespeichert werden sollten. Dass das faktisch eine Umkehr der Unschuldsvermutung sowie eine Aufhebung des Rechts auf Privatsphäre bedeutet und es sich somit einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte und die demokratischen Rechte und Freiheiten handelt, ist nicht einmal umstritten.

 

Das hat die Merz-Koalition aus CDU, CSU und SPD natürlich nicht davon abgehalten, eine Neuauflage in den Koalitionsvertrag zu schreiben. Was der seit Freitag vorliegende Gesetzentwurf vorsieht, ist noch recht vage; sicher ist, dass für „mindestens“ drei Monate gespeichert werden soll, welchem Internetanschluss eine IP-Adresse wann zugeordnet war. Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) wiederholte am Sonntagabend in der Tagesschau nahezu wortgleich die Begründung von Justizministerin Stefanie Hubig (SPD), die IP-Adresse sei „oft der einzige Hinweis“ auf mutmaßliche Täter.

IP-Adressen

 

Eine IP-Adresse ist eine auf dem Internetprotokoll (IP) basierende Adresse aus vier Blöcken von je 3 (verkürzbaren) Zahlen. Sie wird Geräten zugewiesen, die an das Netz angebunden sind, macht die Geräte so adressierbar und damit erreichbar.

 

Ohne solche Adressen wäre kein Informationsaustausch über Netzwerke möglich. Die Adresse wird mit jeder Verbindungsaufnahme neu vergeben und lässt somit auch weitere Schlussfolgerungen zu.

 

Gespeichert werden sollen allerdings auch „weitere Daten, die für eine eindeutige Zuordnung der IP-Adresse zu einem Anschlussinhaber nötig sind“. Das könnten auch Standortdaten sein – mit einer derartigen Formulierung ließe sich im Nachhinein vieles rechtfertigen. Schon 2016 wies ein klagender Anwalt aus Bayern darauf hin, dass ausgehend von der heutigen Technik mit solchen Gesetzen moderne Kommunikationsmittel wie Smartphones faktisch zu elektronischen Fußfesseln gemacht würden – für jeden, überall und jederzeit. Es ließen sich Bewegungs- und Verhaltensprofile erstellen und verbunden mit der Auswertung weiterer, teils jetzt schon kommerziell gehandelter Datensätze auch intimste Details über die Zielperson korrelieren.

Nicht „umstritten“ sondern eindeutig verfassungswidrig

Der Gesetzentwurf von 2007 starb schon 2008 auf dem Weg der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts. Am 2. März 2010 beerdigte das Gericht dann das Gesetz als verfassungswidrig und erklärte alle dementsprechenden Vorschriften für nichtig. Der nächste Anlauf folgte 2015 und wurde vom Oberverwaltungsgericht Münster und dem Verwaltungsgericht Köln aufgehalten, weil das Gesetz mit Europarecht nicht vereinbar war. Ende 2016 hatte der Europäische Gerichtshof schon in einem anderen Fall insbesondere eine anlasslose Vorratsdatenspeicherung für unzulässig erklärt. Die Regierung hielt an dem Verfahren fest, und im September 2022 entschied der EuGH, dass das deutsche Gesetz gegen Grundrechte verstoße. Kein Jahr später, im März 2023, bestätigte das BverfG die Entscheidung des EuGH. All das weiß die Merz-Regierung natürlich – und es ist ihr egal.

 

Was sich über die Jahre geändert hat, sind die Begründungen. 2007 war es der Kampf gegen den internationalen Terrorismus, mit dem die Bespitzelung der gesamten Bevölkerung gerechtfertigt werden sollte. Seither hat sich aber als neue Brechstange der Kampf gegen Kinderpornografie durchgesetzt. Man erhebt einfach gegen jeden, der Widerstand leistet, den Vorwurf, die Kinder vor Missbrauch nicht schützen zu wollen.

 

Weil es sich bei diesen Methoden auch um eine Faschisierung des Staatsapparats handelt, könnten die Urteile der Gerichte aber in Zukunft auch anders ausfallen, denn wir erleben europaweit eine faschistische Tendenz: Parallel gibt es auf Ebene der Europäischen Union Bestrebungen, eine Vorratsdatenspeicherung in den Mitgliedsstaaten für ein Jahr verpflichtend zu machen.

Vermeintlicher Nutzen und realer Missbrauch

Nun ist aber bis heute nicht nachweislich, dass die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich zu einer besseren Aufklärungsquote führen würde oder könnte. Im Gegensatz dazu sind zwei Dinge allerdings sehr wohl nachgewiesen: Nämlich erstens, dass die Polizei allzu oft nicht einmal im Rahmen ihrer Möglichkeiten ermittelt und sich zweitens auch ganz gerne mal nicht an geltendes Recht hält. Wo immer derartige Datenspeicherungen bereits vorgeschrieben sind – vor allen Dingen in den USA und Russland – zeigt sich anstelle einer steigenden Aufklärungsquote allerdings eine explodierende Missbrauchsquote. Die betrifft dabei sowohl staatliche Überwachungsmaßnahmen gegen Oppositionelle ohne Tatvorwürfe oder richterliche Entscheide, als auch persönlich motivierte Straftaten, wie die Auswertung der Daten der Exfreundin von Eddy aus Abteilung 3.

Technik und Kosten

Die Technik für die Erfassung und vor allen Dingen Speicherung der Daten sollen die Provider stellen. Das ist ein sehr erheblicher Aufwand, bedenkt man die schiere Menge an Daten, die über den anvisierten Zeitraum pro Mensch in Deutschland entstehen würde. Diese Kosten würden die Tech-Konzerne im Zweifelsfall auf die Kunden umlegen – also würden wir für unsere eigene Überwachung selbst bezahlen, und zwar schon angefangen mit der Wanze (dem Smartphone).